Schneewittchen
Frau Königin, die schwanger war,
gebar ein Mädchen: schwarz sein Haar,
die Lippen rot und weiß die Haut.
Hat wie ein Engel ausgeschaut.
Doch starb die Mutter. Und schon bald
hat sich der Vater neu verknallt.
Nahm eine eitle Frau ins Schloss,
die so ein Engel prompt verdross.
Wollt, dass ihr Spiegel einzig rief:
„Ihr seid die Schönste hier, Frau Stief.“
Doch sprach das Ding nach einer Frist:
„Schneewittchen vielmals schöner ist!“
Da war die Frau vor Schreck eiskalt,
sprach bös zum Jäger: „In den Wald
schlepp mir dies Kind, erstech’s dort leis
und bring das Herz mir zum Beweis.“
Den Jäger stach des Kindes Schmerz,
er ließ es laufen. Gab ein Herz
der Königin aus Schweinerumpf.
Die fraß es kichernd voll Triumph.
Und über sieben Berge lief
Schneewittchen. Tief im Walde schlief
ein leeres Haus. Dort trat es ein,
fand sieben Bettchen, klein und rein.
Bald kehrten sieben Zwerge heim,
die wussten sich drauf keinen Reim,
dass man ihr Essen angefasst,
doch einer fand im Bett den Gast.
Wie lieblich ist des Kinds Gestalt
im Schlaf! fühlt‘ jeder mit Gewalt
und als Schneewittchen war erwacht,
so durft‘ es bleiben Tag und Nacht.
Zur gleichen Zeit, da trat im Schloss,
die Frau, die ihren Mord genoss,
zum Spiegel, rief mit Siegessinn:
„Sprich endlich, dass ich Toppgirl bin!“
Drauf gab der Spiegel laut bekannt:
„Jawohl, die Schönste hier im Land.“
Dann leiser: „Bei den Zwergen doch,
Schneewittchen ist viel schöner noch.“
Die Königin, grüngelb vor Neid,
zog an der Krämerinnen Kleid,
sie schminkte sich als altes Weib
und schrie: „Ich schnüre dir den Leib!“
Nahm Riemen mit, lief siebenmal
den Berg hinauf, hinab ins Tal
und siehe da, grad sah heraus
Schneewittchen aus dem Zwergenhaus.
Es dacht sich mit naivem Sinn:
„Ich helf dir, arme Krämerin,
kauf Riemchen.“ Doch die schnürte fest,
bis alle Luft heraus gepresst.
Die Zwerge fanden es wie tot.
Doch, losgeschnürt, trat frisches Rot
auf seine Wangen und es hob
den Kopf. Man rief: „Es lebt, gottlob!“
Der Zwergenschar war völlig klar,
wer hier mit List am Werke war.
Sie warnten: „Schatz, die Tür lass zu,
das böse Weib gibt keine Ruh!“
Schneewittchen aber blieb naiv
und als verkleidet wieder rief
die Königin die Ware aus,
verließ sie abermals das Haus.
Vergiftet war ein alter Kamm
als erstes, dann, ein Apfel, stramm
und als es abbiss von dem Rot,
sank es zu Boden und blieb tot.
Allein, Schneewittchen war noch schön.
Und um es immer anzusehen,
schloss man des Mädchens Ebenmaß
in einen Sarg ein, ganz aus Glas.
Als nun ein Prinz den Wald durchritt,
fand er den Sarg: „Die nehm ich mit!“
rief er betrübt und doch entzückt. -
Die schöne Leich‘ ward rausgerückt.
Die Träger schulterten den Sarg
und stolperten sofort so arg,
dass sich das gift’ge Apfelstück
im Halse lockerte zum Glück.
Und plötzlich saß Schneewittchen froh
in ihrem Sarg. Und lichterloh
entflammte da des Prinzen Herz.
Er sprach: „Wir heiraten März!“
Das wollte das Schneewittchen auch. -
Man lud zum Fest. Und ganz nach Brauch
auch Mutter Stief recht herzlich ein,
doch diesmal sollt es Rache sein.
In Eisenschuhen, glühend rot
zu tanzen, bis sie mausetot
zu Boden fiel, war ihr Geschick. -
Schneewittchen aber blieb im Glück.