Autor Thema: Willkommenskultur  (Gelesen 1320 mal)

Seeräuber-Jenny

Willkommenskultur
« am: Juli 12, 2022, 01:28:28 »
Als ich jüngst in Kempten war,
kaufte ich gleich sieben Paar
Landjäger beim Metzger Kleiber –
Labsal für der Freunde Leiber.

Ach, der Abschied fiel mir schwer,
komme demnächst wieder her.
Flugs zum Bahnof hingerannt,
Schirm und Koffer in der Hand.

Zug war restlos überfüllt,
Schaffner hat herumgebrüllt.
Hab nen Sitzplatz noch gekriegt,
bin ein wenig weggenickt.

Kurz nach Frankfurt kam ein Mann,
hatte einen Turban an,
sprach, was sichtlich ihn geniert,
dieser Platz sei reserviert.

Meinen Koffer schnell gerafft,
nach nem neuen Platz gegafft,
Zugfahrt zog sich endlos hin.
Endlich, endlich in Berlin!

Oh, der Schirm war leider weg.
Noch viel größer war der Schreck,
dass die feinen, wunderbaren
Landjäger verloren waren.

Doch bekanntlich ist das Leid
immer eines anderen Freud.
Denn der fremde Mann entdeckte
den Proviant, der ihm gut schmeckte.

Stimmt fortan ein Loblied an
auf den Service von der Bahn,
auf die Landjäger vom Kleiber -
Labsal für der Fremden Leiber:

"Deutschland ist ein schönes Land,
großzügig und tolerant.
Ließ die Landjäger mir schmecken,
musste mich nicht mal verstecken."
« Letzte Änderung: Juli 13, 2022, 23:04:40 von Seeräuber-Jenny »
Ideale sind wie Sterne. Wir erreichen sie niemals, aber wie die
Seefahrer auf dem Meer richten wir unseren Kurs nach ihnen.
Carl Schurz

Erich Kykal

Re: Willkommenskultur
« Antwort #1 am: Juli 12, 2022, 08:28:26 »
Hi Jen!

Welch kurzweilige Moritat!  ;D

Ich selbst muss mir Roh- und Räucherwaren ja meist seit Jahren verkneifen ob meiner vermaledeiten Harnsäurewerte - nur mit reinem Wildfleisch geht es noch einigermaßen, aber das kommt teuer!

Ob des versäumten Genusses tust du mir natürlich leid - gibt es denn kene guten Landjäger in Berlin?

Wie auch immer - dieser Malaise verdanken wir ein spritzig zu lesendes, heiter anmutendes Gedicht, das auch den Turbantypen was Gutes vergönnt.

Sehr gern gelesen und mitgeschmunzelt!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Seeräuber-Jenny

Re: Willkommenskultur
« Antwort #2 am: Juli 13, 2022, 22:39:08 »
Hi Erich,

na, der Mann mit dem Turban hat sich vermutlich gefreut. Denke, dass er das Päckchen gefunden hat. Wer könnte auch den Landjägern vom Kleiber, dem besten Metzger der Stadt, widerstehen! Sie waren eigentlich als Souvenir für meine Berliner Freunde gedacht. Ich selbst habe mich in Bayern schon genügend vollgestopft mit schwäbischer Hochzeitssuppe, Linseneintopf, Leberkässelmmeln, Weißwurscht, Brezn und Kuchen.

Eisbein, Kassler und Currywurst in allen Ehren, aberalles Nachgemachte kannst du in Berlin vergessen. Es gibt nur abgepackte Massenware voller Konservierungsstoffe. Frische Weißwurst hier ist nach schlesischem Rezept, mit Schweinefleisch und Majoran. In die bayerische Weißwurst dagegen kommt zartes Kalbfleisch und Petersile, der Leberkäs muss außen knusprig und innen saftig sein, und bei den Landjägern ist die Würze entscheidend. Wenn ich nur an die Kässpatzen denke, die hier serviert werden. Ein Graus. Ist ja auch normal, weil nicht original.

Habe noch eine Strophe hinzugefügt.

Danke und lieben Gruß,
Jenny


« Letzte Änderung: Juli 14, 2022, 02:59:32 von Seeräuber-Jenny »
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Carl Schurz

Erich Kykal

Re: Willkommenskultur
« Antwort #3 am: Juli 14, 2022, 10:15:28 »
Hi Jen!

Da die Landjäger meines Wissens zumindest teilweise Schweinefleish enthalten (oder irre ich da?), schließe ich mal, dass der Turbantyp eher indischen als arabischen Ursprungs ist, und sicherlich nicht islamisch. Die glauben ja nach wie vor inbrünstig an die Mär von den "schmutzigen" Tieren, weil diese im Boden wühlen, um sich zu ernähren.

Die entstand übrigens, weil früher oft Menschen nach Genuss von Schwein krank wurden, sofern es nicht wirklich gründlich gekocht oder durchgebraten wurde - Trichinen! Bei den heutigen Tierzuchtvorgaben, Gesundheitschecks und Hygienevorschriften für Fleisch aller Sorten kein Thema mehr - aber weil es in die Religion gesichert ist, wird lieber weiterhin Blödsinn geglaubt als dazugelernt ...  ::)

LG, eKy
« Letzte Änderung: Juli 16, 2022, 22:14:42 von Erich Kykal »
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Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Seeräuber-Jenny

Re: Willkommenskultur
« Antwort #4 am: Juli 15, 2022, 23:29:10 »
Hi Erich,

der Fremde sah indisch aus. Vielleicht ein indischer Sufi? Denn ich nehme an, dass er Muslim war, da er sich mit den Landjägern hierzulande "nicht mal verstecken" musste. Allah wird ihm gnädig gewesen sein, denn wer kann diesem feinwürzigen Duft schon widerstehen?

Stimmt, Schweinefleisch war im jüdischen/islamischen Kulturraum nicht erlaubt, weil es bei den hohen Temperaturen schnell verdorben ist. Daraus wurde eine Tradition. Heute ist es vielleicht Gewohnheit, kein Schweinefleisch zu essen, so wie wir keine Meerschweinchen essen, wie es woanders üblich ist.

Schweine sind mitnichten schmutzige Tiere. Das Suhlen im Schlamm ersetzt vielmehr das Duschen. Sie haben keine Schweißdrüsen und kühlen sich auf diese Weise ab. Außerdem dient es der Abwehr von Parasiten. Wenn man sie gewähren lässt, "duschen" Schweine viel öfter als wir! Wie angenehm so ein Schweineleben sein kann, weiß, wer schon mal in einem Moorbad lag.

Lieben Gruß
Jenny

« Letzte Änderung: Juli 16, 2022, 00:00:37 von Seeräuber-Jenny »
Ideale sind wie Sterne. Wir erreichen sie niemals, aber wie die
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Carl Schurz

Erich Kykal

Re: Willkommenskultur
« Antwort #5 am: Juli 16, 2022, 22:24:27 »
Hi Jen!

Weiß ich ja alles - ich find's nur so lustig/traurig, dass heute trotz aller (natur)wissenschftlichen Erkenntnisse immer noch an so einer religiös-dummdreisten Erklärung für den Verzicht auf Schweinefleisch festgehalten wird, vornehmlich in bildungsfernen Ländern, aber leider auch immer noch hierzulande. Ich streite mich nach wie vor mit treugläubigen SchülerInnen, die trotz modernem Bildungsangebot lieber unreflektiert nachplappern, was ihnen die Eltern eingetrichtert haben, die selbst noch im hintersten Afghanistan aufgewachsen sind.

Aber das kenne ich von den fundamentalistischen Christen nicht anders: Nein, die Erde ist erst ein paar tausend Jahre alt, weil es so in der Bibel steht, bzw. von mittelalterlichen Mönchen nach Bibelzitaten so berechnet wurde! Und Gott hat die Saurierknochen und andere Fossilien bewusst in die Erde getan, um die Gläubigen zu prüfen! - Ja, geht's noch!?

Lassen wir's - man ärgert sich doch bloß über die himmelschreiende Verbohrtheit derer, die lieber glauben anstatt wissen, lieber beten als zu lernen.

LG, eKy
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