Autor Thema: Bilder aus dem Dreißigjährigen Kriege  (Gelesen 2972 mal)

Erich Kykal

Bilder aus dem Dreißigjährigen Kriege
« am: Februar 15, 2014, 17:08:37 »
I

Geborgen liegt der Ort in tiefen Schatten,
das Morgenlicht fängt Kinder in den Türen,
ein junges Mädchen geht sein Mieder schnüren
und Veilchen blühen schon in den Rabatten.

Wer wollte wohl an solchem Bilde rühren,
und doch: Es strömen über grüne Matten
Verfemte her, die niemals Heimat hatten,
und deren Lebenswärme nicht verspüren.

Ein Ruf erschallt, man sieht die wilde Meute,
ein Bauer und die Knechte fassen Beile.
Ein Ruck geht durch das ganze Dorf, denn heute

soll ihr Entlegensein den Frieden büßen!
Man schreit und strömt davon in banger Eile,
in Unterkleidern und mit nackten Füßen.

II

Es ist ein Schreien und ein wildes Toben,
die Hütten brennen und die Frauen flehen.
Ein Furor, den die Welt noch nicht gesehen,
doch tausend Male schon, hat sich erhoben!

Die Braven fallen, und von allen Enden
ergießt die Gier der nackten Ungeheuer
sich über Kirche, Bauernhof und Scheuer,
und kein Gebet mag das Gemetzel wenden!

Die Wut verebbt, die derben Waffen schweigen,
nur dort, wo sich des Waldes Ufer neigen,
hat man noch blutig Frau und Kind gefangen.

Die Frau hat man geschändet und gehangen,
der Knabe wird geprügelt und geschunden
und endlich bloß an einen Baum gebunden.

III

Geschwärzte Pfeile in den schmalen Rippen,
genagelt an des alten Baumes Rinde,
so stirbt das letzte Licht in diesem Kinde,
ein ungelebtes Leben auf den Lippen.

Die krausen Enden dunkler Schäfte wippen
ein letztes Mal, das junge Herz steht stille,
und mit ihm scheint ein losgelöster Wille
zur Seite mit dem leeren Blick zu kippen.

Ein sachtes Raunen streift die alte Linde,
das Kriegsvolk zieht davon mit blanken Hippen.
Fast unbemerkt treibt mit dem leisen Winde

ein Schluchzen fort. Darüber legt sich Stille.
Ein altes Weiblein sieht man Gräber schippen.
Des Menschen Zorn ist seines Grams Destille.
« Letzte Änderung: Juni 10, 2022, 16:53:19 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Daisy

Re:Bilder aus dem Dreißigjährigen Kriege
« Antwort #1 am: Februar 15, 2014, 17:32:11 »
Hallo Erich,

hier sitze ich mit offenem Mund vor dem Bildschirm und staune über den fantastischen Film, der beim Lesen deiner grandiosen Sonette vor meinen Augen abläuft!
Die einzelnen Bilder und Szenen sind wie bunte Gemälde von alten Meistern aus den Niederlanden und Flandern.

Ich bin unglaublich beeindruckt und muss gleich noch einige Male diese Kunstwerke lesen und genießen!

Chapeau zum Quadrat!

LG Daisy

Erich Kykal

Re:Bilder aus dem Dreißigjährigen Kriege
« Antwort #2 am: Februar 15, 2014, 17:45:47 »
HI, Daisy!

Vielen Dank für so ein tolles Lob!

Vor vielen Jahren - ich war noch sehr jung - sah ich einst ein Fernsehspiel über den 30jährigen Krieg mit just solch einer Szenenfolge, die mich damals zutiefst beeindruckt hatte. Sie verfolgte mich durch die Jahre als Sinnbild all dessen, was Krieg bedeutet. Durch Zufall heute wieder hochgespült war es der rechte Moment, die eigentlich unfassbare Szene endlich in Worte zu fassen.

Besonders die sinnlose Grausamkeit der verwahrlosten Söldner, zuletzt noch - wie ein umfassendes Sinnbild der Unlogik menschlicher Abgründe - das unschuldige Kind zu foltern und zu ermorden, hinterließ prägende Spuren in meinem Wesen und machte mich der Welt und den Menschen gegenüber reservierter und misstrauischer.

Interessanterweise - und das macht die Episode erst wirklich beängstigend - hatte ich damals keinen Moment angenommen, dies könnte nicht wirklich so passiert sein, oder dass die Wahrscheinlichkeit dafür eher gering sei, und dies nur der Auswuchs eines schlechten Drehbuches...
Nein, instinktiv die Möglichkeit - bei aller moralischen und seelischen Entrüstung über soviel Unrecht - solcher Gefühlskälte auch in mir selber fühlend, wusste ich intuitiv, dass Menschen sehr wohl derlei zu tun vermögen!



Passend zum Ablauf des Geschehens auch die Strukturen der drei Sonette:
Ist Sonett I noch klassisch aufgebaut, so ist der Tumult im II. Sonett gespiegelt durch die Auflösung der klassischen Regeln: Keine gleichen Reime in den Quartetten und Paarreime in den Terzetten. Die tiefe Trauer und Hoffnungslosigkeit von Sonett III wird durch die Verwendung von insgesamt nur 3 Reimen reflektiert, sozusagen ein Sonett, auf die Spitze getrieben.
Ich schmeichle mir übrigens gern, diese Form selbst erfunden zu haben (keine Ahnung, ob's stimmt): ABBA - ACCA - BAB - CAC

LG, eKy
« Letzte Änderung: Juni 10, 2022, 16:56:41 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re:Bilder aus dem Dreißigjährigen Kriege
« Antwort #3 am: Februar 16, 2014, 17:48:54 »
Lieber Erich,

diese Bilder sind sehr dicht und rücken hautnah heran, was so wohl vor fast 400 Jahren ablief. Kunstvolle Sprache verwebt hier alles und doch zeigt jedes leise Schluchzen und jeder brutale Hieb seine eigenen Charakter in diesem fast schon monumentalen Sprachgebilde. Das werde ich mir ausdrucken. Toll! Nur zum letzten Vers: Wie ist der gemeint? Ich hätte Zorn als Destillat des Grams gesehen.

LG gummibaum

« Letzte Änderung: Februar 16, 2014, 17:52:59 von gummibaum »

cyparis

Re:Bilder aus dem Dreißigjährigen Kriege
« Antwort #4 am: Februar 17, 2014, 16:00:08 »
Furchtbar!
Furchtbar gut.
Furchtbar eindringlich.

Nicht lange her, daß ich den "Sinplicissimus" las.
Alles wurde wieder hochgehoben, hochgespült..
Auch Oskar-Maria Graf hat aufwühlend darüber geschrieben.

Man möchte sich endgültig abwenden von der Bestie Mensch.


Lieber Erich,

das dauert, bis ich diesen Schrei verkraftet habe.

Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Erich Kykal

Re:Bilder aus dem Dreißigjährigen Kriege
« Antwort #5 am: Februar 17, 2014, 19:14:18 »
Hi, Gum!

Der Zorn ist hier sozusagen gleichermaßen Destille, Inhalt derselben wie auch die Flamme darunter, ein Gemenge, das sich sozusagen durch seine Hitze selbst destilliert. Was letztlich bleibt, ist das Konzentrat des so verursachten Schmerzes - das Ergebnis des Prozesses: Alles Leid der Welt!

Hi, Cypi!

Vielen Dank für deine Gedanken! An den Simplizius Simplizissimus hatte ich gar nicht gedacht, kommt aber hin. Das scheint im Menschen drinzustecken. Es ist verbrieft, dass es in Vietnam ähnliche Vorkommnisse gab, und zwar begangen von den ja soooo zivilisierten Amerikanern! Es scheint eine Art Gewaltrausch zu sein, in dem der Täter alles abreagiert, was sich an Todesangst, grausamen Erlebnissen usw. in einem Kriegsszenario aufgestaut hat. In der Legitimation einer ganzen Truppe, die gemeinschaftlich handelt, fallen dann irgendwann alle Hemmungen, und man gibt sich völlig sinnfreien Greueltaten hin, einfach, weil man in diesem Zustand sozusagen moralisch ausgeklinkt ist.



Euch beiden herzlich Dank für euer Lob!

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.