Autor Thema: Die Dragqueen  (Gelesen 671 mal)

Erich Kykal

Die Dragqueen
« am: Juni 05, 2023, 08:59:26 »
Es war einmal ein alter Hüpfer,
nicht eben wohlgestalt, noch weise,
ein ausgefuchster Teppichknüpfer,
der schlüpfte gern in Damenschlüpfer
und ging in Pumps auf manche Reise.

Er zwinkerte den schönen Knaben
und Mädchen zu und ließ sie gucken,
und meinte: Dürft ihr das nicht haben,
an eurer Schönheit euch zu laben,
nicht kratzen dieses wilde Jucken,

will ich zumindest Fragen stellen
mit meiner Schminke, meinen Witzen.
Das Urteil, welches andre fällen,
wird niemals mir den Tag vergällen,
soll niemals mir im Nacken sitzen!

Wer darf bestimmen, welche Lüste
verboten sind, und welche züchtig?
Wenn niemand sich mehr fürchten müsste,
ob echte oder falsche Brüste,
in Augenblicken, welche flüchtig

uns über allem definieren,
was wir der Welt ins Mieder hängen,
wir wären nie mehr unter Tieren,
die andrer Sünden nur summieren,
Verfemte, die zum Lichte drängen.
« Letzte Änderung: Juni 06, 2023, 20:08:59 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Die Dragqueen
« Antwort #1 am: Juni 08, 2023, 08:19:18 »
Sehr schön, lieber Erich,

deine Dragqueen, die den neugierigen und  vielleicht befremdeten Kindern ihr eigenes Selbstbewusstsein entgegenhält und sie zu mehr Toleranz auffordert. Auch die strophenübergreifenden Enjambements gefallen mir.

Die letzten drei Verse sparen, glaube ich, Wörter ein. Sind sie zu so verstehen:

wir wären nie mehr (wert als Tiere),
die andrer Sünden nur summieren,
(als) Verfemte, die zum Lichte drängen.
?

Mit Freude gelesen.
LG g

Erich Kykal

Re: Die Dragqueen
« Antwort #2 am: Juni 08, 2023, 22:01:40 »
Hi Gum!

Danke für die Blumen. Mit den 'schönen Knaben und Mädchen' sind hier keine Minderjährigen gemeint, sondern allgemein eine allzu züchtig und unbeweglich erzogene Generation, denen die Queen den Spiegel ihrer Verklemmtheit vorhält, das Verdrängen manch verschämt verschwiegener Gelüste, die sie nicht auszuleben wagen.

Was die Conclusio meint:

Wenn niemand (der anders ist oder Angst hat, als anders beschuldigt zu werden) sich mehr (vor allzu konservativen, moralinsauren Fanatikern) fürchten müsste, dann wären wir niemals wieder unterdrückt von diesen Tieren, die andrer Sünden nur summieren (unter der giftsprühenden Fuchtel der besagten konservativen Fingerzeiger und Hassprediger), wegen irgendnwelcher 'Abweichungen' von der Norm Verfemte, die zum Lichte streben, sprich Unterdrückte und Verworfene, nur weil sie anders sind, oder Unterdrücker und Verwerfer, weil wir allzu leichthin solchen Fanatikern Glauben schenken, oder sie zumindest nicht offen bekämpfen.

LG, eKy
« Letzte Änderung: Juni 12, 2023, 20:05:07 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Die Dragqueen
« Antwort #3 am: Juni 11, 2023, 07:20:42 »
Der lange Satz  hat`s gebracht: der Groschen ist gefallen.

Danke, lieber Erich.

Gern wieder gelesen, dein schönes Gedicht.

LG g