Hi, HG2!
Ein schönes Sonett mit leichten Schwächen, möchte ich sagen.
Was gleich auffällt, sind die umarmenden Reime der Quartette mit männlicher Kadenz. Es hätte klangrhythmisch gut gepasst, in die Mittelzeilen der Terzette ebenfalls eine männliche Kadenz einzufügen. So ändert sich der Duktus doch spürbar zwischen Quartetten und Terzetten. (Dass klassische Sonette nur weibliche Kadenzen haben sollten, brauche ich sicher nicht zu erwähnen - heute wird diese strenge Regel weitestgehend nicht mehr beachtet)
Ebenfalls auffällig das nachgerade zwanghaft wirkende Setzen eines Punktes an jedem Zeilenende, das nicht immer guttut. Gerade Sonette sollen ja weich und lyrisch getragen, melodisch klingen. Die kurzen Satzeinheiten zerhacken die Sprachmelodie - das klingt eher roboterhaft.
Oh Sonnenaufgang, reizende Gestalt. Hier wäre ein Komma am Zeilenende angebrachter.
Bist meiner Seele Balsam und Verlangen.
Wir haben Sonnensegel aufgehangen. Hier auf jeden Fall ein Komma - einen Satz mit "Denn" zu beginnen ist bescheidener Stil!
Denn Liebe strahlt und heilt, wird niemals alt. "strahlt" klingt mir fast zu radioaktiv hier. Wie wäre es mit "wirkt", "wärmt" oder so?
Auch wenn die Zeit manchmal pulsiert und kühlt. Das "manchmal" passt nicht so recht ins Klangbild. Altern.: "Auch wenn zuweilen Zeit pulsiert und kühlt," Und: Auf jeden Fall Komma!
Anstatt Verlangen nur Affären sprühen.
Das Feuer friert, und nur die Träume glühen.
So manches Stroh entfacht, wie Hitze fühlt. Die Aussage dieses Satzes ist mir unklar. "Wie Hitze fühlt", kann Stroh nicht "entfachen", bestenfalls "vermitteln" oder so. Falscher Begriff!
Zurück mein Traum, lass küssen mich und fliegen. Hier hängt das "küssen" etwas vage in der Luft: Wen? Was? Warum?
Die Welt kennt alles, Sonnenschein und Regen. Hier auf jeden Fall Komma!
Doch deine nackte Unschuld schenkt mir Segen.
Warum ist hier plötzlich nur eine Leerzeile zwischen den Strophen? Bisher hast du immer 2 genommen.
Denn Regenbogenfarben werden siegen. Zum "Denn" am Satzbeginn habe ich mich schon geäußert.
Begehren wir, zum Stillen Tote streben. Ein fürchterlich verquerer Satz mit Inversion und wirr in der Aussage: Was wird begehrt, und stehen die Satzteile inhaltlich in Beziehung? Wenn ja, warum streben Tote zum Stillen, wenn wir begehren??? Hieße es, wie Cypi meint, "zum stillen Tode" wäre die Großschreibung von "Stillen" falsch und dem Satzteil fehlte das Subjekt.
Denn er vermag, die Sucht, in uns zu weben. Und wieder ein "Denn" vorneweg, zum dritten Mal! Wer "er"? Da fehlt jeder Bezug. Der Sonnenaufgang? Viel zu weit weg im Gedicht, um verständlich zu sein. Der Traum? In diesem Falle müsste es "du" heißen, denn eingangs der Terzette sprichst du ihn ja persönlich an. Die Kommata vor und nach "die Sucht" sind völlig überflüssig und falsch.
Deine Sprache ist wohlgesetzt und passend, an einigen Wendungen aber solltest du noch feilen, die sind (mir) schlicht unverständlich oder wirken geschraubt.
Insgesamt eine gute Leistung und darob gerne gelesen!
LG, eKy