Autor Thema: Glauben heißt: Nicht wissen  (Gelesen 1044 mal)

Erich Kykal

Glauben heißt: Nicht wissen
« am: Juni 15, 2023, 19:59:05 »
Des Menschen Fluch und Segen ist sein Glaube,
die Himmelreiche, dutzendweis erfunden,
damit er sich erhaben, nicht am Staube
und würdig fühlt: Von Gott für gut befunden.

Wie haben wir einander abgeschlachtet
im Namen jeder Wahrheit, welche gilt,
und waren alle darin wie umnachtet -
verrohte Kinder, die kein Vater schilt.

Selbst heute noch, nach all den wirren Jahren,
die wir uns eitel in der Gnade wähnten,
verleugnen wir die Monster, die wir waren,
wo andrer Mäuler uns entgegen gähnten.

Es geht um Macht, um Einfluss: Die Erkenntnis,
dass alle tanzen nach dem gleichen Stück,
genannt: Ein ach so heiliges Bekenntnis,
als gäb es ohne Glauben hier kein Glück.

Als würde nie ein neuer Berg erklommen,
wenn Götter nicht Gesetze uns diktieren,
da wir, der Hut des Göttlichen benommen,
nur vegetieren könnten und vertieren.

Kein Recht, nicht Achtung, nicht einmal Erbarmen,
wo nicht ein Gott aus Priestermund regiert,
kein Liebesglück, kein Essen für die Armen,
und keinen Sünder, der zurecht krepiert.

Wer schafft es endlich, sich der Trugspirale,
die falschen Trost nur spendet, zu entheben?
Wo Menschen glauben, atmet das Fatale,
verkrümmt die Wirklichkeit und nennt sich Leben.
« Letzte Änderung: Juni 16, 2023, 19:32:22 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Rocco

Re: Glauben heißt: Nicht wissen
« Antwort #1 am: Juli 12, 2023, 22:49:47 »
Hallo Erich,

von Adorno gibt es die Theorie, dass es im falschen Leben kein richtiges gibt. Wie man weiß, war auch das nur ein Glaube.

Die Alternative zum Himmelreich wäre eine realistische Utopie. Aber wie soll die aussehen?

Luther wollte den Himmel auf Erden. Aber verdammte die Bauern, die sich gegen ihre Unterdrücker erhoben. Ein Jammer!

Ob man realistische Utopien ohne Macht und Einfluss verwirklichen kann?

Aus der Geschichte lernen, das wäre ein Anfang.

Dir einen schönen Abend!

Rocco

"Erst in Rage werde ich grob -
aber gelte als der Hitzkopf?!"

Yusuf Ben Goldstein, aus Rocco Mondrians Komödie: Yusuf Ben Goldstein, ein aufrechter Deutscher

Erich Kykal

Re: Glauben heißt: Nicht wissen
« Antwort #2 am: Juli 13, 2023, 20:22:51 »
Hi Roc!

Luther war kein Bauer, vielleicht hätte er sie sonst besser verstanden. Wer etwas nicht kennt, redet sich leicht nach eigenen Überzeugungen, und die seine war eben, dass jeder von Gott auf seinen gottgewollten Stand, auf seinen Platz in der Welt berufen wurde. Eiin Bauer, der rebellierte, also in Luthers Augen nicht mehr Bauer sein wollte,, versündigte sich damit gegen die göttliche Ordnung. War schon eher simpel gestrickt, der gute Martin - aber das waren damals die meisten. Man wusste kaum etwas von der Welt, also projizierte man Menschliches in alles, was man nicht verstand, und Menschen wollen es nun mal einfach und leicht nachvollziehbar haben. Immer. Dementsprechend übersichtlich waren ihr Wertekanon und ihr Universum gestrickt. Ist heute nicht viel anders - nur wirklich aktive Hirnbenützer relativieren und objektivieren die gegebenen Wahrschenlichkeiten ihres 'Gewussten' angesichts dessen, was wir mittlerweile bereits über das Universum erfahren haben. Nachweisbares, jederzeit erneut beweisbares Wissen.

Der einfachste Nenner: Realität gibt es. Aber mit dem menschlichen Geist im Allgemeinen hat sie (immer noch) nicht viel zu tun ...


LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.