Autor Thema: Lebensnomade  (Gelesen 1875 mal)

Erich Kykal

Lebensnomade
« am: Juni 16, 2013, 08:49:20 »
Er blieb nie lange Zeit an einem Orte,
verlor sich immer wieder in der Welt,
erträumte seinen Reichtum nicht in Geld
und machte darum auch nur wenig Worte.

Er fand bei guten Menschen manches Dauern,
und tauschte doch es für ein Morgen ein,
das ihn nach Fernen zog und neuem Sein,
das er betrat mit einem stillen Schauern.

Nur manchmal, wenn er fremde Tage schaute,
beschlich ihn ein Erinnern an zuhaus,
und dann geschah es, dass ihm leise graute

vor seinem Niemandsland, tagein, tagaus.
In solchem Augenblick, da seine Seele taute,
erkannte er sein Licht - und tat es aus.
« Letzte Änderung: Juni 16, 2013, 08:53:20 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Daisy

Re:Lebensnomade
« Antwort #1 am: Juni 17, 2013, 19:55:06 »
Hallo Erich,

das ist so ein schönes Gedicht - tolles Thema und großartig ausgeführt - und dann macht mich der Schluss so traurig!
Aber ich lese dann ganz einfach noch mal das erste Quartett und bin wieder vergnügt.

Mir gefällt es aber genau so wie es ist! Klasse!

LG Daisy

Erich Kykal

Re:Lebensnomade
« Antwort #2 am: Juni 18, 2013, 09:19:04 »
Hi, Daisy!

Ich habe in der Conclusio bewusst offen gelassen, ob dieses Lichtaustun nun als Suizid zu verstehen ist oder eher als ein Wegleugnen, Verdrängen des Protagonisten interpretiert werden soll. Da soll jeder das Bild beschwören, das ihm näher liegt!

Ich habe selbst ein oder zwei dieser Ruhelosen kennengelernt. Irgendwann brennen sie aus und stranden irgendwo jenseits ihrer nie formulierten Ziele, tatsächlich wie Treibholz an irgendeinem Ufer, wo es zuletzt begraben wird, verrottet und zerfällt. Traurig? Vielleicht nur aus der Sicht dessen, für den eine Illusion von "Heimat" wichtig ist. Denn was ist das letztlich anderes als bloß eine Vorstellung in unseren Köpfen?

Wir sollten nicht von uns aus auf das schließen, was unserer Ansicht nach für andere seligmachend sein sollte! ;) :D

Vielen Dank für deine Gedanken!

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re:Lebensnomade
« Antwort #3 am: Juni 18, 2013, 11:40:35 »

Ich habe in der Conclusio bewusst offen gelassen, ob dieses Lichtaustun nun als Suizid zu verstehen ist oder eher als ein Wegleugnen, Verdrängen


zum Glück, lieber Erich!
So bin ich nicht gezwungen, gleich das Schlimmste anzunehmen.

Ein wundervolles Sonett, da sitzt jedes Wort wie angegossen.
Jeden Schritt kann ich im Inneren mitgehen.
Nur beschreiben kann ich es nicht so exquisit!


Ganz Lieben Gruß
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

gummibaum

Re:Lebensnomade
« Antwort #4 am: Juni 18, 2013, 12:27:55 »
Sehr schön und sehr gut nachvollziehbar, die innere Unruhe, der Ausbruch und dann, in der Freiheit, das betrübliche Alleinsein und die Selbstzweifel. Warum nicht direkter: und trat es aus.   ?  LG gummibaum

Erich Kykal

Re:Lebensnomade
« Antwort #5 am: Juni 18, 2013, 20:44:19 »
Hi, Cypi, Gum!

Meine Inspiration hierzu war ein mir seit langem bekanntes und sehr hoch geschätztes Rilkegedicht:

Der Fremde

Ohne Sorgfalt, was die Nächsten dächten,
die er müde nichtmehr fragen hieß,
ging er wieder fort; verlor, verließ -.
Denn er hing an solchen Reisenächten

anders als an jeder Liebesnacht.
Wunderbare hatte er durchwacht,
die mit starken Sternen überzogen
enge Fernen auseinanderbogen
und sich wandelten wie eine Schlacht;

andre, die mit in den Mond gestreuten
Dörfern, wie mit hingehaltnen Beuten,
sich ergaben, oder durch geschonte
Parke graue Edelsitze zeigten,
die er gerne in dem hingeneigten
Haupte einen Augenblick bewohnte,
tiefer wissend, daß man nirgends bleibt;
und schon sah er bei dem nächsten Biegen
wieder Wege, Brücken, Länder liegen
bis an Städte, die man übertreibt.

Und dies alles immer unbegehrend
hinzulassen, schien ihm mehr als seines
Lebens Lust, Besitz und Ruhm.
Doch auf fremden Plätzen war ihm eines
täglich ausgetretnen Brunnensteines
Mulde manchmal wie ein Eigentum.


Aus: Der neuen Gedichte anderer Teil


Diese hier erzeugte Stimmung wollte ich duplizieren und transportieren - was wohl nur bedingt gelungen zu sein scheint. Na ja - ich bin eben kein Rilke! ;)

Warum nicht "austreten"? - Ich sah beim Schreiben eher das Bild eines Leuchtens in der Hand vor mir, als versuchte man, einen kleinen Stern zu bergen - im übertragenen Sinne. Auf "Treten" bin ich da nicht gekommen, und es erscheint mir, gemessen am erstrebten lyrischen Duktus, auch zu hart und brutal. Außerdem gefällt mir die alte Wortschöpfung "austun" so gut - ich steh unheimlich auf dieses oft zu Unrecht verschüttete Sprachgut! Unsere Sprache war einst viel schöner und reichhaltiger - seit jedoch die Medien eher die bildungsfernen Schichten bedienen, weil das Quote bringt, ist die Kunst erhabener Rhetorik leider so gut wie ausgestorben! Höchst bedauerlich! Weltkriege und die Kulturbarbarei der Nazis taten ein übriges, um unsere Sprache ernüchtern und verrohen zu lassen - und nicht zuletzt die moderne Anbetung der "Effizienz"! Karge Zeiten für Liebhaber barocken Sprachschatzes! Ich habe fertig! ;D

Vielen Dank für eure wohlmeinenden Gedanken!

LG, eKy
« Letzte Änderung: Juni 18, 2013, 20:45:59 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re:Lebensnomade
« Antwort #6 am: Juni 18, 2013, 20:53:13 »
Weltkriege und die Kulturbarbarei der Nazis taten ein übriges, um unsere Sprache ernüchtern und verrohen zu lassen - und nicht zuletzt die moderne Anbetung der "Effizienz"! Karge Zeiten für Liebhaber barocken Sprachschatzes!


Wie wahr!
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Erich Kykal

Re: Lebensnomade
« Antwort #7 am: Januar 05, 2021, 11:19:00 »
Und es bleibt leider so wahr ...
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.