Autor Thema: Wochenende  (Gelesen 1495 mal)

gummibaum

Wochenende
« am: November 09, 2013, 09:17:31 »
Die Woche hab ich hinter mich geworfen
wie schwere Rüstung, die das Herz beengt,
die Wunden sind allmählich am Verschorfen,
und die verdrehten Glieder eingerenkt.

Ich recke mich nach langer Nacht verschlafen,
vom Traum erquickt, ein Balsam, der benetzt,
vorüber alle Folter, alle Strafen,
die Angst, der ich so lange ausgesetzt.

Nun öffnet sich der Tag in seiner Weite,
der Weg ist frei und niemand sprengt heran,
die Wolken ziehen ruhig mich beiseite
und kündigen mir tiefen Frieden an.
« Letzte Änderung: November 09, 2013, 18:48:19 von gummibaum »

Erich Kykal

Re:Wochenende
« Antwort #1 am: November 09, 2013, 13:11:40 »
Hi, Gum!

Hier haben wir ein paar Problemchen, die nicht so einfach aus der Welt zu schaffen sind, ohne größer umzubauen:

Die Woche habe ich von mir geworfen Unnatürliche Betonung. Hier muss in der Phrase "von mir geworfen" das "mir" betont werden, um im Takt zu bleiben. Es sollte aber das "von" sein!
gleich einer schweren Rüstung, die beengt, Unnatürliche Betonung. In der Phrase "gleich einer..." sollte das "gleich" betont sein, hier muss man das "einer" betonen.
die Wunden sind allmählich am verschorfen "Verschorfen" hauptwörtlich gebraucht, daher groß. Komma am Zeilenende.
und die luxierte Hüfte eingerenkt.

Ich recke mich nach langer Nacht, durchschlafen, Hier wäre "verschlafen" verständlicher, da ein solches Adjektiv wie hier eigentlich stets vor das Bezugswort gestellt wird: "nach langer, durchschlafener Nacht"
wie von erquickendem Balsam benetzt, Unnatürliche Betonung. Man muss das "von" betonen, um im unbetonten Auftakt zu bleiben, es sollte bei dieser Phrasierung aber das "wie" sein. Auch "Balsam" wäre unnatürlich auf der 2. Silbe betont, folgte man dem vorgegebenen Betonungsschema.
vorüber alle Folter, alle Strafen,
die Angst, der ich so lange ausgesetzt.

Nun öffnet sich der Tag in seiner Weite,
nichts sperrt den Weg und niemand sprengt heran, Doppelbetonung. Hier müssen beide Eingangsworte betont werden, um verständlich zu bleiben, wodurch sie sehr rasch gesprochen werden müssen.
die Wolken ziehen ruhig mich beiseite
und kündigen den tiefen Frieden an. Verständlicher, klarer wäre m.E. hier ein "mir" statt des "den".


Der Stil ist wuchtig, aber mit lustigem Einsprengsel - Pathos mit Augenzwinkern sozusagen. Die luxierte Hüfte geht stilistisch eindeutig ins Komische hier, wenn man das Gedicht liest.
Allerdings scheint es die einzige so interpretierbare Stelle zu sein - also doch nur ein "Ausrutscher"?
Jedenfalls verstärkt es so das insgesamt indifferente Bild, das durch die Anzahl der Betonungsprobleme entsteht.

Mein Rat: Nochmal drübergrübeln!

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re:Wochenende
« Antwort #2 am: November 09, 2013, 13:34:09 »
Die Woche hab ich hinter mich geworfen
als schwere Rüstung, die das Herz beengt,
die Wunden sind allmählich am Verschorfen,
und die verdrehten Glieder eingerenkt.

Ich recke mich nach langer Nacht verschlafen,
vom Traum erquickt, ein Balsam, der benetzt,
vorüber alle Folter, alle Strafen,
die Angst, der ich so lange ausgesetzt.

Nun öffnet sich der Tag in seiner Weite,
der Weg ist frei und niemand sprengt heran,
die Wolken ziehen ruhig mich beiseite
und kündigen mir tiefen Frieden an.


Lieber Erich,

du hast dir viel Arbeit gemacht. Danke! Ich war heute morgen zu rasch mit dem Gedicht und habe nach erstem Ausschlafen auch immer eine Kater, das heißt, dass mein Denken nur langsam, unter gelegentlichem Festhaken, in Gang kommt. Bin's nun nochmals durchgegangen. Wenn's jetzt mindestens erträglich ist, tausche ich obiges Machwerk durch die zweite Vesion aus.

LG gummibaum
« Letzte Änderung: November 09, 2013, 13:46:06 von gummibaum »

Daisy

Re:Wochenende
« Antwort #3 am: November 09, 2013, 13:42:56 »
Lieber Gummibaum,

ganz wunderbar, du sprichst mir mit diesem Gedicht aus dem Herzen und der Seele!  :D

Ein schönes und besonders friedliches Wochenende wünsche ich dir!  :)

LG Daisy

gummibaum

Re:Wochenende
« Antwort #4 am: November 09, 2013, 14:48:02 »
Danke, Daisy. Ich hoffe, dass du die zweite, an Erichs Einwänden gereifte Version meinst.

Wünsche dir auch ein schönes Wochenende.

LG gummibaum

Erich Kykal

Re:Wochenende
« Antwort #5 am: November 09, 2013, 18:42:34 »
Hi, Gum!

Der morgendliche Kaffee scheint deinen grauen Lyrikzellen sehr gut zu tun! Ja, diese 2. Version ist sehr gereift und sauber.

Winzigkeit: In S1Z2 würde ich statt des "als" eingangs der Zeile ein "wie" setzen.

Diesmal sehr gern gelesen und genossen! :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re:Wochenende
« Antwort #6 am: November 09, 2013, 18:56:17 »
Ja, Nucleus poeticus, limisches System und Broca-Areal sind wieder in Kontakt. Das "wie" hat die ganze Sache abgerundet und die Endversion den Ausgangsmüll substituiert.

Patient dankt.

Mit besonders LG gummibaum

cyparis

Re:Wochenende
« Antwort #7 am: November 16, 2013, 20:40:17 »
Lieber Gummibaum,

ich hätte das "als" nicht gegen das "wie" getauscht.
Das wie verlangt m.E. einen Artikel

(Er kam als Ritter/er kam wie ein Ritter),

aber das soll dich nicht kümmern.
Das Gedicht ist schön, wie es jetzt ist, mir gefällt es (mit der kleinen Einschränkung).

Mögen alle Deine Morgen befreit beginnen!

Herzlichen Gruß
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
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