Autor Thema: Zartbesaitet  (Gelesen 1254 mal)

Erich Kykal

Zartbesaitet
« am: Dezember 23, 2013, 13:50:30 »
Da hängt er in des Baumes kahlen Zweigen,
ein letzter Federstrich, ein letzter Schrei,
als wollte er dem Erdenkreise zeigen:
Er hat genug und ist nicht mehr dabei.

Zu unverhohlen ätzten die Gerüchte,
das Gift der Zungen fraß ihn endlich auf.
Es ließ ihm keine unverletzten Flüchte,
und keine Antwort hatte er darauf.

Zu häufig hat ihn blinder Spott geschlagen,
den Oberflächlichen ein leichtes Ziel -
zu lang hat seine Zuversicht getragen,
und plötzlich wurde alles doch zuviel.

Da hängt er in des Baumes kahlen Zweigen,
ein Häufchen Elend nur, das keinen schert.
Die Welt dreht weiter sich im derben Reigen,
und alles Schwache ist den Tanz nicht wert.
« Letzte Änderung: Dezember 23, 2013, 13:52:47 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re:Zartbesaitet
« Antwort #1 am: Dezember 23, 2013, 20:34:38 »
Ja, viele sind dumm und roh und suchen sich das Empfindliche, um sich durch dessen Schändung stark zu fühlen. Ich für meinen Teil suche keinen Kontakt mit ihnen und umgehe Plätze, wo sie sich aufhalten. Aber vertrackt ist, dass die Gewalt in versteckter und verfeinerter Form -quasi als Kitt der Gesellschaft- noch viel verbreiteter, ja, fast universell, ist.

LG gummibaum

Erich Kykal

Re:Zartbesaitet
« Antwort #2 am: Dezember 23, 2013, 22:10:39 »
Hi, Gum!

Danke für deinen Kommi! Das Gedicht spiegelt mein eigenes Selbst im Alter von 15,16, 17 Jahren - damals hielten nur Feigheit und die Tatsache, dass ich noch zu wenig gelebt hatte, mich vom Suizid ab. In meiner damaligen Schulklasse war ich, ein kleiner, dicklicher, bebrillter Scheitelträger in Pensionistenklamotten, der Arsch vom Dienst: Einzelkind, Außenseiter, Spinner, Sonderling. Damals hatte ich nicht Erfahrung und die rechten Mittel, mich zu wehren, bloß mein zynisches Mundwerk hielt mich sozusagen über Wasser!
Seit jener Zeit aber habe ich tiefes Verständnis für Gemobbte und für "Freaks" aller Art.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re:Zartbesaitet
« Antwort #3 am: Dezember 25, 2013, 10:06:38 »
Hallo Erich,

danke für deine Antwort. Sie führt das Gedicht an seine Wurzeln zurück. Deine persönliche Situation damals, die eines Getretenen auf der Grenze zur Selbstaufgabe. Mit diesem individuellen Hintergrund liest sich das Gedicht für mich noch intensiver, ohne aber seine Übertragbarkeit zu verlieren.

Liebe Grüße
gummibaum

cyparis

Re:Zartbesaitet
« Antwort #4 am: Dezember 25, 2013, 15:09:36 »
Und ich dachte zuerst an H.v. Kleist!

Dir muß sich das Damalige ungeheuer tief eingebrannt haben, daß Du heute noch so eindringliche und starke Worte dafür findest.
Ich sehe Dich, seit ich Dich kenne, ganz anders:
Als der Fels in der Brandung, der in sich ruht und anderen Menschen Halt gibt.


Ganz liebe Grüße, lieber Erich,


von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Erich Kykal

Re:Zartbesaitet
« Antwort #5 am: Dezember 25, 2013, 16:02:46 »
Hi, Cypi!

Lach - der Fels in der Brandung ist eins der kurzlebigsten Gesteine! ;D Das Wasser gewinnt immer! ;) Aber vielen Dank für das unverdiente Kompliment! :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.