Phoneutria fera
Ich lag mit Augen verwässernder Grippe im Bett, fühlte mich elend und war allein zu Hause. Nicht lange aber.
Es läutete unangenehm unangebracht an der Tür. Ich ächzte mich durch den Vorraum, der mir ausnehmend lang erschien, öffnete und war von da an nicht mehr allein, sondern in Gesellschaft eines offensichtlich nicht heimischen und auch nicht gerade anheimelnden Achtbeiners.
Wie es zu dieser eher ungewöhnlichen Abwechslung am Krankenbett kam, ist schnell erklärt. Der Inhaber eines Lebensmittelmarktes fand zu seinem Entsetzen beim Sortieren der Bananen ein klammes Spinnentier im Karton, betäubt, unterkühlt und daher ziemlich reglos. Da ich bekannt (um nicht zu sagen berüchtigt) dafür war, erstens Exoten ganz gut zu kennen und zweitens diese auch noch zu mögen, führte es den Kaufmann zu mir. Seine Erklärung war kurz. Er überreichte mir eine fragwürdig unstabile Schachtel und ich hatte das Gefühl, er konnte sich gar nicht schnell genug verabschieden, da er sogar auf einen Wunsch nach schneller Besserung verzichtete.
Nun war ich wieder allein, das heißt, ganz allein auch nicht. Ich wusste nicht, dass man Fieber einfach vergessen, wegschieben kann, ich tat es jedenfalls.
Sicherer als die Schachtel erschien mir ein Glasbehälter für das Tier. So leerte ich süßsaure Essiggurken (sollten es einfach saure ohne Süße gewesen sein, hat das an und für sich auf den Fortgang der Geschichte keinen Einfluss) in eine Schüssel, reinigte das Glas so weit, dass ich es dem Besuch zumuten konnte – und fühlte mich nach der Übersiedlung des Gastes wesentlich wohler.
Ich hatte schon einige Erfahrung mit Taranteln, die ich bereits in Schulzeiten pflegte und wusste von Vogelspinnen, dass ihre Gefährlichkeit meist maßlos übertrieben wurde. Aber war das überhaupt ein Mitglied dieser Familie? Ihr Haarkleid war wenig kleidsam, um nicht zu sagen geradezu mickrig. Nun, wozu hatte man umfangreiche Literatur? Die ist es nicht, die auch nicht, überhaupt keine aus dieser Gruppe, also weiter! Nächste Gattung - Kammspinnen. Das kam schon eher hin, Größe, Farbe und andere Merkmale deuteten auf eine besondere Art hin, ja bestimmten sie eindeutig: Phoneutria fera, eine Jagdspinne, schweres Neurotoxin, zwanzigmal giftiger als eine Kobra.
Plötzlich hatte ich wieder Fieber, ich schätzte fünfundvierzig Grad. Das Glas brauchte einen Deckel, einen mit Löchern natürlich, denn eines wusste ich, das Tier musste gesund gepflegt werden um es einem staunenden Publikum präsentieren zu können.
Ja, so war es dann auch. Was da so alles passierte, wäre eine eigene Geschichte, die ich aber nicht schreiben will.
Nur so viel sei gesagt. Nachdem der Fund der Bananenspinne (ich nannte sie so, weil Phoneutria fera nicht unbedingt leicht ins Ohr geht) zu einem Kurzbericht in einer Tageszeitung führte, trat die Gendarmerie auf den Plan. Sicherheitsvorkehrungen wurden festgelegt und so kam es, dass die Landbevölkerung aus der Umgebung, die an Sonntagen den Gottesdienst im Zentrum besuchte, die Gelegenheit nützte, um anschließend den weniger frommen Schauer beim Betrachten der Bananenspinne über sich ergehen zu lassen.