Autor Thema: Lieblingswerke, die Lieblingsdichter inspirierten  (Gelesen 2653 mal)

Seeräuber-Jenny

Lieblingswerke, die Lieblingsdichter inspirierten
« am: Mai 21, 2010, 20:20:48 »
Viele Werke von Dichtern wurden von anderen zitiert und weitergesponnen.
 
So ließ sich Theodor Fontane von William Shakespeares drei Hexen aus Macbeth inspirieren, als sich 1879 in Schottland ein großes Eisenbahnunglück ereignete und die Firth-of-Tay-Brücke zusammenstürzte. Hier die 1. Szene aus Macbeth:

William Shakespeare: The Tragedy of Macbeth

ACT I, SCENE I.

[An open place. Thunder and lightning. Enter three Witches.]

FIRST WITCH.
    When shall we three meet again
    In thunder, lightning, or in rain?

SECOND WITCH.
    When the hurlyburly's done,
    When the battle's lost and won.

THIRD WITCH.
    That will be ere the set of sun.

FIRST WITCH.
    Where the place?

SECOND WITCH.
    Upon the heath.

THIRD WITCH.
    There to meet with Macbeth.

FIRST WITCH.
    I come, Graymalkin!

SECOND WITCH.
    Paddock calls.

THIRD WITCH.
    Anon.

ALL
    Fair is foul, and foul is fair:
    Hover through the fog and filthy air.

[Witches vanish.]

Und hier Fontanes Adaption:

Theodor Fontane: Die Brück' am Tay

»Wann treffen wir drei wieder zusamm'?«
»Um die siebente Stund', am Brückendamm.«
»Am Mittelpfeiler.«
»Ich lösch die Flamm'.«
»Ich mit.«
»Ich komme vom Norden her.«
»Und ich vom Süden.«
»Und ich vom Meer.«
Hei, das gibt ein Ringelreihn,
und die Brücke muß in den Grund hinein.«
»Und der Zug, der in die Brücke tritt
um die siebente Stund'?«
»Ei, der muß mit.«
»Muß mit.«
»Tand, Tand
ist das Gebild von Menschenhand.«

Auf der Norderseite, das Brückenhaus -
alle Fenster sehen nach Süden aus,
und die Brücknersleut', ohne Rast und Ruh
und in Bangen sehen nach Süden zu,
sehen und warten, ob nicht ein Licht
übers Wasser hin »ich komme" spricht,
»ich komme, trotz Nacht und Sturmesflug,
ich, der Edinburger Zug.«

Und der Brückner jetzt: »Ich seh einen Schein
am andern Ufer. Das muß er sein.
Nun, Mutter, weg mit dem bangen Traum,
unser Johnie kommt und will seinen Baum,
und was noch am Baume von Lichtern ist,
zünd alles an wie zum heiligen Christ,
der will heuer zweimal mit uns sein, -
und in elf Minuten ist er herein.«

Und es war der Zug. Am Süderturm
keucht er vorbei jetzt gegen den Sturm,
und Johnie spricht: »Die Brücke noch!
Aber was tut es, wir zwingen es doch.
Ein fester Kessel, ein doppelter Dampf,
die bleiben Sieger in solchem Kampf,
und wie's auch rast und ringt und rennt,
wir kriegen es unter: das Element.

Und unser Stolz ist unsre Brück';
ich lache, denk ich an früher zurück,
an all den Jammer und all die Not
mit dem elend alten Schifferboot;
wie manche liebe Christfestnacht
hab ich im Fährhaus zugebracht
und sah unsrer Fenster lichten Schein
und zählte und konnte nicht drüben sein.«

Auf der Norderseite, das Brückenhaus -
alle Fenster sehen nach Süden aus,
und die Brücknersleut' ohne Rast und Ruh
und in Bangen sehen nach Süden zu;
denn wütender wurde der Winde Spiel,
und jetzt, als ob Feuer vom Himmel fiel,
erglüht es in niederschießender Pracht
überm Wasser unten... Und wieder ist Nacht.

»Wann treffen wir drei wieder zusamm'?«
»Um Mitternacht, am Bergeskamm.«
»Auf dem hohen Moor, am Erlenstamm.«
»Ich komme.«
»Ich mit.«
»Ich nenn euch die Zahl.«
»Und ich die Namen.«
»Und ich die Qual.«
»Hei!
Wie Splitter brach das Gebälk entzwei.«
»Tand, Tand
ist das Gebilde von Menschenhand«


« Letzte Änderung: Mai 21, 2010, 20:40:53 von Seeräuber-Jenny »
Ideale sind wie Sterne. Wir erreichen sie niemals, aber wie die
Seefahrer auf dem Meer richten wir unseren Kurs nach ihnen.
Carl Schurz