Autor Thema: Den Zugvögeln  (Gelesen 1536 mal)

gummibaum

Den Zugvögeln
« am: Oktober 19, 2013, 23:12:38 »
Der Herbst macht kahl. Vom Himmel schwirren Stimmen,
ein großer Pfeil, gepunktet, zieht vorbei,
unzählig Vögel, die mit wildem Schrei
im blauen Meer aus Luft nach Süden schwimmen.

Ich bin zu gern in all den letzten Jahren
beflügelt diesen Schwärmen nachgereist.
Nun hat das Alter mich hier festgeschweißt.
Ich grüße sie, die Wegbereiter waren.

Nur eins, ihr Ziehenden, ist mir geblieben,
die Sehnsucht nach Erlösung und nach Licht.
Gewachsen neu, die Poesie. Und wundgerieben,

befreit aus Fesseln plötzlich ein Gedicht,
und mehr und mehr hab ich davon geschrieben -
auch so verliert die Schwere ihr Gewicht.





Dies Sonett beachtet Erichs eherne Regeln noch nicht.

Erich Kykal

Re:Den Zugvögeln
« Antwort #1 am: Oktober 19, 2013, 23:45:33 »
Hi, Gum!

Es sind nicht MEINE "ehernen Regeln"! ;D Im Gegenteil - ich halte mich selbst oft genug nicht daran, weil ein allzu enges Korsett atemlos machen kann, sprich, die Möglichkeiten einschränkt, kreativ mit Sprache umzugehen. Natürlich ist es eine Herausforderung, sich an alle Regeln zu halten, aber eine Verpflichtung um jeden Preis sollte es keinesfalls sein! :D

Vorschläge:
S1Z4 - Schöner fände ich: "im blauen Meer der Luft..."

S2Z3 - Alternative für ein lyrischeres Bild: "nun hat das alter mich hier festgeeist." Schweißen erinnert mich an Werkstatt, Hitze, Glut und verbranntes Metall in der Luft...

S3Z3 - das "wundgerieben" versteht man in diesem Zusammenhang nicht gleich, weil der Bezug nicht eindeutig ist. Man könnte es auch auf die "Poesie" beziehen. Meine Theorie: Der Ausdruck nimmt Bezug auf das "Gedicht" in S4Z1, das sich in den Fesseln des Alltags (die leider nicht erwähnt werden, was zu nämlichen Verständnisproblemen führt) wundgerieben hat, ehe die Poesie im Alter erblühen durfte und es befreit hat: Endlich darf die Seele sprechen!


Rundherum ein veritables Sonett, das keinen Vergleich zu scheuen braucht! Sehr schöne und besinnliche Conclusio obendrein!

Das einzige, was Puristen bemeckern könnten, sind die 4 Reime in den Quartetten (wird heute längst als normal anerkannt) und die männlichen Kadenzen in den umarmten Zeilen der Quartette sowie in 3 der Terzinenzeilen. Da diese aber keineswegs hart und kantig wirken, sondern alles im Lesefluss organisch und rund bleibt, sehe ich darin überhaupt kein Problem!

Allergernst gelesen und genossen!

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re:Den Zugvögeln
« Antwort #2 am: Oktober 20, 2013, 09:39:30 »
Lieber Erich,

ich bin sehr froh, dass es dich gibt! Vielen Dank. Ich werde mich später an die Korrekturen machen. Bei "festgeschweißt" dachte ich eher an Prometheus, von es aber heißt, dass er am Fels "festgeschmiedet" seine Strafe verbüße. Das "wundgerieben" bezieht sich nicht auf das Gedicht, sondern auf das LI, dass sich in den Fesseln des Alters und der Sehnsucht (nicht des Alltags) wundreibt, bis ihm von der neu gewachsenen Posie Befreiung seitens eines Gedichtes, in dem es sich ausprechen kann, zuteil wird. Ich sehe, dass ich hier mehr Klarheit schaffen muss.

LG gummibaum
« Letzte Änderung: Oktober 20, 2013, 19:56:05 von gummibaum »

Daisy

Re:Den Zugvögeln
« Antwort #3 am: Oktober 20, 2013, 15:51:44 »
Lieber Gummibaum,

auch du scheinst am Erstellen von Sonetten Geschmack gefunden zu haben, das freut mich, da sind wir schon zu zweit!  ;)

Es gefällt mir sprachlich und inhaltlich sehr gut, denn der Zug der Vögel in den Süden weckt auch in mir jedesmal den Wunsch, es ihnen gleichzutun.
Sehr schön auch die Terzette und der wunderbare Schluss!

Ja, und auf Erich kann man sich verlassen, seine unermüdlichen Hilfestellungen sind äußerst schätzenswert.

LG Daisy

cyparis

Re:Den Zugvögeln
« Antwort #4 am: Oktober 27, 2013, 13:24:39 »
Da ich wirklich sehr simpel gestrickt bin, kann ich nur sagen:

Mir gefällt es sehr gut.
Und ich habe, naiv wie ich bin, an richtige Zugvögel, nicht an Flugzeuge gedacht - beim Lesen.


Herzlichen Gruß
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

gummibaum

Re: Den Zugvögeln
« Antwort #5 am: Oktober 14, 2021, 08:29:01 »
Der Herbst nimmt zu, vom Himmel rufen Stimmen,
ein großer Pfeil aus Punkten zieht vorbei:
Die Kraniche, die schnell mit rauem Schrei
im blauen Meer der Luft nach Süden schwimmen.

Ich bin so gern in all den letzten Jahren
im Flugzeug diesen Schwärmen nachgereist.
Und hat mich jetzt das Alter festgeeist,
so grüß ich doch, die Wegbereiter waren.

Denn eins, ihr Ziehenden, ist mir geblieben,
die Sehnsucht nach der Wärme und dem Licht.
Von ihr ins Land der Poesie getrieben

fand ich nun eigne Flügel im Gedicht,
und mehr und mehr hab ich davon geschrieben -
auch so verliert das Schwere sein Gewicht.

 

(überarbeitet 14.10.21)
« Letzte Änderung: Oktober 15, 2021, 10:43:29 von gummibaum »

Erich Kykal

Re: Den Zugvögeln
« Antwort #6 am: Oktober 14, 2021, 23:18:24 »
Hi Gum!

Spät, aber doch - immerhin 8 Jahre hat es gebraucht bis zur Überarbeitung!  ;) :D

(Vernachlässigbares Detail zum erwähnten Datum: Heute ist der 14.10. ...)

Sehr gern erneut genossen!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Den Zugvögeln
« Antwort #7 am: Oktober 15, 2021, 10:44:05 »
Danke, lieber Erich.

LG g

a.c.larin

Re: Den Zugvögeln
« Antwort #8 am: Oktober 16, 2021, 12:46:27 »
hallo gum,
das ist wirklich ein wunderschönes gedicht, seine stimmungsvollen bilder wecken allerhand träume bei mir....

nur schade - ich fand den begriff
  "festgeschweißt" irgendwie besser, und zwar deshalb, weil es die unabäbderlichkeit mehr zum ausdruck bringt. Was "festgeeist" ist, könnte irgendwann ja wieder loskommen, wenn z.b. das wetter oder das klima wärmer wird. "festgeschweißtes" hingegen bliebe da fix.
wie gut, wenn da die poesie - trotz alledem- "fluchtpunkte" bietet!

Lg, larin


gummibaum

Re: Den Zugvögeln
« Antwort #9 am: Oktober 20, 2021, 11:55:12 »
Danke, liebe larin.

Ja, die Poesie bietet "Fluchtpunkte".
Es gab hier vor 2 Wochen wieder viele Kranichschwärme, und da suchte das alte Gedicht heraus. Die Überarbeitung sollte eine Verbesserung ergeben, aber die ist wohl nicht dabei herausgekommen.

Liebe Grüße von gummibaum