Autor Thema: Dem Abend  (Gelesen 1230 mal)

gummibaum

Dem Abend
« am: Juni 17, 2014, 21:11:04 »
Wie zart wird das Azur, das mich umfängt,
wenn es verblassend schon vom Abend kündet,
der in mir wächst und neu mein Leben gründet,
mich zwischen Tag und Nacht mit Ruh beschenkt.

Wenn jetzt durchs Blau noch weiße Striche reisen,
die silbern angeführt vorüberziehn:
Ich lasse sie getrost im Licht erglühn
und über mich hinaus ins Ferne weisen.

Das Dunkeln will ich hier am Ort genießen
und trete langsam jede Farbe ab.
Der Nacht will ich bewusst entgegensprießen,

die Kühle trinken wie aus einem Grab
und irgendwann in dieses überfließen,
nach allem, was mir dieses Leben gab.
« Letzte Änderung: Juni 22, 2014, 13:01:12 von gummibaum »

Erich Kykal

Re:Dem Abend
« Antwort #1 am: Juni 18, 2014, 00:39:13 »
Hi, Gum!

Ein schönes Sonett! Ein paar Tipps:


Wie zart wird dieses Blau, das mich umfängt,
verblassend schon vom Schritt des Abends kündet,  Hier hat man sofort das Gefühl, es fehle ein weiteres "das". Alternative: "wenn es es vom sachten Schritt des Abends kündet,"
der in mir wächst und neu mein Leben gründet, Vielleicht schöner: "...und neues Leben gründet,"
mich zwischen Tag und Nacht mit Ruh beschenkt.

Wenn jetzt durchs Blau noch weiße Striche reisen, Wortwiederholung "Blau"? Alternative: In S1Z1 "Azur" statt "Blau" schreiben.
die silbern angeführt vorüberziehn:
Ich lasse sie getrost im Licht erglühn
und über mich hinaus ins Ferne weisen.

Das Dunkeln will ich hier am Ort genießen
und trete langsam jede Farbe ab. Das "ab" mit kurzem "a" passt nur bedingt als Reim zu "Grab" und "gab", die beide ein langes "a" führen.
Der Nacht will bewusst entgegensprießen, Hier fehlt ein "ich".

die Kühle trinken wie aus einem Grab
und irgendwann in dieses überfließen,
nach allem, was das Leben treu mir gab. Alternative: "nach allem, was mir dieses Leben gab."


Wunderbar tränkst du die Stimmung dieses Sonnenunterganges mit kontemplativer Melancholie, gelöstem Sichabfinden und stillem Beisichsein. Schön die angedeuteten Bilder des Flugzeugs mit Kondensstreifen und dem Erleben der Dämmerung durch das "Abtreten der Farbe", als wäre sie einst der persönliche Besitz des LyrIch gewesen. Dieses Besitzenwollen des Tages, also quasi der Zeit an sich, dieses Erleben- und Lebenwollen mit allen Sinnen, die Wertschätzung des Lebens dringen deutlich durch, aber auch leise Wehmut darüber, dass all dies - wie auch der Tag - enden muss.
Eine wundervoll eingewobene Metaebene, ein verborgenes Gleichnis.

Die sehr schöne Sprache kaschiert den Umstand, dass hier männliche und weibliche Kadenzen eher willkürlich wechseln. Dass das Sonett durchgehend weibliche Kadenzen haben sollte, muss ich dir (wie auch die ansonsten gängigen Sonettregeln) sicher nicht erklären, ich gehe davon aus, dass du hier bewusst darauf verzichtet hast - ich hätte bloß gern gewusst, warum.

Sehr gern gelesen und bearbeitet! :)

LG, eKy
« Letzte Änderung: Juni 22, 2014, 10:10:28 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re:Dem Abend
« Antwort #2 am: Juni 20, 2014, 14:08:26 »
Lieber Erich,

danke für ausführliche und hilfreiche Beschäftigung mit dem Text, die gute Änderungen möglich macht.

Ich mag zwar diese raffende Sprache, die wie hier das "das" nicht nochmals setzt, aber deine Version ist trotzdem besser. "Neues Leben" reicht ja über "mein Leben" hinaus und scheint mir zu weit zu führen. Azur ist schön. 2/2 und 2/3 sollten besser auch weiblich enden. Hab's wieder rückgängig gemacht, da ich die Kadenzen invers zur ersten Strophe lassen will (mwwm/wmmw). Auch die anderen Vorschläge setzte ich um, und mit dem "ab" finde ich mich...ab.

LG gummibaum
« Letzte Änderung: Juni 21, 2014, 18:26:06 von gummibaum »

cyparis

Re:Dem Abend
« Antwort #3 am: Juni 21, 2014, 18:36:38 »
Lieber Gummibaum,


Das ist eines der schönsten und besten Sonette der letzten Zeit.
Schönheit, die tief, tief anrührt.
Es hat einen ganz eigenen Zauber, dem man verfallen muß.

Herzlichen Dankesgruß
von
Romulus
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Daisy

Re:Dem Abend
« Antwort #4 am: Juni 21, 2014, 21:52:17 »
Lieber Gummibaum,

ein wunderbares Sonett mit Versen zum Hineinsinken!

Den herannahenden Abend und das nicht mehr ferne Lebensende hast du in berührenden Einklang gebracht, das macht zwar wehmütig wirkt aber keinesfalls beängstigend.

Kompliment für das schöne Gedicht, ich genieße jede einzelne Zeile!

LG Daisy
« Letzte Änderung: Juni 22, 2014, 14:56:30 von Daisy »

Erich Kykal

Re:Dem Abend
« Antwort #5 am: Juni 22, 2014, 10:14:55 »
Hi, Gum!

Durch die Änderung  hat der "Abend" in S1Z2 jetzt leider ein "s" zuviel. ;)

Erneut sehr gern gelesen - jetzt liest es sich sehr schön rund und fließend.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re:Dem Abend
« Antwort #6 am: Juni 22, 2014, 13:01:59 »
Danke dir.

LG gummubaum