Autor Thema: T.  (Gelesen 876 mal)

Sufnus

T.
« am: Dezember 26, 2022, 13:39:10 »
T.

Du bist auf meinem Schnellteststreifen
beim "T" die zarte, zweite Bande,
das Turtelzeichen fürs Begreifen:

Wir sind zum Glücklichsein imstande
und wechselseitig infiziert
in Lovey-Dovey-Quarantäne.

Der Lauterbach wird ignoriert,
wir zwei als Seuchenkapitäne
auf Weltkurs, bis die Welle bricht.

Per Kuss zur Sweetspotmutation?
Ach, alte Liebe drostet nicht!
Ein Brainfogdate. In Avalon.

Erich Kykal

Re: T.
« Antwort #1 am: Januar 04, 2023, 09:48:24 »
Hi Suf!

Spielt die vorletzte Zeile auf die Dichterin Droste-Hülshoff an? Wenn ja, in welchem Zusammenhang?

Ansonsten scheitert hier mein Begreifen an manchen mir ungeläufigen Begriffen, oder daran, dass mir ihre Bedeutung im Sinnzusammenhang des Werkes nicht klar wird.

Die ersten zwei Strophen sind klar: Jemand ist Corona-positiv und freut sich, dass er mit seinem ebenfalls infizierten Partner nun freiflottierend 'rummachen' kann.

S3 ist weniger klar formuliert. Inwiefern wird Lauterbach ignoriert? Gesagt hat dieser so vieles. Auf was davon spielt die Str. an? Das 'auf Weltkurs' lässt mich vermuten, dass die beiden Infizierten nicht vorhaben, sich abzusondern, sondern trotz ihrer Infektion unter die Leute gehen wollen, um es mit so vielen wie möglich ebenfalls zu treiben. Wozu dann aber die Freude über den Infekt in S1 und 2? Wenn es dem LyrIch ohnehin egal ist, ob er sich oder wen er ansteckt, hätte er nicht auf ein positives Testergebnis warten müssen, um seinem Partner beiwohnen zu können. Ja, solche Leute würden eher überhaupt nie je einen Test machen!

Ich habe keine Ahnung, was eine 'Sweetspotmutation' ist, und ich senke mal, viele andere potentielle Leser auch nicht. Auch, was ein 'Brainfogdate' sein soll, ist mir nicht geläufig. Eine Verabredung im Hirnnebel? Geistige Verwirrung oder die bewusste Verweigerung klarer Gedanken mit objektiver Gewichtung verifizierter Risiken? Und was ist mit 'Avalon' gemeint? Die heile Welt, oder hier eher die Illusion davon, in die sich der realitätsunwillige Geist des LyrIch flüchtet? Würde ein darin befanenes LyrIch sich ausgerechnet in der Conclusio dann doch dergestalt selbst hinterfragen und süffisant analysieren? So gesehen fällt diese letzte Zeile aus der 'Rolle'.

Insgesamt betrachtet hätte ich solch einen Text eher um 2019 herum vermutet, als die sog. 'Querdenker' sich partout in staatsfendliche Verschwörungstheorien aller Art flüchteten, um die Seuche ignorieren zu können, viele aber auch aus reiner Bequemlichkeit und Gewohnheit auf jeden Schutz verzichten wollten, oder aus purer Egomanie und eingebildeter Eigenhohheit.

Dennoch gern gelesen!

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: T.
« Antwort #2 am: Januar 05, 2023, 18:18:07 »
Hi eKy! :)

Vielen Dank für die Lesung und das ausgiebige Kommentieren! :)
Bei diesem Gedicht merkt man wieder schön, dass Du Lyrik am liebsten als einen (im weitesten Sinne!) narrativen Text rezipierst, weshalb es Dir lyrisch am besten mundet, wenn der Text eine klare "Geschichte" (wieder: im weitesten Sinne) erzählt. Bei meinem, eher verspielten Angang steht ein möglicher Mitteilungsaspekt von Lyrik gar nicht im Vordergrund, weshalb ich auch Lyrikgattungen wie die Nonsens-Lyrik oder formale Wortartistik wie die Anagrammdichtung o. ä. sehr schätze. :)

Bei diesem Gedicht nun, kann man schon eine "Geschichte" herauslesen, diesen Angang hast Du jetzt auch für den Text gewählt und das ist in dem Sinn nicht "falsch", sondern war schon auch so von mir mitbedacht. Es steht aber nicht so im Vordergrund meines Fokus. Mir ging es hier darum, "Covid-Slang" zur Grundlage neuer Metaphern für ein Liebesgedicht zu machen.

Das "T" könnte die Abkürzung des Namens der geliebten Person sein. Es könnte auch für Turteln stehen (Turtelzeichen) oder eben für das ominöse T, das einen positiven Test anzeigt (ob nun Covid oder Schwangerschaft sei auch mal dahingestellt). An diesen vielen Varianten sieht man schon: Dieser Text will sich gar nicht festlegen. Wenn man hier von einer Erzählhaltung überhaupt reden wollen würde, dann wäre es so, dass unterschiedliche (und ggf. auch widersprüchliche) Erzähllinien parallel verfolgt werden.

Der "Lauterbach", ein lauter Bach, ein lauterer Bach, whatever, steht für eine Vernunft-betonte Haltung zum Leben (wie ich das jetzt mal unserem Minister unterstellen würde) oder für Lauterkeit (Ehrlichkeit) oder das laute Hintergrundrauschen des Lebenslaufs oder oder. Unser Pärchen zeigt sich hier (mehrdimensional) widerständig, was aber keineswegs auf die nächste Pandemie bezogen sein muss, sondern auf eine allgemeine Haltung zum (vernünftigen) Leben. So sindse die Verliebten. Querdenker müssen es deshalb nicht unbedingt sein, denn das "Geschehen" des Gedichts geht weit über Covid hinaus.

Als Sweetspotmutationen bezeichnet man Veränderungen die einen Erreger weniger gefährlich machen. Die nicht drostende Liebe zitiert den Virologen Drosten (ebenfalls ähnlich wie den Lauterbach als eine Stimme der Vernunft - aber eben keineswegs nur oder überhaupt auf Corona bezogen, sondern allgemein metaphorisch gebraucht).

Und Brainfog ist die Bezeichnung für neurologische Symptome einer gewissen Denkverlangsamung und -verunklarung, wie das bei allen möglichen neurologischen Erkrankungen vorkommen kann, auch evtl. als Symptom eines Long-Covid.

Avalon ist dann definitiv eine nicht Covid-bezogene Metapher und steht für die elysischen Gefilde, in denen Artus je nach Sage entweder von seinen Schlachtwunden geheilt oder aber bestattet wurde, also je nachdem ein Heil- oder Todesort. Das Gedicht endet mehrdeutig.

LG!

S.

Erich Kykal

Re: T.
« Antwort #3 am: Januar 06, 2023, 21:47:00 »
Hi, Suf!

Vielen Dank für die Erläuterungen sowohl deiner Intentionen als auch mancher Begriffe.

Die Anspielung auf Lauterbach war mir klar, nur diesen Drosten kannte ich nicht. Aber wenn er rhetorisch eine ähnlich monoton labernde Schlaftablette wie Lauterbach ist, wundert mich das nicht.  ;) Redet der eigentich immer so, als stünde er permanent unter starker medikamentöser Nebenwirkung? Erschreckend.

LG, eKy
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Sufnus

Re: T.
« Antwort #4 am: Januar 15, 2023, 18:33:39 »
Hi eKy!

Ja, die Diktion von Herrn Lauterbach ist nicht überraschenderweise vielparodiert.
Ohne politisch ein Riesenfan von ihm zu sein (aber auch kein Hater): Seine Redeweise ist offensichtlich Ausdruck einer sehr spezifischen psychologischen Disposition, für die er nichts kann und die ihn in mancher Hinsicht sogar in die Lage versetzt, sich Sachentscheidungen mit mehr Tiefgang zu widmen.

Er ist da in seiner psychologischen Verdrahtung gar nicht so weit weg von Frau Merkel (die ich politisch auch sehr differenziert betrachte - keineswegs nur kritisch, obwohl das jetzt angesichts von Putins Agieren natürlich leicht fällt).

Wie dem auch sei - als "great communicator" ist Lauterbach halt (ähnlich wie Merkel) nur sehr bedingt geeignet, weshalb es m. E. auch ein bisschen schwierig war, dass ausgerechnet er so ein häufiger Talkgast gewesen zu sein schien (ich guck kein Fernsehen, aber offenbar war er da ja recht präsent in der Corona-Hochphase).

LG!
S.