Autor Thema: Pfarrerskinder  (Gelesen 984 mal)

hans beislschmidt

Pfarrerskinder
« am: Januar 18, 2022, 12:18:55 »
Pfarrerskinder

Von Nietzsche bis Merkel -
war Tischgebet tägliche Folter,
von Lessing bis Ensslin
Besteckgeklapper nur Fressgepolter.

Von Lessing bis Hesse -
die betenden Christen wie brave Faschisten,
von Wieland bis Schlegel
sind Mahnmal für Gott und Atheisten

Von Doehring bis Gauck -
die deutsche Seele im Pfarrhaus der Pflichten,
von Leibnitz bis Schlauch,
egal was passiert - der Glaube wird's richten.

Nie wurde die Güte unbarmherziger gelebt
und nie hat Grauen das Korsett ernsthaft erbebt.
« Letzte Änderung: Januar 18, 2022, 12:23:22 von hans beislschmidt »
"Lyrik braucht Straßendreck unter den Fingernägeln" (Thomas Kling)

Sufnus

Re: Pfarrerskinder
« Antwort #1 am: Januar 18, 2022, 13:24:46 »
Hi Hans,

eine Art "Ahnenreihe" von Pfarrerskindern, die es in sich hat; man könnte den Eindruck gewinnen, die Herkunft aus einem Pfarrhaus verleihe dem Nachwuchs eine gewisse Exzeptionalität (im Guten oder Bösen)... offenkundig ist das natürlich eine Fiktion, die graue Masse unauffälliger Pfarrerskinder steht einer kleinen Minderheit "bunter Vögel" gegenüber.
Auch dass in allen Pfarrhäusern ein enger Geist irgendwo zwischen Pietismus und Faschismus herrsche, ist - je nach Sichtweise - entweder eine künstlerisch-übertreibende Verengung dieses Textes (der dadurch zum Nachdenken provozieren möchte) oder einfach... üble Nachrede (so würden es wohl brave, kritisch-pluralistisch denkende Pfarrer nebst Nachkommenschaft empfinden).
Bei Hesse weiß ich so ungefähr über die Biographie bescheid und da herrschte wohl in der Tat ein strenger, unbarmherziger Geist im engherzig-pietistischen Haushalt, dem der Sohnemann nur mit viel Mühe in die Schriftstellerei entfliehen konnte. Wie das so bei den anderen zitierten Familien aussah, kann ich wirklich nicht beurteilen, ich nehme aber mal schwer an, dass ein paar der aufgezählten "Pfarr-Eltern" so übel nicht waren (und das ist wahrscheinlich auch nicht Dein Punkt).

Schade finde ich es, wenn ich diesen Text lese, dass aktuell zwischen Dir und eKy Funkstille herrscht - jaaa - ich hab auch gelesen, dass Du eKy ein herzhaftes Shut-up zugerufen hast und wie es zu diesem Ausbruch kam... nunja... vielleicht wäre das mal ein Text, wo Ihr wieder ins Gespräch findet? Das Forum ist aktuell so Teilnehmer-arm, dass Euer wechselseitiges Schweigen irgendwie ein wenig surreal anmutet. Dass bei einem wie auch immer gearteten Austausch Harmonie einkehrte, wage ich nicht zu hoffen (bin auch kein Anhänger von Harmonie um jeden Preis), aber der ein oder andere bedenkenswerte Gedankenfunke entspränge Euren gekreuzten Klinge gewiss - womöglich auch zum Gewinn anderer Leser. :) eKy würde vermutlich die unreinen Reime und das irregulär gestaltete Metrum kritisieren, käme aber inhaltlich wohl zu einigen beipflichtenden Überlegungen.

Nunja... wie dem auch sei... jetzt zu Deinem Text zurück:

Die zwei Schlusszeilen (genauer: die allerletzte Zeile) find ich stark überarbeitungsbedürftig. Der Tonwechsel ins Pathetische ist als Stilmittel gar nicht so schlecht und durch die Kursiv-Setzung wirkt das Ganze wie ein Zitat (ist aber keins, oder doch?), was auch ein cooler Kniff ist, aber... aaaaber: Die letzte Zeile rumpelt dann sprachlich, gedanklich, formal, grammatisch und von der Sprechhaltung her so sehr, dass sich hier - jedenfalls für mich - eine unfreiwillige Komik einschleicht, welche die Schlusszeile und dann auch den ganzen Text ziemlich zum Einsturz bringt.

Vorschlag:
Nie wurde Güte unbarmherziger erzwungen
als von den Gottadepten - frömmigkeitsdurchdrungen.


Nachdenklich gelesen,

S.

hans beislschmidt

Re: Pfarrerskinder
« Antwort #2 am: Januar 18, 2022, 14:26:18 »
Lieber Sufnus.
Es ist keine Generalisierung, sondern eine Anhäufung von Auffälligkeiten, verbunden mit einer persönlichen Erfahrung.
Die Gnadenlosigkeit hat mich am meisten getroffen, denn je unwegsamer der moralische Schlingerkurs wird, umso bereitwilliger liefert das Buch der Bücher Absolution für jegliche Art von Fehlverhalten bis hin zu Menschenopfern.

Ilse Ensslin zeigte auf ein großes Ölgemälde im Treppenhaus auf dem die Kreuzigung mit reichlich Blut abgebildet war. Hier musste die sechsjährige Gudrun täglich vorbei, mit dem Blut auf Augenhöhe - so die Mutter in dem Film Deutschland im Herbst. Ich finde, das lässt schon Rückschlüsse zu.

Oder als Gottfried Benns Mutter an Krebs erkrankte, verweigerte sein Vater als Dorfpfarrer die medizinische Hilfe, weil das gegen Gottes Wille war. Es gibt hunderte solcher Beispiele.

Persönlich getroffen hat mich der Fall Christine Kuby, die mit mir in den Kindergottesdienst gegangen ist, von der ich noch ihre langen blonden Töpfe in Erinnerung habe. Ich habe sie später auf dem RAF Fahndungsplakat nicht mehr wieder erkannt.

Was ich sagen will, dass es es auffällig viel Pfarrerskinder in Wissenschaft und Kunst gibt. Dass der teilweise knallharte Pietismus Schuld an manchen Absonderlichkeiten ist, ist eine Mutmaßung von mir und alle Protagonisten unter die Lupe zu nehmen, wäre unmöglich.

Zum Thema Erich habe ich mich in den von Jenny geschlossen threads hinlänglich geäußert. Ich könnte ja wie Martin Römer, Alte Lyrikerin, Agneta auch das Weite suchen aber den Gefallen tue ich niemanden und so stelle ich halt ab und zu ein Verslein ein.
Danke für deine Einschätzungen und textliche Anregungen.
Gruß vom Hans
"Lyrik braucht Straßendreck unter den Fingernägeln" (Thomas Kling)