Autor Thema: Aufwachen  (Gelesen 1999 mal)

Erich Kykal

Aufwachen
« am: Mai 12, 2013, 06:05:15 »
Gefangen in der Zeit, an der ich zitternd reife,
belausche ich den Uhrenzeiger, der mich pfählt
mit jeder der Sekunden, die er für mich zählt
auf einem Schicksalsweg, vor dem ich täglich kneife!

Wie ich den neuen Tag als ein Geschenk begreife,
der sich aus unumzäunten Schattennächten schält,
wird mir das Dunkel dort, das meine Seele quält,
zur schwarzen Festung, die ich jeden Morgen schleife!

Zu ahnen, wer ich bin und wo ich zweifelnd stehe,
ist nicht so köstlich, wie ich lebenslang gedacht.
Ich weiß der immerzu versäumten Träume Nähe

wie tausend Nadelstiche um den Saum der Nacht.
Doch wenn ich morgens die geflickten Segel blähe,
bin ich ein Admiral vor seiner letzten Schlacht...
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Daisy

Re:Aufwachen
« Antwort #1 am: Mai 12, 2013, 13:57:51 »
Hallo Erich,

was anderes sollte man zu solch einem Sonett sagen als: Ganz große Klasse!

Du formulierst unglaublich raffiniert und dabei erscheint der ganze Text völlig unverkrampft und natürlich.
Ganz hervorragend auch die beiden letzten Verse, oder vielleicht doch eher alle Verse.

Dir liegt nicht nur die Wortkunst im Blut, du bist ganz schlicht die Lyrik in Person!

LG Daisy

Erich Kykal

Re:Aufwachen
« Antwort #2 am: Mai 15, 2013, 09:29:21 »
Hi, Daisy!

Vielen Dank für die Blumen! ;)

Das von dir angesprochene letzte Terzett ist ein schönes Beispiel für meine Art zu schreiben: Die Nadelstiche um den Saum der Nacht, eigentlich eine Metapher für ein ungutes Gefühl über versäumte Träume im Terzett davor, regte mich zu den Folgezeilen an, die das Bild in eine Metapher auf Wiederherstellung, Heilung weiterweben, indem sie mit den "geflickten Segeln" indirekt ein Bild des Nähens in die Nadelstiche hineinvermitteln. So sind die Nadelstiche hier mit zwiefacher Bedeutung besetzt - als Schmerz und als Heilung. Das war allerdings nicht von vornherein so geplant! Eine Zeile führte eben immer zur nächsten, das Vernetzen geschah intuitiv, auf einer teilweise unbewussten Ebene. Deshalb werde ich auch immer bescheiden bleiben: Es ist ein Geschenk, für das ich nichts kann, für das ich kaum Arbeit aufbringen muss. Es ist kein Lohn für harte Arbeit und hingebungsvolle Selbstbildung, auf den ich rechtschaffen stolz sein könnte - ich weiß nicht mal genau, wie es passiert! Gedichte stoßen mir eher zu, als dass ich sie konstruiere.
Darum beschämt mich allzu viel Lob auch immer ein wenig, so sehr es mich auch freut, es zu lesen. :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re:Aufwachen
« Antwort #3 am: Mai 15, 2013, 17:03:34 »
Mich siehst Du angesichts der geblähten Segel sprachlos.

Meine Lobreden sind zu abgenutzt, um zu neuen Segeln zu taugen.


Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Erich Kykal

Re:Aufwachen
« Antwort #4 am: Mai 15, 2013, 18:33:19 »
Hi, Cypi!

Ich glaube, du bräuchtest einen eigenen "Hochgenuss-Smiley", extra für deine Antworten zu meinen Gedichten! ;D ;) :-*

Vielen Dank für den verbalen Kniefall (schont die Bandscheiben und den Meniskus! :D)!

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re:Aufwachen
« Antwort #5 am: Mai 18, 2013, 12:02:55 »
Was soll mir ein smiley .....

d e n  passenden gäbe es nie und nimmer.
Der Schönheit treu ergeben
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gummibaum

Re:Aufwachen
« Antwort #6 am: Mai 31, 2013, 19:20:39 »
Lieber Erich,

ich habe das Gedicht jeden Tag wieder gelesen und ja, es ist schon scharf an der Grenze des Sagbaren formuliert und beeindruckend. Ich habe mir auch mal deine Stimme im Internet angehört. LG gummibaum

Erich Kykal

Re:Aufwachen
« Antwort #7 am: Mai 31, 2013, 19:26:51 »
HI, Gum!

Gedicht trifft es, denn ein Sonett im engen Sinne ist es nicht: Jede Zeile hat hier 6 Heber anstatt der geforderten 5.

Wenn dir meine Stimme gefällt: Hab ich auf DoppelCD mit Musik dazwischen: Die 99 besten Gedichte aus dem Buch "Weltenwege". ;) ;D

Schleichwerbende Grüße, eKy 8)
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re:Aufwachen
« Antwort #8 am: Juni 01, 2013, 11:08:10 »
Kann ich nur in höchsten Tönen preisen!

Macht das Bett (geschlossenen Auges, offenen Ohres) zum Paradies.
Der Schönheit treu ergeben
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copyright auf alle Texte

Daisy

Re:Aufwachen
« Antwort #9 am: Juni 01, 2013, 11:15:28 »
Ich kann das ebenfalls bestätigen!

Der pure Genuss!  :)

Aspasia

  • Gast
Re:Aufwachen
« Antwort #10 am: Juni 01, 2013, 16:51:49 »
belausche ich den Uhrenzeiger, der mich pfählt

Der Vers ist eine Wucht - die Grausamkeit des Sekundenzeigers! Da wird jeder Schlag zum Einschlag.

Erich Kykal

Re:Aufwachen
« Antwort #11 am: Juni 01, 2013, 16:55:29 »
Verbeuger!

Danke für das Lob! Stärkt meine schwache Seite und schmeichelt meiner starken! :D

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.