Autor Thema: All meine Tage  (Gelesen 2036 mal)

Erich Kykal

All meine Tage
« am: Januar 10, 2011, 10:33:07 »
Die Tage alle, sie gewähren
mir manchen Trost, wie guter Wein,
wie eines Lichtes Neugebären
nach einem langen Dunkelsein.

Der Laster vieler war ich schuldig,
und ich versuchte den Betrug.
Doch meine Zeit war sehr geduldig,
und war es auch für mich genug.

Ich habe mich ans Kreuz geschlagen
und stellte mich ins kalte Land,
und meine Finsternisse ragen
in jeden Pilger, der mich fand.

Mir zerrte Schicksal aus den Händen,
was niemals ich im Herzen trug,
und was sich fing in dessen Wänden,
erwuchs zum Weh, das damit schlug.

Wer will mir alle Kerben nennen
an meinem alternden Gemüt?
Mein ganzes Leben ist: Erkennen,
und wie ein Welken, das erblüht.

Es ruft mich hin nach andern Erden,
die in mir reiften am Bemühn,
wo alle Dinge wahrer werden,
und aus den Nägeln Blumen blühn!
« Letzte Änderung: Juli 27, 2022, 23:00:54 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

a.c.larin

  • Gast
Re:All meine Tage
« Antwort #1 am: Januar 20, 2011, 16:48:52 »
Hallo Erich,

hier legt ein Lyrich wohl seine Lebensbeichte ab, das Resümee der Jahre.
Dem sollte man doch  unbedingft Tribut und Antwort zollen!

Diese Zeile versteh ich nicht so ganz:
Zitat
und war es auch für mich genug.
was war genug?

Sich selbst ans Kreuz schlagen - brrr, halte ich für ungesund! Ich wüsste nicht, wozu das gut wäre.
Hoffentlich weiß wenigstens das LYRICH einen ausreichenden Grund.

Das zweite und in der dritten Strophe könnte man möglicherweise durch ein "wo" ersetzen?

Die vierte Strophe gefällt mir ausnehmend gut! Klingt für mich sehr logisch.  Für mich ist dort der Höhepunkt des Gedichts.


Welken , das erblüht?    Ein Kuriosum! Eigentlich wartet man an dieser Stelle auf verwelken, verblüht
Ich bin ein wenig irritiert - aber das lag wohl in deiner Absicht.....

......aus den Nägeln Blumen blühn..... Ich nehme an, du meinst die Kreuzesnägel  - das ist wieder so ein Bild, das ich einfach nur schrecklich finde.
Schrecklich, weil martialisch. Mir rinnt eine Gänsehaut übern Rücken!

Ob unter solchen Qualen wirklich etwas zur Reife gelangen kann, wage ich zu bezweifeln.
Da gucke ich mir doch lieber den lächelnden Buddha an. Er sieht so frei aus.

Aber jeder sucht halt seinen eigenen  Weg zur Er-Lösung.
Ich möchte ohne Nägel auskommen dürfen.

Lg, gerne gelesen und nachgegrübelt, larin

Erich Kykal

Re:All meine Tage
« Antwort #2 am: Januar 20, 2011, 17:58:29 »
Hi, larin!

Dass die Kreuzigung und die Nägel nur metaphorisch gemeint sind, muss ich wohl nicht betonen. Daher stört mich das Bild nicht, im Gegenteil - es erklärt sehr klar die Selbstgeißelung des Lyrich, die Gewissensqualen.

Zitat "und war es auch für mich genug" -  Na, genug geduldig eben, die Zeit!

S2,3: Nix für ungut, aber welches "und" könnte man da durch "wo" ersetzen, ohne dass es Kauderwelsch wird???

Das Welken, das erblüht: Ich finde, eins der besten Bilder von mir in letzter Zeit: Wir altern, welken also. Gleichzeitig werden wir - im Optimalfall - weiser und klüger, erblühen quasi also innerlich, während wir äußerlich verfallen. Daher: "Das Welken, das erblüht"!

Und dies noch: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass nur die Erkenntnisse, die aus Qualen reiften, es letztlich wert waren, mich zu formen! Alles andere plätscherte nur so durch mich durch, ohne Halt zu finden. Ohne "Nägel" des Schmerzes lässt sich so gut wie nix in uns befestigen! Aber wenn wir daran reifen, blühen eben - im übertragenen Sinne - aus diesen Nägeln die schönsten Blumen! Das Bild ist gut. Punkt. Ende! ;) :D

Vielen Dank für deinen Beitrag!

LG, eKy



Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

a.c.larin

  • Gast
Re:All meine Tage
« Antwort #3 am: Januar 20, 2011, 19:17:59 »
Hallo Eky,
jetzt hast du mich aber festgenagelt! Doppelpunkt!

Ich meinte diese Zeilen:

Zitat
und stellte mich ins kalte Land,
und meine Finsternisse ragen

und stellte mich ins kalte Land
wo meine Finsternisse ragen
in jeden Pilger, der mich fand. 

Kein Kauderwelsch. Rufzeichen!   ;) :D


Noch was ist mir aufgefallen: Jeder reift anders!  ( Eine  Marille ist halt kein Edamerkäse. ::) )

Und  ich hab nie gesagt, dass das Bild mit dem verwelkenden Erblühen (oder erblühenden  Verwelken? ) nicht gut ist, ich sagte nur : Mich hats irritert.
Darf ich denn nie verwirrrt sein? Nicht einmal ein bisschen?   Schluchz :'(

Wie schreibt man das eigentlich richtig: fest genagelt oder festgenagelt?

immer noch grübelig, larin


Erich Kykal

Re:All meine Tage
« Antwort #4 am: Januar 21, 2011, 10:02:08 »
Hi, larin!

Wenn etwas "fest genagelt" ist, heißt das, dass man entweder fest mit dem Hammer draufgehauen hat, oder, dass man genug Nägel eingeschlagen hat, damit es auch wirklich fest hält.
Hat man etwas "festgenagelt", bedeutet es nur die Tatsache an sich: Etwas wurde mit Nägeln befestigt - ohne nähere Aussagen bezüglich Kraftaufwand und/oder Stabilität der Verbindung.

Das "wo" an dieser Stelle mag nicht falsch sein - schön klingen würde es nicht, weil die Fortführung des Satzes "in jeden Pilger..." dann fehl am Platze wirkte: Man müsste dann den ganzen Satz umstellen, damit es nicht verdreht und komisch klingt, und dann wäre der Reim zum Teufel. So ist es eleganter, da nehm ich die mehr "und"s gerne in Kauf!

Irritiertsein zeigt nur, dass solch eine Formulierung dich aus dem Gewohnten, den eingefahrenen Denkbahnen gerissen hat. Genau so soll es ja auch sein!
Immer mal eine neue "Seite" zeigen, nicht wahr? ;) :-*

Ich hoffe, ich konnte alle "Irritationen" hiermit beseitigen!

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re:All meine Tage
« Antwort #5 am: Januar 21, 2011, 13:23:55 »
Lieber eKy  -

lediglich das "war" in Bezug auf die Laster würde ich ändern in "ward".
Ansonsten hast Du meinen Lebenslauf beschrieben, wie ich selbst es nie gekonnt hätte.


Schriebe ich, wie Dichter schreiben:
Jedes Wort würde Hymnus an Dich!



cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Erich Kykal

Re:All meine Tage
« Antwort #6 am: Januar 24, 2011, 10:06:31 »
Liebe Cypi!

Wie immer herzlichen Dank für deine nimmermüde Begeisterung für meine bemühten und bemühenden Zeilen!

Das "ward" an dieser Stelle würde die Zeile zu lang machen und - was für mich schwerer wiegt - zudem einen Holperer im Lesefluss verursachen: "war ich" kann man ineinandergleiten lassen, "ward ich" bedingt durch das d eine Pause nach "ward", bedeutet zumindest aber einen störenden Verschlusslaut.
Da inhaltlich kein wesentlicher Unterschied besteht, lasse ich lieber das "war". Außerdem kommt mir dieses "ward" ein wenig religiös angehaucht vor, zumindest musste ich es im Religionsunterricht oft lesen oder hören. Etwas "altmodisch" eben. So sehr ich normalerweise die älteren Formen preferiere, in diesem Fall ist es nicht so.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
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cyparis

Re:All meine Tage
« Antwort #7 am: Januar 28, 2011, 23:19:04 »
Lieber eKy -

ich würde- wäre ich an Deiner Stelle- ebenso schreiben.
Abgesehen nur von der Gewißheit,daß Du -Dichter -eines Betruges nie fähig wärest.

Welch schöne Eingangstür zu meines Alters Stufen!

cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
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