Autor Thema: Identifikation  (Gelesen 822 mal)

Seeräuber-Jenny

Identifikation
« am: Oktober 18, 2013, 09:19:26 »
Damals war es sonnenklar,
dass ich Papas Wunschkind war.
Nach drei Söhnen (vielleicht mehr?)
sollte eine Tochter her.

Ich war Papas kleiner Schatz,
ging mit ihm zum Fußballplatz.
Mama raufte sich das Haar,
wenn mein Kleid ganz schmutzig war.

Und mit Dreizehn fand ich’s schön,
wie ein Junge auszusehn,
trug ne blaue Levis-Kluft,
roch die frische Bikerluft.

Bis ich mit nem Kerl rumhing,
der mir an die Wäsche ging.
Machte für ihn jederzeit
nunmehr meine Beine breit.

Fand nen Job dann im Büro,
doch ich war nicht richtig froh,
denn gering war mein Gehalt.
Bin ne Frau, so ist das halt.

Aber meinen Intellekt
hab ich trotzdem nicht versteckt.
Ja, ich denk, ich weiß Bescheid,
trag ich auch ein Minikleid.

Meckern will ich heut nicht mehr,
denn genießen tu ich’s sehr,
wenn die Männerwelt mich liebt
und mir ein paar Drinks ausgibt.

Kann alleine rumspaziern,
ganze Nächte diskutiern.
Freiheit ist der süße Lohn
unsrer Emanzipation.

Bin kein King, bin keine Queen,
auch nicht wirklich in between,
don’t identify at all.
Ich bin ich. Ist das nicht toll?
Ideale sind wie Sterne. Wir erreichen sie niemals, aber wie die
Seefahrer auf dem Meer richten wir unseren Kurs nach ihnen.
Carl Schurz

Erich Kykal

Re:Identifikation
« Antwort #1 am: Oktober 18, 2013, 10:26:02 »
Hi, Jenny!

Ein veritables Statement von Selbstbewusstsein und objektiver Eigenschau. Aufrichtig, geradeaus, ehrlich.

Sehr authentisch, sehr gern gelesen!

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re:Identifikation
« Antwort #2 am: Oktober 18, 2013, 14:50:30 »
Liebe Jenny -


das kommt so locker-flockig daher, daß ich mich an Irmgard Keun und Winifred Wolfe erinnert fühle.
Wenn ich bedenke, welche Schwierigkeiten im Zuge der Emanzipation zu überwinden waren...!
(Bis weit in die fünfziger Jahre durfte eine Frau nicht ohne Erlaubnis ihres Mannes arbeiten gehen!)

Ich bin ein Stück älter als Du und muß zu meiner Schande gestehen, daß ich seinerzeit das Pascha-Wesen ganz normal fand.

Umso besser, daß Freiheit und Emanzipation gesetzlich festgeschrieben sind, wenn auch noch nicht überall umgesetzt (vor allem bei den Löhnen und Posten nicht).

Habs sehr gern gelesen und z.T. mitgelebt, Dein Gedicht. Falls es authentisch ist:
Bravo, daß Du Deinen Intellekt nicht versteckt hast!


Herzlichen Gruß
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
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