Autor Thema: Schweig, um zu hören!  (Gelesen 1795 mal)

Erich Kykal

Schweig, um zu hören!
« am: April 04, 2010, 14:27:37 »
So ist das Leben: Lautes Lärmen an den Türen,
durch die das stille Unbekannte uns betritt.
Und das ist Glaube: Hoffen dass, woher sie führen,
ein Trost auf jenen wartet, welcher schweigend litt.

Und so sind Menschen: Ewig treibende Verstörte
im Überlauten, wo ihr Lebensgieren brüllt.
Nur der allein ist ganz, der auf die Stille hörte,
die sein Erleben reinigt und mit Kraft erfüllt.

Denn das ist Schweigen: Unser Ruhen in den Dingen,
die jenen Punkt bezeichnen, der zuletzt verbleibt,
wenn dieser Erde urbeseeltes Bildersingen
das Sterbliche aus allen Lebenszielen treibt.
« Letzte Änderung: Juli 27, 2023, 08:20:10 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re:Schweig, um zu hören!
« Antwort #1 am: April 05, 2010, 21:53:44 »
Lieber Erich Kykal!

zuerst eine kleine "lyrische" Replik:

Aus meinem Schweigen quillt in jeder Nacht
ein Singen, das ich selbst nicht nenne.
Es steigt in mir. Und ich bekenne:
Dies leise Singen birgt die höchste Macht.

Ich weiß, das ist sehr inferior.

***


So ist Leben: Lautes Lärmen an den Türen,
durch die das stille Unbekannte uns betritt.  ("uns betritt" möchte ich, wenn es mein schönes Gedicht wäre, ädern in "zu uns tritt ", da ich das Betreten aus der Landwirtschaft kenne  ...Hähne und Hennen. Ich glaube, Du hast Ähnliches gemeint, wie das Betreten eines sakralen Raumes. Totzdem..)
Und Glauben: Hoffen dass, woher sie führen,  (von wo..??)
Lohn für den wohnt, welcher schweigend litt.

Und so sind Menschen: Treibende Verstörte
im Überlauten, wo ihr Lebensgieren brüllt.  (hier lechze ich nach dem  "da", weil es zweideutiger ist!)
Nur der ist ganz, der auf die Stille hörte,
die sein Erleben reinigt und mit Trost erfüllt.  (schön!)

Denn so ist Schweigen: Ruhen in den Dingen,
die jenen Punkt umwachsen, der verbleibt,
wenn dieser Erde großes, urbeseeltes Singen (ur? wirklich? )
das Sterbliche aus allen Lebenszielen treibt.


Ja, wie soll ich denn nun meine Bewunderung formulieren?
Ein neues, nichtvielsagendes Wort:

Groß!


Dankbaren Gruß
von
cyparis

Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Erich Kykal

Re: Schweig, um zu hören!
« Antwort #2 am: Dezember 15, 2020, 23:25:25 »
Hi!

Fand zufällig dieses alte Werk und habe nunmehr die damaligen metrischen Ungleichgewichte getilgt, wie ich es in der Neuauflage meines ersten Bandes auch getan habe. Die Urversion findet sich noch in Cyparis' Kommi, zum Vergleich für die Interessierten.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Agneta

  • Gast
Re: Schweig, um zu hören!
« Antwort #3 am: Dezember 19, 2020, 11:51:01 »
Ja, lieber Erich, Stille und Schweigen bringen uns uns selbst näher. Ein ganz anderes Schweigen als das, was man aus Mutlosigkeit zum Widerspruch produziert.
LG von Agneta

AlteLyrikerin

Re: Schweig, um zu hören!
« Antwort #4 am: Dezember 19, 2020, 12:45:09 »
Hallo Erich,


ich freue mich, dass dieser Text, um seiner metrischen Verbesserungen willen, noch einmal präsentiert wird. In den Wiesentiefen, in denen alte Texte ruhen, schaue ich, mangels Zeit, fast niemals nach. Nun lese ich, in sehr bildhaften Versen, was auch meiner innersten Überzeugung entspricht. Ohne Stille, ohne die Fähigkeit seinem Leben reflektierend nachzugehen, ohne solche Kriterien wie Erfolg oder Anerkennung in den Mittelpunkt zu rücken, geht man leicht das Risiko ein sich selbst zu verfehlen.


Herzliche Grüße, AlteLyrikerin.

Erich Kykal

Re: Schweig, um zu hören!
« Antwort #5 am: Dezember 19, 2020, 13:07:16 »
Hi Agneta, AL!

Vielen Dank für die freundlichen Worte!  :)

2010 habe ich meine bis dahin publizierten dünnen Paperbacks zum ersten gebundenen Buch "Weltenwege" zusammengefasst, darin auch das obige Werk. Leider habe ich erst danach wirklich gelernt, was saubere Metrik bedeutet - davor dichtete ich rein nach Sprachmelodie und akkustischem Eindruck und glaubte mich schon perfekt ...  ::).

Die Folge: In diesem ersten Band fand ich in den späteren Jahren hunderte metrische Schnitzer, bis es mir endlich reichte und ich diese gesamte erste Auflage 2018 einstampfte. Ich überarbeitete das Buch komplett, strich einiges ganz und fügte späteres hinzu, damit es nicht allzu dünn würde. Aus dem roten wurde ein hellgrünes Buch.
Das kostete mich 8000 Euro extra, aber es ging nicht anders für einen Perfektionisten wie mich.  :-\

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
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Sufnus

Re: Schweig, um zu hören!
« Antwort #6 am: Dezember 19, 2020, 14:57:38 »
Ja, eKy, da hast Du Dein (damals schon besonderes und schönes) Werk durch die metrischen Angleichungen noch einmal auf ein höheres Niveau gehoben! :)

Und das ist ja ein komisches Ding mit der Ebenmäßigkeit innerhalb meiner Privatpoetologie: Sehr oft finde ich, dass das unebenere, fragmentarischere, gebrochenere Schreiben zu größerer Poesie führt, weil die Brechungen eine Verletzlichkeit andeuten, durch die das an die Verwerfungen angrenzende Schöne noch stärker betont wird. Auch bedingt - nach meiner Poetologie - der Non-finito-Aspekt des Unvollkommenen eine größere Freiheit für den Leser, eigene Zugänge zu einem Text zu finden.

Und doch! Und doch: Sehr häufig ist trotz allem die Abrundung und "saubere" Verarbeitung der richtigere Weg zu einem gelungenen Text, und der Verzicht auf die Detailarbeit huldigt nicht etwa einer gewollten Freiheit des Schreibens oder der Kunst des Weglassens, sondern ist bloß der Schlampigkeit und Unfähigkeit des Autors geschuldet.

Wann also ist das Ebenmaß richtig und wann die gebrochene Schreibe?

Du hast da die in sich geschlossenere Poetologie für Dich gefunden: Allemal immer das Ebenmaß! :)
Ich arbeite noch an einem schlüssigen Konzept...  :-\

LG!
S.

P.S.:
Was der Sanglichkeit Deines Werkes übrigens m. E. noch gut tun würde, wäre ein (regelmäßiger!) Wechsel von 6- und 5-Hebigkeit - nicht im Sinne eines Querreims (der wäre ja wiederum wonniglich für eine Querdenkerparodie geeignet), sondern im Sinne einer dem Kreuzreimschema entsprechenden gekreuzten Metrik - also Reimschema A-B-A-B und metrisches Schema 6-5-6-5 usw. :)
« Letzte Änderung: Dezember 19, 2020, 15:00:11 von Sufnus »

Erich Kykal

Re: Schweig, um zu hören!
« Antwort #7 am: Dezember 19, 2020, 22:04:24 »
Hi Suf!

Vielen Dank für die heimeligen Worte!  :)

Deinen Tipp am Ende werde ich demnächst mal beherzigen.

Zur erwähnten Thematik: Ein rein auf Sprachmelodie fußendes Werk kann durchaus wunderschön und in sich schlüssig sein - wenn man weiß, dass es ein gewollter, planvoll eingesetzter Effekt ist und keine - wie du richtig erwähnst - lyrische Unfähigkeit oder Unwissenheit. Leider wusste ich ab einem bestimmten Zeitpunkt, dass genau letzteres bei meinen frühen Werken der Fall war, und das reichte mir schon, um mir die spätere Lektüre letztlich unerträglich zu machen.

LG, eKy

PS: Habe mir heute auf amazon den ersten Band von Theodor Kramer bestellt - bin schon wohlig gepannt!  :D

Habe dort gelesen, dass in Band 2 jene Gedichte stehen, die er nie publiziert hat. Was dann noch für Band 3 bleiben soll, wird gar nicht beschrieben. Weißt du da mehr?
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Sufnus

Re: Schweig, um zu hören!
« Antwort #8 am: Dezember 22, 2020, 20:17:27 »
Hi eKy!
Deine aktuelle Lyrikanschaffung lässt mein Herz vor Freude hüpfen! :) Wir hatten uns ja schon einmal über Kramer ausgetauscht und er gehört in der Tat zu meinen ganz besonderen Lieblingen! :) Bei dem von Dir angeschafften Band (es sind bestimmt die von Erwin Chvojka herausgegebenen gesammelten Gedichte) weht mich schon das Vorwort von Bruno Kreisky elegisch-nostalgisch an... welcher hochrangige Politker (zu Kreisky als Politiker kann man natürlich sehr unterschiedlicher Meinung sein - aber ein erstrangiger Vertreter des Fachs war er) bekäme heute noch authentisch-zusammenhängende Sätze zu einem großen Lyriker zusammen? Ein paar gibt es vielleicht noch, aber der denkende, geistvolle Politiker scheint eine aussterbende Spezies zu sein.
Nunja... das ist ja nicht das Thema...
Jedenfalls muss man bei Kramer immer berücksichtigen, dass er ein manischer Vielschreiber war, vielleicht der produktivste deutschsprachiger Lyriker überhaupt, niemand kann die Zahl seiner Gedichte beziffern, irgendwann im fünfstelligen Bereich hat man aufgehört zu zählen. Und das gebietet die Ehrlichkeit zu sagen: Nicht alles kam da gleich vollendet zu Papier, es gibt Schnellschüsse und Struddeligkeiten (die man aber leicht ausbessern könnte). Aber es gibt auch kaum einen Dichter, der eine solche Sanglichkeit in seinen Werken erreicht hat. Und anders als Rilke tritt dem Leser ein Dichter auf Augenhöhe gegenüber, ein verletzlicher, mal leidender, mal unleidlicher Mitmensch. Schließlich: Sein stupender Wortschatz. Dem Band wurde, wenn ich mich richtig entsinne sogar ein Glossar beigegeben, damit man einige nicht voraussetzbare Ausdrücke nachschlagen kann.
Für mich ist Kramer einer der ganz großen deutschsprachigen Lyriker des 20. Jh. Warum Österreich da so gut vertreten ist? Man fragt sich. Ich glaub, die tun Euch was in den Kaffee...
LG!
S.
P.S.:
Achja... die Frage nach dem 3. Band: Ich hab es so verstanden, dass Band 1 hauptsächlich in Büchern veröffentlichte Gedichte umfasst (und solche, die thematisch dazu passen), in Band 2 hauptsächlich zur Veröffentlichung in Buchform vorgesehene Gedichte zusammengetragen wurden und in Band 3 sind dann gänzlich unveröffentlichte Trouvaillen und solche Gedichte, die nur in Zeitschriften erschienen, versammelt. :)

Erich Kykal

Re: Schweig, um zu hören!
« Antwort #9 am: Dezember 22, 2020, 21:22:56 »
Hi Suf!

Danke für die Info zu den Bänden. Ich werde jetzt erst mal Band 1 lesen und dann entscheiden, ob ich mir die anderen Bände auch zulege.

Kreisky steht bei mir übrigens hoch im Kurs, vom rein menschlichen Standpunkt her. Wie du sagtest: Intelligent, gebildet und geistvoll. Über die heute erfolgreichen Dumpfdemagogen und Fassadenposer hätte er sicher einiges zu bemerken, was jene wahrscheinlich gar nicht verstehen würden!

Du findest, Österreich hätte eine höhere Dichte an guten Dichtern? Vielen Dank, sehr schmeichelhaft. Vielleicht liegt es an der österreichischen Sprache, deren Dialekte weicher und melodischer sind als das Hochdeutsch oder viele nördlichere Idiome.
Mein Vorteil (und vielleicht auch der von Rilke und anderen) war, dass mein Vater dafür sorgte, dass ich zuerst Hochdeutsch lernte, ehe ich in Kindergarten und Schule zwangsläufig in den Dialekten geschult wurde. so lernte ich beides: Melodische "sangliche" Sprache und exakt formulierte Hochsprache und konnte dies irgendwann zu meinem Nutzen verbinden.
Interessanterweise aber mag ich keine Mundartgedichte. Der Dialekt, so gut er mein Ohr auch erzog, war mir für die edle Lyrik immer zu derb, zu minder. Oder zumindest nicht meins zum Dichten.


LG, eKy
« Letzte Änderung: Mai 03, 2021, 23:29:39 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Schweig, um zu hören!
« Antwort #10 am: Dezember 23, 2020, 21:44:42 »
Hi eKy!
Ich bin gespannt auf dein kritisches Urteil. Einige Verse von Kramer, namentlich seine Liebeslieder, aber auch sein Requiem auf einen toten Faschisten oder einige seiner Lieder aus dem ersten Weltkrieg, gehören für mich zu den schönsten Gedichten der letzten 100 Jahre. :)
LG!
S.
P.S.:
Und mit den schönen österreichischen Dialekten magst Du recht haben, ihr Mitschwingen in der inneren Stimme mag der Lyrik durchaus sehr förderlich sein! :)

Erich Kykal

Re: Schweig, um zu hören!
« Antwort #11 am: Dezember 23, 2020, 22:55:11 »
Hi Suf!

Das "Requiem an einen Faschisten" habe ich mir auf YouTube angehört - das war der auslösende Grund, mir das Buch endlich zu bestellen. Er richtete es an Weinheber, wenn ich nicht irre.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Schweig, um zu hören!
« Antwort #12 am: Dezember 25, 2020, 15:37:38 »
Hi!
Genau - es geht an Weinhebers Adresse - als ich das Gedicht das erste Mal las, wusste ich das noch nicht. Für mich "funktioniert" es auch abseits dieses Kontextes, wobei Weinheber schon eine interessante Persönlichkeit der Nazizeit war... sein "in Ruah lossen!" wird bleiben.
LG!
S.