Autor Thema: Kupfermuckn  (Gelesen 1106 mal)

Erich Kykal

Kupfermuckn
« am: September 13, 2022, 10:27:57 »
Jeden Morgen vor den Tempeltoren
seines Supermarktes steht er still,
so als wäre er dazu geboren,
weniger zu sein als er es will.

Ebenholz die Haut um dunkle Augen,
schaut er alle automatisch an,
sucht in ihre Blicke sich zu saugen:
Nehmt mich wahr und gebt mir Kleingeld dann!

Keiner will sein Bettelblättchen kaufen,
nimmt das Elend vor Regalen wahr,
die in blindem Überfluss ersaufen
vor der blinden Übersatten Schar.

Jeder von uns hat sein Kreuz zu tragen,
spürt die alten Nägel dann und wann,
doch wir kultivieren das Versagen
aneinander und versteinern dran.

Höflich lächelnd grüßt er alle Kunden,
die ihn ignorieren wie den Tod.
Heiland komm und öffne deine Wunden,
blute täglich in die stumme Not.



Zum Geleit: Die "Kupfermuckn" ist ein österr. Bettlermagazin, dessen "Verkauf durch Eckensteher" als rechtliche Absicherung für das Herum"lungern" in der Öffentlichkeit herhält - ein gesetzliches Hintertürchen fürs Betteln sozusagen. Die "Nachrichten" darin sind aus bestenfalls zweiter Hand, meist aus anderen Blättern schlecht abge"kupfert". Der Name kommt von den früheren Drehorgelspielern ("Muckn" = österr. für Musik), die man für ihre Ständchen mit Kupfergeld belohnte: Billige Musik.
« Letzte Änderung: September 25, 2022, 22:02:07 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

wolfmozart

Re: Kupfermuckn
« Antwort #1 am: September 23, 2022, 19:28:57 »
Hallo Erich
Ich hab die Kupfermuckn öfter gekauft ohne zu lesen, nur weil ich dem Verkäufer einen kleinen Gefallen tun wollte.
Die letzten 2 Verse sind erschütternd wie ich selten etwas gelesen habe (obwohl ich von Religiösem i.a. wenig halte).
Ein wichtiges Werk vo  dir als Plädoyer für die Armen unserer Welt

wolfmozart

Erich Kykal

Re: Kupfermuckn
« Antwort #2 am: September 25, 2022, 22:11:02 »
Hi WM!

Den Heiland habe ich hier auch nur als dramatisches dichterisches Mittel gebraucht  - oder manche mögen sagen "miss"braucht. Ich bin antireligiös als persönliche Einstellung, die ich auch gern vertrete, aber ich gönne jedem seinen Gott, wenn er damit glücklicher ist als mit meiner kargen naturwissenschaftlichen Wahrheit.
Den Kindern möchte man ihren Weihnachtsmann ja auch nicht madig machen - man käme sich wie ein Monster vor!  ;) >:D

Danke für deinen positiven Zuspruch. Das Gedicht beruht auf meiner Lebensrealität. In dem nahen Städtchen, wo ich immer einkaufe, steht fast immer ein Farbiger vor dem Supermarkt und preist das besagte Blättchen an wie ein Zeuge den Wachturm. Ich stecke ihm immer einen Fünfer zu, ohne je ein Blättchen zu nehmen. Und ich kriege natürlich mit, wie er unermüdlich jeden grüßt und dennoch selten wahrgenommen wird.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Kupfermuckn
« Antwort #3 am: Oktober 16, 2022, 16:18:43 »
Hi eKy!
Heut hab ich den Tag der anschließenden Kommentare. Also nehme ich hier WMs Einwurf auf.
Im Ton, in der Form und im Hinblick auf die sozialkritische Thematik könnten Deine Verse ohne Weiteres auch aus der Feder von good old Theodor Kramer stammen... und das ist - wie ich hier einige Male erwähnt habe - einer meiner ganz bevorzugten Dichter. :)
Ergo: Daumen hoch! :)
LG!
S.

Erich Kykal

Re: Kupfermuckn
« Antwort #4 am: Oktober 25, 2022, 18:48:50 »
Hi Suf!

Hmm, da muss ich wohl mal nachlesen über diesen Herrn Kramer. Habe bis dato nichts von ihm gelesen - oder es vergessen ... - Danke für den Tipp!  :)

Und natürlich danke für das Lob!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.