VORWORT
Dieses Büchlein entstand aus dem
Bedürfnis heraus, jenen Bildern, die
mich ganz persönlich zu beeindrucken
vermochten, ein kleines Lob zu singen.
Folgerichtig sind sie in ihrer Abfolge
keinem speziellen Genre, keiner speziellen
Epoche zugeordnet, wenn auch die
meisten impressionistisch und manche
expressionistisch sind, wie ich zugeben
muss – eine persönliche Vorliebe.
Die Sonette beschreiben die Bilder und/oder
drücken meine eigenen Gedanken dazu aus,
die dann auch mal frei interpretieren und das
Gemälde inhaltlich fortspinnen oder ganz
nach eigener Lesart deuten. Dies sind aber
keine dogmatischen Auslegungen, sondern
entspringen vielmehr meiner jeweiligen
Stimmung, Laune oder dem zu jener
Zeit eingenommenen Standpunkt.
Die Sonette folgen auch keiner festgelegten
Struktur. Puristen mögen dies bekritteln,
aber mir waren Klang und Melodie wichtiger
als eiserne Regeln. Meines Wissens nahm
ein Rilke das auch nicht so genau. In den
ersten beiden Vierzeilern gibt es die
Reimschemata ABBA sowie ABAB, die
folgenden Dreizeiler divergieren ganz
nach jeweiligem Stimmungsbild.
Auch die Reime wechseln meist öfter
als laut engeren Sonettregeln vorgegeben.
Der Grund ist der nämliche – ein allzu enges
Korsett kann auch atemlos machen, wie ich
finde. So folgen meine Zeilen eher
Stimmungen als Regeln. Wer damit nicht
zurechtkommt, sollte das Buch nicht kaufen.
Allen anderen sei an dieser Stelle viel
Freude und Kurzweil mit meinem
bescheidenen Wortweben gewünscht.
Der Autor
MONA LISA (Leonardo da Vinci, 1503) --->
https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Mona_Lisa.jpgDu hüllst dein Lächeln wie in Haut aus Seide,
die deiner Augentiefe Fordern konturiert,
und beides trägst du an dir wie Geschmeide,
das ganze Zeitenläufte anrührt und verführt.
Die hellen Hände, sacht einander fassend,
als gürteten sie deine Wohlgestalt,
sowohl sich haltend wie sich halten lassend,
als wären sie und fänden sie dir Halt.
Du bist zugleich die Jungfrau und die Sünde,
bleibst Weib wie Engel, ewig rätselhaft.
Wer dich geschaut, erfindet tausend Gründe,
dich anzubeten und für dich zu brennen!
Doch du scheinst alle Seelen zu erkennen
und segnest sie mit deiner Erdenkraft.
DORFMÄDCHEN MIT HUND UND HENKELKRUG (Thomas Gainsborough, 1785) --->
https://www.pinterest.com/pin/504966176976113550/Nie trug die nackte Armut solch ein Dulden
gleichwie Versonnenheit, als dieser Blick
geprüfter Augen, deren Unverschulden
nie Trost für sie bereithielt und nicht Glück.
Gebrochen wie der Krug erscheint ihr Leben,
doch so wie er erfüllt sie ihre Pflicht,
und weiß doch Wärme, die sie kennt, zu geben,
fühlt auch ihr Dasein solche Wärme nicht.
Sie rührt mich an, ein Inbild alles dessen,
was uns versagen macht wie auch bestehn,
und sei sie auch begraben und vergessen,
so werden Lebende an diesem Bilde reifen,
wenn ihre Augen es als das begreifen,
was ihre Herzen längst schon darin sehn.
DER BRAND DES PARLAMENTSGEBÄUDES (J.M.W. Turner, 1835) --->
https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Turner_-_The_Burning_of_the_Houses_of_Parliament.jpgDein Brand gebiert die Welt, und doch verhüllt er,
was er beleuchten soll, wie Rauch aus Fumarolen.
Als hätte er Substanz, bewegt und überfüllt er
den Punkt, den er den Schatten rings gestohlen.
Nur flüchtig hingetupft sind manche Artefakte
aus Menschenhand, als sollten sie nicht sein,
wo sie dein Flammenleuchten fast bis ins Abstrakte
gleichsam entwerden lässt in seinem Spiegelschein.
Wer goss dir Schleier solchen Lichtes in den Pinsel,
dass er zugleich so flüchtig und so seltsam sicher
die Welt beseelte und begriff auf deiner Insel?
Was kelterte die Brücken und die fernen Dächer
aus Dunst und lichtem Dampf, des weicher Fächer
sie uns so vage macht und dennoch wesentlicher?
LANDSCHAFT BEI MENTON (Auguste Renoir, 1883) --->
https://fr.m.wikipedia.org/wiki/Fichier:Renoir_-_Landscape_on_the_Coast,_near_Menton,_1883.jpgDa wuchern Bäume auf wie braune Flammenlohen,
umwölkt von Blättern, deren grüner Rauch
ein Schattenspiel ins Gras wirft um die Hohen
wie einen Zauberbann der Sehnsucht auch.
So strahlend sommerlich sind alle Farben,
wie leicht bewegt, bewegend und grazil
der Wuchs der Blüten und der vollen Garben,
und keine einzige davon erscheint zuviel
in dieser Sinfonie aus Licht und Süden,
die durch die Sinne wie ein Träumen geht,
an dem die wachen Augen nie ermüden,
als wüchse hier ein Mittag ohnegleichen,
um aus den Pforten blauer Himmel sein Gebet
den Herzen wie aus Zweigen hinzureichen.
FISCHERBOOTE AM STRAND VON SAINTES-MARIES-DE-LA-MER (Vincent van Gogh, 1888) --->
https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Vincent_Willem_van_Gogh_042.jpgAls wollten sie im braunen Sande treiben
und bräuchten nicht das anverwandte Meer,
erscheint ihr Unbewegtsein, doch sie bleiben
an diesem Ufer, unerweckt und leer.
Von Mast und Takel sperrig überfangen,
bewohnt sie Farbigkeit wie aus geübter Hand.
Ein taubengrauer Himmel schmiegt die Wangen
an den durch sie allein geschmückten Strand.
Nur weit entfernt bewegen ihre Schwestern
die hohen Segel lautlos durch das Licht,
als hätte nie ein unbemanntes Gestern
sie ebenso gesehen wie die Boote,
die nun an Land gereiht wie farbenfrohe Tote
die Leere mäßigen durch ihr Gewicht.
DER KUSS (Gustav Klimt, 1908) --->
https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Kuss_(Klimt)#/media/Datei:The_Kiss_-_Gustav_Klimt_-_Google_Cultural_Institute.jpgSie herzen sich, als wäre ihr Umschlingen
des größten Stillehaltens einzige Bewegung,
des tiefsten Menschseins forderndes Gelingen
in dieser so zur Schau gestellten Regung.
Und wie das eine sich im andern gründet,
als wüßte es alleine nicht zu sein,
sich so zu einem Ganzen fügt und ründet,
so webt darin auch dein Gefühl sich ein.
Du bist der Mantel, der sie bergend hütet,
darin sie sich vergessen und vergehn,
und gleich, was eine kalte Welt durchwütet,
sie werden danach größer und erhaben,
gereifter an der Fülle seiner Gaben
aus deiner Obhut Wärme auferstehn.
DER TIGER (Franz Marc, 1912) --->
https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Marc,_Franz_-_The_Tiger_-_Google_Art_Project.jpgDie ganze Kraft im Schwunge hergewendet
nach einer Beute, die sein Auge bannte,
des Blickes Glut, die ahnen lässt: Hier endet,
was immer dieses Schauen auch erkannte.
Dies ist Bemächtigung aus einer Mitte,
die ihren Hunger kennt und ihre Kraft,
und keine Angst und kein Gebet und keine Bitte
macht solche Schärfe wieder schemenhaft.
Ein Tor geht auf zu deinem tiefsten Beben,
wo dieses goldne Starren dich zerbrach.
Dein Wollen wehrt sich kaum, als wäre Leben
bedeutungslos im Angesicht der Größe.
Dein Fleisch erkennt sie und gibt zitternd nach,
und seine Schauer streicheln deine Blöße.
STERNENNACHT (Vincent van Gogh, 1889) --->
https://de.wikipedia.org/wiki/Sternennacht#/media/Datei:Van_Gogh_-_Starry_Night_-_Google_Art_Project.jpgSind dies die letzten Spuren eines Niederfalls
von tausend Engeln aus dem Wirbelstrome
des mondenmächtigen, tiefblauen Weltenalls
hinunter in das Schattenreich der Dome?
Ist dies der Schmelz der ungezähmten Lichter,
die über tiefer dunkelnden Gefilden stehn,
ein Widerschein vom Sein erlöster Dichter,
die nach dem Tode durch die Himmel gehn?
Dies alles nicht? Wer kann dich tragen,
du seltsam losgelöstes Firmament?
Wer mag dich übertreiben, wer es wagen,
zu träumen von den Farben der Magie?
Wo ist die Seele, die sich in dir wiederkennt
und dich im Traum erwartet, vis-a-vis?
DIE ERFÜLLUNG (Gustav Klimt, 1905-10) --->
http://www.mak.at/programm/ausstellungen/gustav_klimt_erwartung_und_erfuellungHalt inne, Zeit, nur eine kleine Weile.
Am stillen Ufer solcher Seligkeit
hat man mit deinem Hingehn keine Eile,
und alles Abschiednehmen ist so weit.
Halt inne, Welt, schenk deine Augenblicke
dem Ineinandersinken ihres Seins,
denn ach, wie selten sind die kleinen Glücke,
und wirklich dauerhaft ist endlich keins.
Seht ihrem Fühlen ganz sie hingegeben,
als wären Zeit und Welt allein für sie,
und aller Tag und weiter alles Leben
umrahmte bloß ihr wesentliches Tun:
Was ihnen Schicksal wollte, war'n sie nie,
nur was die Liebe wollte, sind sie nun.
ADELE BLOCH-BAUER I (Gustav Klimt, 1907) --->
https://de.wikipedia.org/wiki/Adele_Bloch-Bauer_I#/media/Datei:Gustav_Klimt_046.jpgDas Gold um dich scheint kühl wie deine Lippen,
und wo die eine Hand der anderen zur Stütze
sich leise legt, fast wie zu sonst nichts nütze,
fällt deines Umhangs Saum herab wie Klippen.
So samten glüht dein Blick, dass man die Stille
nicht sehen mag, die seltsam darin fließt.
Dein Glanz gleicht dem, was dich umschließt:
Metallen scheint dein Angesicht, wie eine Hülle.
Wer sah dich so, gerahmt von einer Dichte,
die dich befangen machte wie ein Schmerz,
und deine Gegenwärtigkeit beinah zunichte?
Und wem gewährst du deine höchste Gunst?
Wer rührte doch dein so entrücktes Herz
mit allem Golde seiner schönsten Kunst?
ROTE PFERDE (Franz Marc, 1911) --->
https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Marc_-_Weidende_Pferde_-_Die_roten_Pferde.jpgSeid Anmut, Kraft und schiere Lebensfreude,
die euren Leibern so viel Regheit schenkt,
entronnen einem dunklem Stallgebäude,
das euch die Häupter wie die Herzen senkt.
Verliert euch in verspielten Kapriolen,
solang das jähe Rufen euch nicht findet,
das jene tun, die euch des Abends holen
nach Hut und Hege, die euch an sie bindet.
Seid beinah frei, seid ganz, seid rote Pferde
für die Momente, die euch keiner rief,
seid selten Glück und Seligkeit der Erde
all jenen, die euch gerne sehn und schauen,
da ihr erweckt, was lang in ihnen schlief,
weil es gefroren war - nun mag es tauen!
IRIS (Vincent van Gogh, 1889) --->
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:Vincent_van_Gogh_-_Irises_(1889).jpgWas lodert da aus braunen Erdengluten
so bläulich grün empor wie jähes Feuer,
dass die Betrachter vor dem Werk vermuten,
dies kalte Züngeln wäre nicht geheuer?
Was wächst und greift durch jeden Raum
nach Blüten, die wie Rauch entschweben?
Wir sehn und fassen es doch kaum -
dies ist gemalt, und doch: Am Leben!
Ein wenig Weiß, ein wenig Rot vermählt sich
den blassen Garben schüchtern, wie von ferne,
und unserem Beschauen, ach, entschält sich
ein so wie seltsam innehaltendes Begreifen:
Als wären's Blumen nicht, als wären's Sterne,
erschließt sich einer ganzen Schöpfung Reifen.
BÄUME UND UNTERHOLZ (Vincent van Gogh, 1887) --->
https://www.meisterdrucke.com/kunstdrucke/Vincent-van-Gogh/781178/B%C3%A4ume-und-Unterholz,-1887.htmlVon ferne dringt der Lichtung zartes Glühen
an die Verborgenheit der moderschwarzen Erde,
als werfe sie ein ihrer selbst bewußtes Mühen
ins dunkle Untergrün, auf dass es heller werde.
In ranken Garben drängen jugendliche Gerten
in unerklärter Sehnsucht nach dem Himmel,
und wie ein Traumgebilde wilder, alter Gärten
rinnt stilles Lebensgieren über Blattgewimmel.
In filigranen Zweigen atmet leise ein Gewicht,
als ob sie wispernd ein Geheimnis wüssten,
das sie der Sonne oben einst verraten müssten.
Noch tun sie's nicht und hüllen sich in Schweigen,
und doch kommt manchmal über sie ein Licht,
als dürften sie's in ihren Schattenspielen zeigen.
GRÜNES WEIZENFELD (Vincent van Gogh, 1890) --->
https://www.alamy.de/stockfoto-grune-weizenfelder-van-gogh-vincent-willem-1890-176206561.htmlDer hohe Himmel lockt die hellen Gräser
am Rand des Weges in sein blaues Licht.
Nur manchmal, wie ein Tusch der Bläser,
beugt sie des Windes wanderndes Gewicht
für Augenblicke, die Struktur und Neigung
in alle Grüne werfen, die ihn reflektieren,
bis weithin dort an Grates letzter Steigung
die Wellen sich im Weizenfeld verlieren.
So geht im Glühen immerlichter Weiten
ein Schauen hin, das sie ermalen wollte,
und meiner Blicke hungerndes Begleiten
ahnt nur der Seele tief gewusste Schwere,
die jenen Kontrapunkt der schwarzen Leere
entgegenwarf, die sie verschlingen sollte.
UNTERHOLZ MIT EFEU (Vincent van Gogh, 1889) --->
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Van_Gogh_-_Unterholz_mit_Efeu.jpegIn diesem Wald gerinnt das Sichbewegen
Spazierengehender zu einem Lauschen,
das innehält, dass ja kein Blätterregen
versäume, sich mit ihnen auszutauschen.
Hier, ahnt man, wächst ein Übergroßes, Stilles,
das niemals fragt und weiß und dennoch ist,
und es bezieht dich lautlos ein, und also will es,
dass du ein Teil von dieser großen Stille bist.
Beinah eroberte der Efeu längst die Bäume
mit schwarzem Grün, das ihre Zwischenräume
schon ausfüllt wie ein wucherndes Gewebe,
das alles sonst erstickt mit seinem Schatten,
sodass du dich verwundert auf den Matten
und wie von ferne flüstern hörst: Ich lebe!
GARTEN DES HOSPITALS SAINT-PAUL (Vincent van Gogh, 1889) --->
https://www.kunst-fuer-alle.de/deutsch/kunst/kuenstler/kunstdruck/vincent-van-gogh/26/1/137190/v-van-gogh,-garten-hospital-st-remy/index.htmWo dereinst Mönche, ins Gebet versunken,
hinwandelten auf ihrem stillen Pfade,
hat deinem Blick die kleine Bank gewunken,
die längs der Mauer steigender Gerade
im Schatten hohen Laubwerks sich versehnte,
dass einer käme, so wie du, der sie besetzt,
und, während er das Ohr ins Horchen lehnte,
erwartend, dass ein Rufen ihn verletzt,
sich ganz verlöre in dem alten Parke,
doch bald an seiner Heimlichkeit erstarke,
die wie ein Haus an eines Hauses Seite ist,
und ihn bewegt, der Büsche weiße Blüten
in einem Pinselstriche bergend zu behüten,
damit kein Schauender sie je vergisst.
BACH IM SONNENLICHT (Antonín Hudecek, 1897)
Noch bist du Unschuld, klarer Weidentäufer,
so reg und rein wie eines Kindes Tasten,
ein schlanker, jugendlicher Dauerläufer,
dem nicht bestimmt ist, jemals auszurasten.
Gealtert wird in tiefen Meeresbuchten,
beladen von der Menschen Werk und Last,
die deine Strömung zu benützen suchten,
dereinst versinken, was du Trübes hast.
Doch hier, an diesen grünen Wiesengründen,
bist du der Kinder heimlicher Vertrauter,
denn nur die Alten wissen um die Sünden,
die man sich auflädt immerzu im Fließen
durch Raum und Zeit, die - ewig angeschauter -
die trüben Augen bitten, sich zu schließen.
FRÜHSTÜCK IM GARTEN (Guiseppe De Nittis, 1884)
Wie bildet ein versunkenes Jahrhundert
am Tisch sich ab, in dieser Bäume Schatten,
als trüge es sein Fühlen, fast verwundert,
herauf durch Tage, die längst andre hatten.
Wer kennt noch hohe Kleider so wie jenes,
und tafelt so, als wäre endlos Zeit?
Wer hat sie noch für Lebendes und Schönes,
das seine Seele für den Tag befreit?
So vieles ändert sich mit seinen Zeiten,
doch manches dauert an durch alle Jahre,
die uns durch unser Erdensein begleiten:
Der Kinder Frohsinn und der Mütter Sorgen,
als sollte es bedeuten: Seht das Wahre...
und tragt es zärtlich in ein Bild von Morgen.
DIE WASSER DES MOGUDA (Joaquin Mir Trinxet, 1917)
Aus dunkler Ufer Unterwuchs erhebt sich
ein Farbenspiel im Zauberbann des Lichts.
Das Bild der Wasser kräuselt und belebt sich
vor einem Hintergrund, der angesichts
der heitren Tupfen jäh besonnter Grüne
ins Vage tritt, ein untertäniger Statist.
Er überlässt dem Laubwerk seine Bühne,
das bunt und wirr und vordergründig ist.
Und doch, welch Gleichklang der Nuancen!
Des Herbstes letzte Glut auf kahlem Ast,
ein warmer Wirbeltanz der letzen Chancen
auf kurze Tage und auf blasses Grün,
bevor ein Kaltes alle Wasser überfasst,
um seinen blinden Spiegel drauf zu ziehn.
TEICH IN MEDFIELD (Dennis Miller Bunker, 1889)
Wie wird der helle Anblick mir zuviel!
War ich je Kind genug, inmitten diesen
so wunderbar ins Licht getauchten Wiesen
zu spielen, sorgenlos und ohne Ziel?
Wie wird ein Blau zu Tiefe, die mich bindet!
An diesen Wassern geht ein andrer Tag
als der von je in bloßem Überdauern lag,
das mir die trübe Pflicht alltäglich findet.
Was ist's, was bleibt als eines Traumes Flöte,
die mich mit Farbentönen lockt ins Spiel?
Ich bleibe - wissend wohl, was Leben böte,
gerönne mir nicht alle Zeit zu Schulden -
ein dunkler Träumer ohne Sinn und Ziel,
den seine wachen Stunden wissend dulden.
21 - FÜCHSE (Franz Marc, 1913)
Der erste Blick: Ein flirrendes Zerwürfnis
von Form und Farben, unbedacht zerschnitten.
Man möchte einen Restaurator bitten,
es neu zu fügen nach harmonischem Bedürfnis.
Der zweite Blick erst öffnet ein Begreifen
von anderswo dem staunenden Bewussten
von Dingen, die in Tiefen wurzeln mussten,
um uns zu Größerem heranzureifen:
Wie wunderbar die sanft vertraute Nähe
in diesem Scherbenbild von Fuchs und Fähe,
im Welpentraum so inniglich verbunden
mit Wohl und Wärme eines tiefen Baues
und einer Zärtlichkeit, die nichts Genaues
verraten will - nur, dass sich Zwei gefunden.
22 - HEUSCHOBER BEI RAUREIF (Claude Monet, 1891)
Im Morgenlicht erglühen sanft die Matten
von übersilbertem, gedämpftem Grün,
das dort, in jener großen Haufen Schatten
dich fangen will und deinen Blick bemühn.
Noch höher wirft der Himmel sich ins Feuer,
als tilgte er die Nacht mit wilder Lust
und kühlt dabei ins Blaue ab, wird scheuer,
als würde ihm sein Dasein nun bewußt.
Und was er schafft, im jugendlichen Lichte
noch zag verwoben mit dem Firmament,
er macht es doch mit Helligkeit zunichte,
die sich durch alles Zwielicht brennt und schneidet
und nie die zarten Zwischentöne kennt,
in die sich morgendlich sein Werden kleidet.
23 - DAS BLINDE MÄDCHEN (John Everett Millais, 1856)
Um dich herum ist Leben, weltgewaltig,
und alles trinkt an Farbigkeit sich satt;
doch dein Gemüt, das keine Augen hat,
erkennt die Erde anders vielgestaltig:
Der Sonne warmes Glühen auf den Wangen,
fühlst du den Lufthauch, der dir Düfte bringt
und Melodien eines Frühlings singt,
die an dein Ohr und in dein Herz gelangen.
Du schweigst, um in dir einem Lied zu lauschen,
das, mit dem Klang umher sich auszutauschen,
so zärtlich durch die weiche Seele geht,
die in sich ruht, nicht aus der Welt gefallen,
nur tiefer noch in ihr und so mit allen
den Bildern wohlvertraut, die sie versteht.
24 - PALLAS ATHENE (Gustav Klimt, 1898)
Wie Überirdisches verwischt dein Auge
die Welt der Menschen, Göttin. Hohe Frau,
du schaust uns an, als wüsstest du genau,
was jeder, der dir naht, in Wahrheit tauge.
Du bist Metall aus einer reinern Esse
als alles, was dir huldigt und dich hegt,
und nichts als dies: Für immer unbewegt,
auf dass Bewegliches dich nie vergesse.
Wer bin ich, du unendliches Gesicht,
vor dir als das Fragment nur eines Ganzen?
Und wüsste ich um deine Gnade nicht,
ich müsste schauern vor dem ernsten Munde,
auf dem vielleicht zu unbelauschter Stunde
der Menschen Träume wie ein Lächeln tanzen.
25 - ALLEE IM PARK VOYER D'ARGENSON IN ASNIÉRES (Vincent van Gogh, 1887)
Der Mann, der selten lachte, ging spazieren
in einem Park, da viele Wege sind
und wirr sich teilen, Mann und Frau und Kind
ins Weite und in manche Nähe führen.
Er ging und dachte vielerlei Gedanken,
nahm kaum die anderen Gestalten wahr.
Nur eine schien ihm später seltsam klar,
als schon die Blüten und die Himmel sanken.
Er blickte lange auf den Weg zurück.
Da war es wiederum, das leise Ahnen
von ewig ungenutzten und vertanen
Gelegenheiten auf ein Stückchen Glück.
Und endlich wandte er, ein wenig kleiner,
sich traurig ab - und wurde irgendeiner.
26 - DOVEDALE IM MONDLICHT (Joseph Wright of Derby, 1785)
Wie fallen diese Schatten seltsam vage
vom Dämmern hinter hohen Bäumen her,
sie liegen auf den Gräsern, müd und schwer,
fast wie ein unerlöster Rest vom Tage.
Der Pfade Kiesel fallen nun ins Dunkel
und warten einsam auf das nächste Licht.
Der Trost der Nacht erreicht ihr Wesen nicht,
und nur den Teich erfüllt sein Sterngefunkel.
Die Stille streift die Wiesen und die Bäume
so anders als der trubelhelle Tag.
Sie weitet und eröffnet alle Räume,
die bunter Menschen Gegenwart geschlossen,
und was den Blicken tags verborgen lag,
liegt nun in eines Mondes Licht gegossen.
27 - DER ALTE MANN UND DIE JUNGEN BÄUME (Carl Larsson, 1883)
Da ging er hin und hatte tausend Pläne,
und wusste doch: Nicht einer würde wahr.
Er lief am Teich die Runde Jahr um Jahr,
entglitt der Welt und fütterte die Schwäne.
Da ging er hin und wusste tausend Dinge,
doch niemand lauschte seiner Murmelei.
Er lief die Runde wie ein stummer Schrei
des sterbenden Gehenkten in der Schlinge.
So ging er hin und ging der Zeit verloren,
fast wie das Ticken einer alten Uhr,
sich noch verschwendend an ertaubte Ohren,
doch leiser wird, wenn die Gewichte sinken.
So gehn wir hin, gehn das Vergessen trinken,
sind wir im Sein doch Augenblicke nur.
28 - DIE OLIVENBÄUME (Vincent van Gogh, 1889)
Das Land erscheint zu grüner Qual geronnen,
und die Oliven krallen sich ins Blau
entfernter Hügel, vage, ungenau,
wie unbeendet, was ein Kind begonnen.
Und doch herrscht Sommer voller Licht und Helle,
wirkt alles luftig, leicht und unbeschwert.
Die weiße Wolke, die den Himmel quert,
gleicht Brandungsschaum auf einer Lebenswelle.
Wie litt dein Blick an solcher Farbenfülle,
wie ging dein Sein an dieser Lust zugrund!
An soviel Schönem schautest du dich wund
und fingst es ein in diesem Bilderglühen,
aus dem ein unbeugsamer, starker Wille
nur immer eins zu wollen scheint: Sich mühen.
29 - STILLER TEICH (Albert Bierstadt, spätes 19. Jhdt)
Wie wird mir Freude an der Lust zu schauen,
wo Wiesen sind vor einem stillen Wald.
Ich halte inne, stehe stumm, und bald
steigt Friede aus den Matten, ein Erbauen
aus meinem Glück bis in der Bäume Kronen,
der Blätter tausend Grüne, außen lichter
und immer dunkler dort, wo innen dichter
sie wispernd ihren Schattenraum bewohnen,
wo sie, gestreichelt von der leichten Brise
nach Sommer weisen und nach reifer Fülle,
und meine Seele wächst aus ihrer Hülle
hinaus ans Wesentliche solcher Orte,
und schwebt enthoben aller Zeit und Worte
wie träumend weiter über Wald und Wiese.
30 - WEIZENFELD MIT ZYPRESSEN (Vincent van Gogh, 1889)
Du ahntest sie, die große Kathedrale,
die dich so überfließend im Gebet
erkannte, und so fand sie auf's Tapet
der Leinwand viele wundervolle Male.
Wie Türme jener Kirche die Zypressen,
und Weizen wächst wie Bänke zum Altar.
Hoch ins Gewölbe steigend wunderbar
das Fresko ihres Himmels, dran zu messen
dein Auge sich an dieser Fülle schulte,
und wo dein Wesen sich in Qualen suhlte,
erhob dein Schauen dich an eine Quelle,
die keine Schmerzen wusste oder Leiden.
Du kanntest beides und gehörtest beiden,
doch maltest Schöneres an deren Stelle.
31 - SEINEARM BEI GIVERNY (Claude Monet, 1897)
In Fernen wie nach Grün und Blau verschwimmend
liegt hoher Auwald in des Tages Dunst.
Gleich wahr wie spiegelnd zeigt sich deine Kunst,
im vagen Unbestimmten sich bestimmend,
als wäre eins dem anderen verwandter
denn was wir ungespiegelt täglich schauen.
Kann, wer dies sah, dem Auge je noch trauen?
Wir starren jeden Augenblick gebannter,
als suchten wir nach der erlernten Grenze
von Wahrheit oder Schein: Dem Spiegelrand.
Sind eins der Blätter und der Wellen Tänze
in diesem Rätsel? Wer die Lösung fand,
sucht darin nicht nach Wasser oder Land.
Er sieht in allem seine Welt zur Gänze.
32 - DER WALDTEICH (Thomas Moran, 1909)
Im zauberischen Bann von Licht und Leben,
im Takt mit Schattenflecken und Geäst
entsteht, was meine Seele tanzen lässt:
Ein Bild, danach die müden Sinne streben
gleichwie Verdurstende zur kühlen Quelle.
Und mag der Ort auch nur erfunden sein,
er steht für alles, was mir licht und rein
und so erhaben scheint wie diese Stelle.
Wär ich doch Moos an jenen runden Steinen,
ich schmiegte tief in diese Harmonie
mich ein, mein Sein mit ihrem Duft zu einen,
zutiefst zu wurzeln mit den alten Bäumen,
und um das dunkle Wasser, so wie sie,
von nichts als diesem Augenblick zu träumen.
33 - YERRES, PFAD DURCH DEN WALD IM PARK (Gustave Caillebotte, 1878)
Der Sommer flackert lodernd durch die Bäume
und wirft die Blätter in die grüne Glut,
die flimmernd wie der warmen Erde Blut
den Wald erfüllt bis in die tiefsten Räume.
Die Stämme werfen wegwärts lange Schatten,
und wie bemaltes Licht erscheint die Wiese,
doch soviel aus sich leuchtender als diese
sind noch die Kronen, die die übersatten,
hellichten Nachmittage widerspiegeln,
aus denen Glanz in diese Stelle rinnt
und im Betrachter jenes Buch entsiegeln,
in das ein Herz sein innigstes Erleben
wie ein Geheimnis schreibt, und es beginnt
ein wenig mehr noch in dem Bild zu leben.
34 - PLACE DE LA CONCORDE (Edgar Degas, 1875)
Momentaufnahme alternden Jahrhunderts,
zeigt sich die Malerei, und sie verstört
mit Mienen: Voneinander abgekehrt,
versonnen bis beliebig und, wen wundert's,
die ganze Flut der Leere still ertragend,
die dieser weite Hintergrund erfasst.
Die Stadt ringsum fällt ihnen nicht zur Last,
wie sie, so seltsam nichts und alles sagend,
sich nicht begegnen, nur im Rahmen bleiben,
weil sie ein blinder Augenblick verband;
und einzig nur der dunkle Mann am Rand
scheint den Moment betrachtend zu erleben,
und alle Zeit scheint nur an ihm zu kleben,
um ihn zu einem Farbfleck zu zerreiben.
35 - SONNENAUFGANG (George Inness, 1887)
Und wieder wächst dir Sonne in den Morgen,
erneut wird dir so unerbittlich Tag,
doch was auch immer darin leben mag,
hat keinen Hang nach deinen alten Sorgen.
Entrückt gehst du die wohlbekannte Runde,
und gehst sie ach so lange schon allein,
und länger noch wirst du alleine sein,
gebeugt verblutend an der alten Wunde.
Die Himmel brennen und die Wolken steigen
weit über deinem Welken in die Welt,
die lichterloh, was sie ins Leben hält,
umarmt zu eines neuen Tages Reigen,
und nur dein Schattensein ist abgewendet
von alledem, bis es im Schatten endet.
36 - DER ABSINTHTRINKER (Edouard Manet, 1859)
Verwaschen scheint sein leeres Angesicht,
in dem die Wirrnis seiner Welt sich spiegelt.
Ein letztes Glas, das seinen Schatten siegelt,
noch voller unverzehrtem, grünem Licht.
Die schwere Decke scheint ihn zu verhindern,
als schlösse sie sein stumpfes Leben ein,
und nur darunter weiß er noch zu sein,
und nur das Gift kann diese Schwere lindern.
Fast zärtlich wagt er einen Schritt zu setzen,
wie sich erhebend aus dem Zwang der Nacht,
und scheu, als könne ihn das Licht verletzen,
scheint er in einen Augenblick erwacht,
um den sich fremde Bilder fahrig hetzen
zu einem Wirbeln, das ihn taumeln macht.
37 - AUF DEM WEG ZUR SCHULE (Jules Bastien-Lepage, 1882)
Wie kennst du diesen Blick der zarten Blume,
die gänzlich aus Zerbrechlichkeit besteht.
Ein armes Mädchen, das zur Schule geht,
noch nicht gebeugt in eines Ackers Krume.
Dies Land ist hart wie seine rauen Hüter,
die Blume blüht nur kurz in ihrem Gang,
doch was für diesen Augenblick gelang,
berührt den tiefsten Spiegel der Gemüter.
Und ging dir dieses Schauen nicht zu Herzen,
verwirf dich, denn du kennst das Leben nicht.
In manchen Seelen brennen keine Kerzen
für eine Andacht vor dem Wahren, Reinen.
In diesen Augen aber glimmt ein Licht,
das zärtlich leuchten will und ewig scheinen.
38 - JULINACHMITTAG (Guy Rose, 1897)
Es gellt die Sonne vor dem Hag der Schatten
wie eines Sommertages heißer Schrei,
der als erschöpftes Echo strandet bei
des Hügels Waldung hinter hellen Matten.
Der hohen Bäume immersachte Kühlung
erfrischt die Augen wie die Frohnatur
bei einem Blick in jene weite Flur,
und das Gemüt hält mit der Ferne Fühlung.
Wohin von dieser Lichte? Solches Wissen
ist nicht für Gäste eines Augenblicks,
den darin Lebende wohl kaum vermissen.
Ein Bild im Grünen, wie so viele weiter,
und doch Momentaufnahme eines Glücks,
das Seelen leichter macht und Sinne heiter.
39 - KONIFERENWALD, SONNIGER TAG (Ivan Shishkin, 1895)
Dies Bild beatmet meine wunde Seele,
darin ich Heimat und Zuhause weiß.
Aus seiner Schattenkühle weht mich leis
ein Trösten an, das ich mir zubefehle
und dankbar berge wie das grüne Glühen
der hellen Lichte, die dort hinten winkt,
wo sie der Tag vergoldet und durchdringt
beinah wie ein beseeltes Sichbemühen.
Nur dir, du tiefer Wald, sei anbefohlen,
was meinesgleichen Lärm und Drang gestohlen,
in dir allein wird Ruhe mir und Kraft.
Aus dir heraus kann ich in Urvertrauen
der Menschen Treiben und Begehren schauen
und steig und falle mit der Bäume Saft.
40 - BEI QUIMPERLE (Fritz Thaulow, 1901)
Wie kann ein Herbst zu Farbigkeit gerinnen,
da sich auf eines Baches lichtem Spiegeln
die Schatten seiner Uferbäume siegeln
wie Sterbende, die sich von vorn beginnen,
wenn sie nach Eis und Kälte neu erwachen.
Noch wärmt der milde Tag, bewegt ein Fließen
die bunten Bilder, die sich langsam schließen
und den Betrachter seltsam traurig machen,
ahnt er doch schon im unentwegten Rauschen
des Eises Stille und will weiter lauschen,
solang die Wasser gehen mit der Zeit.
Er weiß, er kann den Gang der Welt nicht wenden.
Das Jahr vergeht, ein altes Sein muss enden -
dem Wandel bleibt Lebendiges geweiht.
41 - DER BADEZUBER (Edgar Degas, 1886)
Sie steht gebeugt in ihrer blauen Schale,
wie eine Venus, eben schaumgeboren,
des Lebens müde schon und ganz verloren
sich dunkel sehnend nach dem Wellentale.
Ein Mädchen nur, das eben nach dem Bade
die Wanne säubert, wie es sich gehört,
grazil, verwundbar scheint sie und betört
die Welt, so ahnungslos und doch: Najade.
Nur wenn sie aufschaut, wird der Zauber brechen,
verliert der Augenblick sich in der Zeit,
löst sich - von je unhaltbar - das Versprechen,
das ihre Unschuld dem Betrachter weiht.
So hält er still, erforscht die Oberflächen,
die solche Pose ihrem Raum verleiht.
42 - MONTAGNE SAINTE VICTOIRE, VON BELLEVUE AUS GESEHEN (Paul Cèzanne, 1882-85)
Auf einen Blick erschließt sich eine Weite,
eröffnet dem Beschauer sich im Tale
der Menschen Welterschaffen in der Schale
der weiten Landschaft. Ihre ganze Breite
bewohnen Höfe, Viadukt und Felder
in einem Lichte, das den Süden kennt
und Silhouetten in den Himmel brennt
des fernen Berges und der Hügelwälder.
In solcher Tiefe will ich gern ertrinken,
vom nahen Grün bis hin zum Blau der Ferne,
und satt von soviel Farbigkeit versinken,
die mich so wach und schläfern macht zugleich.
An solchen Orten, denk ich, stürb ich gerne,
denn nirgends anders ist mein Herz so reich.
43 - EINE NACKTE (Edward Munch, 1913)
Zerstoben ist ihr alle Wesensruh -
und wider alles, was sich weiter böte,
bläst sie des Irrsinns unentwegte Flöte,
als spielte sie ihr Leiden immerzu.
Zuletzt bleibt nur des wunden Wahnsinns Waffe
in ihrer welken Hand - die Scherbenklinge
des Spiegelbilds, das alle heilen Dinge
erdolcht. Oh Wunde, öffne dich und klaffe!
Verblute, Innerstes, in diese Leere,
die solch ein Seinzerfleischen hinterlässt.
Was übrigbleibt, entseelt und schweißdurchnässt,
ergibt sich willenlos der eignen Schwere.
Man kleidet ihre Hülle, kämmt die Haare,
und lässt sie sickern in den Lauf der Jahre.
44 - DIE GEBURT DER VENUS (Sandro Botticelli, 1486)
So unberührt entsteigt, weiß wie Damast,
sie ihrem Ozean, so sehr Erscheinung,
dass man beschämt verwirft, was sich an Meinung
dran sammelte und doch ihr Bild nicht fasst.
Und stünde sie allein in ihrem Rahmen,
es machte merklich keinen Unterschied,
da alle Welt doch nur die Mitte sieht
und ihr Versprechen an die Zeit: Den Samen,
der Ewigkeit dem Endlichen verheißt,
drin wir versinken mit dem Gang der Jahre,
und nur in diesem goldnen Schwung der Haare
lebt jene Sehnsucht, die uns tief berührt.
So bleibt der Zauber, den man um sie spürt,
die eine Gunst, die uns der Tod erweist.
45 - DAS MÄDCHEN MIT DEM PERLENOHRRING (Jan Vermeer, ca. 1665)
Sag wer, so fragst du dich an Malers Stelle,
ist dieses Mädchen, das wie scheue fragend
und doch mit großen Augen so viel sagend
sich wendet nach des stillen Blickes Quelle,
der sie berührte wie ein Atemhauchen
von einem Seufzer, den die Seele tat,
die endlich alles, was sie je erbat
durch sie erfuhr, um darin einzutauchen:
In diese Augen, die dein Träumen stillen,
in dieser Lippen Glanz und zartes Rot!
Und wüsste sie um deine liebe Not,
sie gäbe deinem aufgescheuchten Willen
die eine Nahrung, die sein Glühen nährt:
Die eine Lust, die uns die Nacht gewährt.
46 - WALDPFAD MIT FARNEN (Isaak Levitan, 1895)
Und wär nur eins der abertausend Grüne
in diesem Walde mein, nur mein allein -
ich malte wieder diesem Bild es ein,
darin es fehlte dieser großen Bühne
der schönsten Augenblicke meines Seins.
Wie war ich dort zu Hause alle Tage,
fernab der Menschen Ungemach und Plage,
und war wie alle Grüne - und doch keins.
Zutiefst erlebtes, tröstliches Verträumen
geborgter Zeit in diesem kühlen Raum
des Dämmerschattenspiels von hohen Bäumen.
Wie geh ich auf in dieser Offenbarung:
Ist es noch Wirklichkeit, ist es schon Traum?
Verlass mich nie, oh köstliche Erfahrung!
47 - AM STRAND (Winslow Homer, 1875)
Noch einmal Knabe sein und nichts zu wissen,
als tagzuträumen vor dem Horizonte,
der endlos schien und alles werden konnte,
so wie man selber auch. Ach, wie vermissen
wir jene ungebundnen, freien Stunden
mit guten Freunden in des Sommers Licht.
Was haben wir an großer Zukunft nicht
uns damals vorgestellt, verloren und gefunden.
Noch einmal Kind sein und die Zeit vergessen,
die uns veränderte und so bezwang.
Wem solch ein lichter Augenblick gelang,
vermag allein die Wehmut zu ermessen,
die manchem vor dem Bilde widerklang,
in dem drei Knaben auf dem Stein gesessen.
48 - LE MOULIN DE LA GALETTE (Pierre Auguste Renoir, 1876)
Ein Tanzen, Plaudern, frohes Zeitversäumen
verlebt sich flirrend auf den weißen Kieseln,
die gleich den Menschen in der Sonne Rieseln
durch dichtes Blätterwerk an ranken Bäumen
wie lichtgefleckt erscheinen. Eine Menge,
die sich bewegt, sich findet und verliert
und tauschend um die Tische hindrapiert
gleich Inseln im sich wogenden Gedränge.
Da prunkt ein Farbenspiel und ein Beschwören
von junger Eitelkeit und altem Drange,
ein Spiel, das ewig reizt in seinem Gange
weil es "das Leben" heißt, und sein Betören
erweckt die Welt, in die wir ganz gehören
und ewig lauschen seinem hellen Sange.
49 - SEEROSENTEICH UND BRÜCKE (Claude Monet, 1899)
Es reicht der weißen Brücke schlanker Bogen
von Grün zu Grün, das wirkt wie ungezügelt,
und gleich der Brücke sich im Teiche spiegelt,
wo er sich nicht mit noch mehr Grün bezogen.
Sag, was verbindest du, so luftig schwebend?
Das Oben mit dem Unten, fern und nah?
Die Welt mit dem, was dein Erbauer sah?
Vielleicht auch nichts, dich allen Sinns enthebend?
Ein Werk aus Menschenhand, das einzig nur
im Parke sich dazu bekennt, da alles
sonst nur erscheinen will wie ehrliche Natur.
So bist du wirklicher im Fall des Falles,
und ziehst im Bilde eine zarte Spur
von Wahrheit durch die Welt des Widerhalles.
50 - IM WALD (William Trost Richards, Ende 19. Jhdt)
Du Brunnenloch, das wir im Walde hatten,
aus moosbewachsenem und feuchtem Stein.
Wie fand ich fasziniert mich forschend ein
als Knabe an den Rändern deiner Schatten.
Dein Kühlesein umfing mein junges Träumen
von Geistern aus den Märchen meiner Zeit,
die ich in dunkelnder Verschwiegenheit
vermutete und an den hellen Säumen
der ungetrübten Tiefe, im Geheimnis,
das magisch deinen Wassergrund umwob.
Seitdem bereute ich so manch Versäumnis
und mancher Jahre Lasten, die ich hob.
So wie ein anderer dich zugeschüttet,
so haben sie mir jeden Traum zerrüttet.
Diesen Zyklus gibt es als Buch: Schwarzes Hardcover, gebunden, Stoff mit Goldlettern, dreiseitiger Goldschnitt, mit den dazugehörigen Bildern in Farbdruck. Euro 15.- plus 10 Euro Versandkostenpauschale. Zu bestellen hier im Forum per PN.
Die Reihe wird fortgesetzt im Faden "LAUTERE LYRIK":
http://www.dielyrik-wiese.de/lyrik-wiese/index.php?topic=5500.msg30926#msg30926