Hi gum!
Ein dichterisches "Portrait" eines toten Baumstammes im Stadium des Zerfalls, dem Du neben dem anklingenden Erschrecken auch bemerkenswert tröstliche Seiten abgewinnst. Tote Natur also, "nature morte" könnte man in der Bildungssprache des 17.-18. Jh. sagen, und dies ist tatsächlich ein alternativer Terminus Technikus für die Kunstgattung des Stilllebens aus der bildenden Kunst.
Wir kennen solche Nature morte-Bilder oder Stillleben hauptsächlich als Gemälde, auf denen Schnittblumenarrangements ggf. kombiniert mit Obst, Feldfrüchten oder Wildbret abgebildet werden, teilweise tauchen auch Gegenstände wie Musikinstrumente, Bücher, Uhren oder andere Messinstrumente in diesen Gemälden auf. Immer zielen diese Stilleben dabei auch ins Symbolische, und häufig ist Vergänglichkeit ein vorherrschendes Thema, bis hin zu den sogenannten Vanitas-Stilleben, in denen mit Vorliebe Totenköpfe auftauchen, mal dramatisch in Szene gesetzt, mal gut versteckt nach Art eines Suchbildes.
Gemeinsam ist diesen "klassischen" Stillleben, dass sie sich im häuslichen Bereich, also der Sphäre der Zivilisation abspielen, was den Vergänglichkeitsaspekt zu einem genuin menschlich-existentiellen Thema macht. Tatsächlich gibt es aber innerhalb dieser Kunstgattung auch noch eine besondere Variane, nämlich das sogenannte Waldstillleben, das gerade nicht im urban-wohnlichen Setting sondern in der freien Natur angesiedelt ist und das Thema Vergänglichkeit von der menschlichen in eine allgemein naturphilosopische Betrachtungsweise rückt.
Von dieser Art, wenn auch eben nicht mit den Mitteln der Malerei, sondern mit denen der Sprache, ist auch Dein kleines Gedicht, lieber gum. Du betrittst mithin mit ganz wenigen Zeilen einen sehr großen Assoziationsraum.
Sehr gerne gelesen!
S.