Autor Thema: Hoffnung  (Gelesen 1150 mal)

gummibaum

Hoffnung
« am: Januar 25, 2022, 20:12:37 »
Im feuchten Laub ein Birkenstamm.
Es hängt daran noch etwas Rinde.
Das blanke Holz zerbröselt klamm
in einer losen, weißen Binde.

Doch dieses Weiß macht alles licht,
was scheidend sich ins Dunkel wendet.
Ich pflück es mir, weiß ich doch nicht,
ob meine Zeit einmal so endet…
« Letzte Änderung: Januar 26, 2022, 22:44:53 von gummibaum »

Rocco

Re: Hoffnung
« Antwort #1 am: Januar 25, 2022, 22:56:58 »
Hallo Gummibaum,

du hast Angst davor, dass deine Rinde abfällt und du innerlich zerbröselst?

Ich kann mich täuschen, aber diese Gefahr sehe ich nicht.

Insofern passt der Titel.

Zudem: Man weiß nie, wie man endet. Wenn doch, wäre das ein Grund zum Wahnsinn. Siehe Canettis Theaterstück darüber.

Dir einen schönen Abend!

Rocco
"Erst in Rage werde ich grob -
aber gelte als der Hitzkopf?!"

Yusuf Ben Goldstein, aus Rocco Mondrians Komödie: Yusuf Ben Goldstein, ein aufrechter Deutscher

gummibaum

Re: Hoffnung
« Antwort #2 am: Januar 26, 2022, 02:00:02 »
Dir auch, lieber Rocco.

Gruß gummibaum

Erich Kykal

Re: Hoffnung
« Antwort #3 am: Januar 26, 2022, 12:20:00 »
Im feuchten Laub ein Birkenstamm.
Es hängt daran noch etwas Rinde.
Das blanke Holz zerbröselt klamm
in einer losen, weißen Binde.

Doch dieses Weiß macht alles licht,
was scheidend sich ins Dunkle wendet.
Ich pflück es mir, denn ich weiß nicht,
ob meine Zeit einmal so endet…


Hi Gum!

Ein nachdenklich-philosophisches Werk mit melancholischen Anklängen - gefällt mir! Die Birkenrinde war ja für unsere Steinzeitvorfahren eine Art Allround-Werkstoff! Das Birkenpech, sozusagen der erste Klebstoff, das erste Dichtmittel, der erste Kaugimmi, klebte Speer- und Pfeilspitzen sowie Kanus, Dächer und vieles andere! Die Rinde selbst war Grundstoff für Taschen, Köcher, Kanubespannung, Hüttenbau und allerlei sonstige nützliche Geräte. Vielleicht gab es auch eine medizinische Nutzung.
Ein kurzlebiger Pionierbaum, genügsam und zäh - aber was für eine Palette an Möglichkeiten!!

2 Tipps:

Statt (S2Z2) "ins Dunkle" würde ich "ins Dunkel" schreiben, das klingt besser und wirkt sprachlich gediegener.

Im vorletzten Satz würde ich den Satz so formulieren: "Ich pflück es mir, weiß ich doch nicht, // ob ..." - das scheint mir flüssiger ins Metrum zu passen.


Sehr gern gelesen!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Hoffnung
« Antwort #4 am: Januar 26, 2022, 22:47:43 »
Danke, lieber Erich,

für dein steinzeitliches Wissen. Da habe ich wieder was gelernt.  Danke auch für die Verbesserungsvorschläge. Ich habe sie gern angenommen.

Beste Grüße von gummibaum

Sufnus

Re: Hoffnung
« Antwort #5 am: Januar 28, 2022, 11:38:21 »
Hi gum!

Ein dichterisches "Portrait" eines toten Baumstammes im Stadium des Zerfalls, dem Du neben dem anklingenden Erschrecken auch bemerkenswert tröstliche Seiten abgewinnst. Tote Natur also, "nature morte" könnte man in der Bildungssprache des 17.-18. Jh. sagen, und dies ist tatsächlich ein alternativer Terminus Technikus für die Kunstgattung des Stilllebens aus der bildenden Kunst.

Wir kennen solche Nature morte-Bilder oder Stillleben hauptsächlich als Gemälde, auf denen Schnittblumenarrangements ggf. kombiniert mit Obst, Feldfrüchten oder Wildbret abgebildet werden, teilweise tauchen auch Gegenstände wie Musikinstrumente, Bücher, Uhren oder andere Messinstrumente in diesen Gemälden auf. Immer zielen diese Stilleben dabei auch ins Symbolische, und häufig ist Vergänglichkeit ein vorherrschendes Thema, bis hin zu den sogenannten Vanitas-Stilleben, in denen mit Vorliebe Totenköpfe auftauchen, mal dramatisch in Szene gesetzt, mal gut versteckt nach Art eines Suchbildes.

Gemeinsam ist diesen "klassischen" Stillleben, dass sie sich im häuslichen Bereich, also der Sphäre der Zivilisation abspielen, was den Vergänglichkeitsaspekt zu einem genuin menschlich-existentiellen Thema macht. Tatsächlich gibt es aber innerhalb dieser Kunstgattung auch noch eine besondere Variane, nämlich das sogenannte Waldstillleben, das gerade nicht im urban-wohnlichen Setting sondern in der freien Natur angesiedelt ist und das Thema Vergänglichkeit von der menschlichen in eine allgemein naturphilosopische Betrachtungsweise rückt.

Von dieser Art, wenn auch eben nicht mit den Mitteln der Malerei, sondern mit denen der Sprache, ist auch Dein kleines Gedicht, lieber gum. Du betrittst mithin mit ganz wenigen Zeilen einen sehr großen Assoziationsraum.

Sehr gerne gelesen!
S.

gummibaum

Re: Hoffnung
« Antwort #6 am: Januar 29, 2022, 12:41:48 »
Wieder ein klasse Kommentar, lieber Sufnus! Hab Dank.

Ich bin da weit wortkarger und weniger detailliert.

Liebe Grüße von gummibaum

Sufnus

Re: Hoffnung
« Antwort #7 am: Januar 29, 2022, 17:51:29 »
Hi! :)
Wie schön, dass Dir der Kommentar gefallen hat! :)
Und was Deine Kommentare angeht, könnte man statt "wortkarger" ja auch "prägnanter & klarer" sagen! :) Ist doch gut, dass nicht alle hier solche Labertaschen sind, wie ich....  ;D
LG!
S.