Herzeleid
I.
Plaisir d’amour währt nur ein paar Momente,
Chagrin d’amour ein ganzes Leben lang.
Weil ich das weiß, ist mir vorm Lieben bang,
drum wollte ich allein sein bis zur Rente.
Doch ist es bei dem Vorsatz nicht geblieben,
da ich den blonden Märchenprinzen sah.
Er war so stolz und war mir doch so nah,
hab viel verweinte Verse ihm geschrieben.
Er sei der Dulcineo meiner Träume!
Drum widme ich ihm dies Sonettgedicht
und ritze seinen Namen in die Bäume
und liebe ihn, bis mir das Auge bricht.
Und wären Träume weiter nichts als Schäume,
den Dichter und den Ritter kümmert’s nicht.
II.
Den Dichter und den Ritter kümmert’s nicht,
zieht er auf seinem Klepper Rosinante
in ferne Lande, die er noch nicht kannte,
weshalb das Volk ihm den Verstand abspricht.
So zieh auch ich dahin, weil ich es muss.
Nennt ihr mich ohne Mitleid einen Narren
und bindet mich auf einen Ochsenkarren,
entfliehe ich auf meinem Pegasus
in dieses ungewisse Abenteuer,
am Horizont kein Silberstreif in Sicht.
Mein Herz, es brennt noch heißer als das Feuer,
das uns der Fürst der Finsternis verspricht.
Und werden meine Qualen ungeheuer,
so schreibe ich ihm heimlich ein Gedicht.
III.
So schreibe ich ihm heimlich ein Gedicht:
"Wo Engelschöre Liebeslieder singen,
da werde ich mit dir das Tanzbein schwingen
und dich liebkosen, bis der Tag anbricht.
Falls jemals etwas Böses dich erschreckt,
dann kenne ich kein Zaudern und kein Bangen,
dann kämpfe ich mit Schwertern und mit Stangen.
Schlaf ein, mein Prinz, mit Rosen zugedeckt!
Ich flüstre dir Geheimnisse ins Ohr
und mache dir galante Komplimente
und schwöre: Para siempre, mi amor!
Wohl wissend, wenn uns jemals etwas trennte,
wär’s nur der Tod. Ich wart am Himmelstor
und hoffe, dass sich bald das Schicksal wende."
IV.
Und hoffe, dass sich bald das Schicksal wende.
Wie sehr ersehne ich den Freudentag,
an dem er sagt, dass er mich lieben mag.
Dann fände meine Trübsal rasch ein Ende.
Dann müsste ich ihn nicht so sehr vermissen,
dann liebten wir uns ohne Unterlass.
Und niemals wandelt Liebe sich in Hass.
Gleichgültigkeit in Liebe? Kann man’s wissen?
Ich geb ihm Zeit, soll er sein Herz befragen,
soll wie der Wind auf seinem weißen Ross
nach Hirschen in den grünen Wäldern jagen
mit seinem kühnen blaublütigen Tross.
Am Wegrand werd ich stehn und werd ihm sagen:
"Mach Rast, mein Prinz, auf meinem Wolkenschloss!"
V.
"Mach Rast, mein Prinz, auf meinem Wolkenschloss!"
Und wenn er einkehrt, will ich ihn betören,
bei Wein und Wildbret wird er mich erhören
und unsre Leidenschaft ist grenzenlos...
So rede ich in meinem Übermut.
Vor kurzem ruhte er an meiner Seite,
ich seufzte nur und suchte rasch das Weite.
Ach, zweierlei ist’s, was man denkt und tut.
Ich habe mir so manches ausgedacht
im stillen Kämmerlein zur Dämmerstunde.
Er hat mich ja schon einmal angelacht,
wenngleich nur eine einzige Sekunde.
Dass er bald Einzug hält in seiner Pracht,
ich wünsch es mir aus tiefstem Herzensgrunde.
VI.
Ich wünsch es mir aus tiefstem Herzensgrunde,
bei ihm zu sein beim hellen Sonnenschein,
und nachts hüllt schimmernd uns das Mondlicht ein
und kühlt in meinem Schoß die heiße Wunde,
die er mir schlug, der tapfre Degenfechter,
Millionen Sterne sahen dabei zu.
Wir brachen sorglos jegliches Tabu
im unentwegten Kampfe der Geschlechter.
Ein Platz in seinem Herzen nur für mich,
und sei’s nur eine einzige Sekunde,
erfleh ich von den Göttern inniglich.
Vernahm ich etwa nicht aus seinem Munde
von ferne her das Wort: "Ich liebe dich"
in einer Vollmondnacht zur Geisterstunde?
VII.
In einer Vollmondnacht zur Geisterstunde
ist nirgends eine gute Fee in Sicht.
Deswegen tu ich nunmehr meine Pflicht,
sattle mein Pferd und ruf herbei die Hunde.
Steck an den Helm mir eine rote Feder,
sorgfältig leg ich meine Rüstung an.
"Doña Quixote kämpft um einen Mann!"
So raunt es, und schon bald weiß es ein jeder.
Das große Abenteuer muss gelingen!
Die müde Mähre wird zum Feuerross,
die Kraft der Fantasie verleiht ihr Schwingen.
Und träfe mich am Schlachtfeld ein Geschoss,
dann würdet ihr mir Heldenlieder singen,
Dann fühlte ich mich stark und riesengroß.
VIII.
Dann fühlte ich mich stark und riesengroß
und überragte all die feinen Damen,
die zum Alkoven angestöckelt kamen,
darin mein edler Prinz lag, nackt und bloß.
Nach der durchwachten, grauenhaften Nacht
werd ich die Damen morgens schon erwarten,
verborgen hinterm Fliederbusch im Garten,
und jäh sind sie aus der Fasson gebracht.
Mein blitzeblankes, messerscharfes Schwert,
werd ich an ihre Schwanenhälse drücken,
dann schlag ich ihnen frisch und unbeschwert
vom Kopf ihre gepuderten Perücken.
Ob wohl mein Prinz sie kahlköpfig begehrt?
Es würde ihn vermutlich nicht entzücken.
IX.
Es würde ihn vermutlich nicht entzücken.
Falsch ist das Haar, so falsch wie manches Weib,
das sich mit ihm vergnügt zum Zeitvertreib,
das sich ihm schamlos gibt aus freien Stücken.
Doch leider bin ich selber nicht vollkommen,
ließ auf dem Schlachtfeld meine linke Brust.
Das war dem schönen Prinzen nicht bewusst,
als er vor kurzem mir so nah gekommen.
Vielleicht sollt ich von meinem Leid erzählen,
denn solch ein Prinz ist edel, gut und rein,
er würde mich vielleicht trotzdem erwählen.
Dann könnte ich getrost bescheiden sein,
statt mich mit Größenwahn herumzuquälen.
Ich bin halt nur ein kleines Dichterlein.
X.
Ich bin halt nur ein kleines Dichterlein.
Wollt auf dem Ball in Reimen ihn begrüßen,
geriet ins Wanken, lag zu seinen Füßen,
er half mir auf und lächelte ganz fein.
Wir tanzten, ich war steif wie ein Stück Holz,
er sah mich an, ich lallte ein paar Worte
von einer sterbenslangweiligen Sorte.
Und trotzdem war ich unbeschreiblich stolz!
Dann führte er mich in den Park hinaus.
Wird er das Mauerblümchen endlich pflücken?
Ein scheuer Blick: Nein, er sah müde aus.
“Adios!“ sprach er und kehrte mir den Rücken
und ging wie immer ohne mich nach Haus.
So hat das Leben leider seine Tücken.
XI.
So hat das Leben leider seine Tücken.
Oh Don Quixote, ich will sein wie du,
beherzt und ehrbar, unbeirrt dazu!
Will mich wie du mit großen Taten schmücken.
Zieh in das Feld zu meines Prinzen Ehre,
reite dem Sieg entgegen im Turnier.
Sein Monogramm ist meines Banners Zier,
sein Ruf dringt über alle sieben Meere.
Die Trobairises singen Ruhmeslieder
und jubelnd stimmt die Vogelschar mit ein,
ein großer Meister schreibt die Noten nieder.
Am Schlossplatz thront sein Ebenbild aus Stein,
ein Ölgemälde gibt sein Lächeln wieder,
sein Bildnis brannte sich ins Herz mir ein.
XII.
Sein Bildnis brannte sich ins Herz mir ein.
Verließe ich das Schlachtfeld ohne Wunden
und hätt mich nicht geschlagen und geschunden,
wie nutzlos würde ich als Ritter sein.
Auch fände ich als Dichter keinen Reim,
verfasste keine tragischen Sonette.
Stattdessen läg ich stumpf in meinem Bette
auf der Station im Altenpflegeheim
und fragte: "Liebe - ach, was war das nur?"
Oh nein, viel lieber lass ich mich berücken.
Plaisirs d’amour, und ach, Chagrins d’amour...
Aus Liebe ließ ich mir den Kopf verrücken,
empfing seitdem schon mancherlei Blessur,
der Kummer drohte schier mich zu erdrücken.
XIII.
Der Kummer drohte schier mich zu erdrücken.
da wurde ich urplötzlich aufgeschreckt
von einem Dickwanst, der war ganz verdreckt,
und brummte: "Wann gibt’s endlich was zu Picken?
Mein Heimatdorf liegt nicht gleich um die Ecke,
mein Esel brüllt nach Heu, mein Bauch nach Wurst,
wir haben Bärenhunger, Riesendurst!"
Ich wollte wissen, was er hier bezwecke.
"Hochedle Dame, ich bin Sancho Pansa,
ich möchte gerne euer Knappe sein."
Worauf der Kerl mich augenzwinkernd ansah:
"Ich geb mir Mühe, gebt mir dafür Wein!"
Alleine ritt ich durch die weite Mancha,
bis Sancho kam auf seinem Eselein.
XIV.
Bis Sancho kam auf seinem Eselein,
da träumte ich von meinen Heldentaten,
bisher war keine einzige geraten.
Wie sollt ich jemals meinen Prinzen frein?
Doch fasste ich nun endlich frischen Mut.
Ich hatte auf der Fahrt einen Begleiter,
er war verfressen, aber immer heiter.
Da wusste ich, nun würde alles gut.
Mein Knappe Sancho lässt mich nicht im Stich,
wird mir die Treue halten bis zum Ende
und unser Ruhm, er währet ewiglich.
So ziehen wir zum Schlachtfeld als Entente.
Die Freundschaft, sie ist unerschütterlich,
Plaisir d’amour währt nur ein paar Momente.
XV.
Plaisir d’amour währt nur ein paar Momente,
den Dichter und den Ritter kümmert’s nicht.
So schreibe ich ihm heimlich ein Gedicht
und hoffe, dass sich bald das Schicksal wende.
Mach Rast, mein Prinz, auf meinem Wolkenschloss!
Ich wünsch es mir aus tiefstem Herzensgrunde
in einer Vollmondnacht zur Geisterstunde.
Dann fühlte ich mich stark und riesengroß.
Es würde ihn vermutlich nicht entzücken,
ich bin halt nur ein kleines Dichterlein,
so hat das Leben leider seine Tücken.
Sein Bildnis brannte sich ins Herz mir ein,
der Kummer drohte schier mich zu erdrücken,
bis Sancho kam auf seinem Eselein.