Autor Thema: Verblassen  (Gelesen 2479 mal)

Erich Kykal

Verblassen
« am: Dezember 10, 2013, 23:38:15 »
Das Leben ist uns ausgegangen,
wir zwangen es am Ende nicht,
verloren, was wir je errangen,
verlangend bis ans letzte Licht.

Die keine Liebe wussten, fallen
aus allen Wolken in die Zeit.
Bewusste Wünsche, sie verhallen,
vergehen welk in ihrem Kleid

vergilbten Sehnens. Wir erkühlen
und wühlen zag nach jedem Wort,
das noch verbindet mit Gefühlen,
und spülen mit Erinnern fort,

was uns verblieb vom bunten Reigen.
Wir zeigen nach der ernsten Ruh,
dem letzten Auseinanderschweigen,
und neigen uns dem Abend zu.
« Letzte Änderung: Oktober 26, 2021, 13:12:00 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re:Verblassen
« Antwort #1 am: Dezember 11, 2013, 21:58:37 »
Lieber Erich,


meinst Du mit dem "zeigen nach" in der letzten Strophe das "deuten auf"? Ich denke schon.
Das melancholisch angehauchte Gedicht besticht durch die Assonanzen (nennt man das so?), die eine ganz eigene Melodie schaffen.
Ungewöhnlich ist für mich, daß fallen - wenn auch einmal mit Vorsilbe, zweimal in einer Strophe "fällt".
Aber ich habe mich sofort damit versöhnt.
Das Gedicht strahlt eine eigentümliche Abgeklärtheit aus, die eher zu mir als zu Dir passen mag.
Schön!


Ganz lieben Abendgruß
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Erich Kykal

Re:Verblassen
« Antwort #2 am: Dezember 11, 2013, 22:40:04 »
Hi, Cypi!

Auch anderswo kam es wegen des "zeigen nach" zu Missverständnissen. Du hast recht mit deiner Vermutung, aber des Reimschemas wegen kann ich das Wort nicht ersetzen. Heute sagt man eher "zeigen auf", aber "zeigen nach" sollte noch verständlich sein.

Das Reimschema ist eigentlich dasselbe wie beim Gedicht "Morgenlied - in memoriam RMR" (Weltenwege, Seite 276), bloß dass es nicht A-aB-C-cB ist, sondern A-aB-A-aB.

Ich wollte wieder mal etwas mit diesem Schema zu Papier bringen, das Thema ergab sich wie nebenbei.

Das "fallen/(allen/verhallen/)verfallen" ist mir bewusst, auch wenn es nicht in einer Vorsilbe vorkommt, wie du schreibst. Zum einen gibt es bei diesem Reim nicht viele Alternativen, zum anderen ließ mir der inhaltliche rote Faden noch weniger Auswahl. Ich hoffe, die Stelle ist insgesamt erträglich. ;)

Zum Grad der Abgeklärtheit vermag ich nichts zu sagen, aber der Inhalt entstammt meinem Unterbewussten, und das scheint sich offenbar schon für ein älteres Semester zu halten... ;)

Vielen Dank für deine Gedanken!

LG, eKy
« Letzte Änderung: Dezember 11, 2013, 22:48:01 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re:Verblassen
« Antwort #3 am: Dezember 12, 2013, 15:07:40 »
Lieber Erich,

auch wenn es nicht in einer Vorsilbe schreibst Du.
Habe ich auch nicht behauptet. Ich schrieb mit  einer Vorsilbe. :)

Das "zeigen nach" finde ich poetischer als "deuten auf" und es war mir auch klar, was gemeint ist.
Zieh mal von Deinem "älteren Semester" ein paar Häute ab, dann stimmt es wieder! ;)

Ganz lieben Gruß
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Erich Kykal

Re:Verblassen
« Antwort #4 am: Januar 27, 2014, 17:00:57 »
Hi, Cypi!

Mit dem "zeigen nach" ist hier eher gemeint, dass wir uns so schön langsam in diese Richtung neigen.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re:Verblassen
« Antwort #5 am: Januar 27, 2014, 17:06:27 »
Hallo Erich,

ein ernüchterndes Thema. Gut umgesetzt, das Auseinanderleben. Erinnert mich etwas an Kästers "Sachliche Romanze".

Sehr gern gelesen (ich schrieb übrigens gleichzeitig mit dir).

LG gummibaum

Daisy

Re:Verblassen
« Antwort #6 am: Januar 27, 2014, 17:52:20 »
Hallo Erich,

wie schön, dass dieses bemerkenswerte Gedicht wieder aufgetaucht ist!
Es hat, wie auch das eine oder andere deiner Gedichte, eine melancholische Note und klingt auch ein wenig nach Resignation, was ich aber sehr mag.

Ganz besonders gut gefällt mir hier aber auch das Reimschema mit den zeilenübergreifenden Binnenreimen, ein spezieller Kunstgriff! Das ist absolut hitverdächtig!

Vor dieser tollen Leistung ziehe ich meinen Hut! Bravissimo!  :)

LG Daisy


Erich Kykal

Re:Verblassen
« Antwort #7 am: Januar 27, 2014, 20:37:13 »
Hi, Gum!

Ich habe zwar nie in der Tasse gerührt wie die beiden in Kästners Gedicht (das ich für eins seiner besten halte) - mangels ausreichend intensiver Beziehungen, die dann so hätten in die Brüche gehen können - aber ich verstehe, was du meinst! ;D

Hi, Daisy!

Vielen Dank für soviel des Lobes! Ich hoffe, es zu verdienen... :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re:Verblassen
« Antwort #8 am: Januar 28, 2014, 10:06:55 »
Sorry, lieber Erich,

da du so starkes Grinsen aufsetzt, habe ich mich mit meiner Auslegung, die sich auf "Liebe" und "Auseinanderschweigen" stützte, wohl geirrt.

LG gummibaum


Erich Kykal

Re:Verblassen
« Antwort #9 am: Januar 28, 2014, 20:13:43 »
Hi, Gum!

Dass ich in einem Kommi mal heiter antworte, heißt nicht zwingend, dass das Gedicht oben auch humorig gemeint gewesen sein muss! Deine Auslegung war durchaus korrekt, nur bei der Antwort stach mich wohl etwas der Hafer.

Allerdings war meine Intention eher ein Gedicht vom Lebensende, wie der Titel suggerieren sollte. Aber Beziehungen können ja auch verblassen, von daher ist deine Deutung durchaus berechtigt.
S2 berichtet hier allgemein von jenen, die im Leben keine Liebe fanden - oder nie empfanden. Das Erkühlen in S3 bezieht sich auf die schwindende Lebenskraft, du lasest ein Abflauen von Gefühlen für einen Partner hinein. Wie gesagt, auch diese Sichtweise ist okay.

Vielen Dank für diese neue Facette!

LG, eKy

Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re:Verblassen
« Antwort #10 am: Januar 28, 2014, 21:02:30 »
Danke für deine Antwort, Erich. Dass wahrscheinlich eher von der Schwelle vor dem ewigen Schweigen gesprochen wird, wie du klarmachst, hatte mir auch schon gedämmert.

LG gummibaum

Erich Kykal

Re: Verblassen
« Antwort #11 am: August 24, 2021, 10:42:01 »
Interessant, dass ich schon 2014 (und wenn ich es recht bedenke, schon seit 10 Jahren davor) so "sterblich", sprich morbide drauf war - da wusste ich noch gar nichts davon, dass ich Krebs hatte. Allein das eigene Älterwerden ließ mich schon nachdenklich und traurig werden und über die Unausweichlichkeit der (vor allem physisch-menschlichen) Entropie nachsinnen!

Ich muss mich zusammenreißen! Ein zu "negatives" Gesamtwerk wird mir die ohnehin schmale Leserschaft vergraulen ...

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

hans beislschmidt

Re: Verblassen
« Antwort #12 am: August 25, 2021, 09:10:53 »
Genau Erich ... zusammenreißen ... und die Krankheit überwinden ... hierzulande gibt's auch keine Anreize... keine Jungfrauen, kein  Walhallagelage und der olle Türsteher Petrus macht auch nichts daher. Also weiter kämpfen. Gruß vom Hans
"Lyrik braucht Straßendreck unter den Fingernägeln" (Thomas Kling)

Erich Kykal

Re: Verblassen
« Antwort #13 am: August 25, 2021, 11:21:06 »
Hi Hans!

Danke für den zugesprochenen Mut bezüglich meiner Erkrankung, auch wenn mein "Zusammenreißen" oben hinsichtlich meiner Werke gemeint war, die mir zu oft zu negativ geraten, zu dauernd traurig, pessimistisch und zehrend für den Leser.
Anreize habe ich genug, da ich vor Corona auch schon nicht viel anders lebte als seither mit. Und zu kämpfen habe ich nicht viel, abgesehen von den lästigen Nebenwirkungen der Dauerchemo. Zu überwinden gibt es nichts - heilbar ist meine Form nicht. Man kann sie eine gute Weile in Schach halten, wenn man Glück hat.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

hans beislschmidt

Re: Verblassen
« Antwort #14 am: August 25, 2021, 15:03:52 »
Lieber Erich,
Das ist sehr traurig, was ich da lese. Ich wünsche dir Mut und Kraft ... halte durch.
Gruß vom Hans
"Lyrik braucht Straßendreck unter den Fingernägeln" (Thomas Kling)