Autor Thema: Du kamst und gingst  (Gelesen 813 mal)

Erich Kykal

Du kamst und gingst
« am: Januar 19, 2022, 10:58:39 »
Der Morgen hebt die Daunendecke meiner Schatten,
der Abend hüllt damit aufs Neu mich dunkelnd ein.
Dazwischen träume ich von allem, was wir hatten,
und will für dich allein ein gänzlich andrer sein.

Der helle Tag, die dunkle Nacht mit ihren Spielen,
vermögen lange schon mich nicht mehr zu verführen,
denn ich verlor mein Maß an Träumen und an Zielen
an zuviel Gram und Reue vor verschlossnen Türen.

Das Kind ertrank im Brunnen seiner Möglichkeiten,
zuviel Talente standen heiß geliebt zur Wahl,
so wollte es von einem Drang zum nächsten gleiten,
war zwar in allem gut, doch nirgends genial.

Die Zeit verging, wie alles, was wir halten wollen,
und meine große Rolle hat mich nie gefunden,
ich zog zurück mich aus dem sattsam Übervollen,
und leckte einsam meine nie verheilten Wunden.

Du kamst und gingst, berührtest leise dieses Leben
wie ein Versprechen, das mich lockte und vergaß,
und ich blieb stumm an meinen kalten Stunden kleben
und pflegte treulich meiner Sehnsucht Übermaß.

Zu spät, zu anders diese unverdiente Gnade,
zu sehr ein fremdes Leben, das ich kaum erfasste,
zu gut für mich, zu lebhaft, zu sehr Bundeslade -
zuletzt zu scharf die unermesslichen Kontraste.

Der Morgen hebt die Daunendecke meiner Schatten,
der Abend hüllt damit aufs Neu mich dunkelnd ein.
Dazwischen träume ich von allem, was wir hatten,
und will so sehr - und kann nie mehr - ein andrer sein.
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Rocco

Re: Du kamst und gingst
« Antwort #1 am: Januar 21, 2022, 10:03:14 »
Hallo Erich,

dass der Abend dunkel ist, muss man extra erwähnen?

Dass "eine Rolle mich nie gefunden hat" ließe ich gelten, aber man selbst gestaltet seine Rolle selbst. Insofern kann einen nur die Rolle finden, die man auch spielt. Nun schreibst du "große Rolle", das ändert aber wenig. Es hindert einen keiner daran, auch große Rollen zu spielen. Siehe die Weltgeschichte.

Das Gedicht ist sehr subjektiv geschrieben, mal eine Frage: Hältst du das Verhalten des lyr. Ichs für skurril?

Die dritte Strophe leuchtet mir nicht ein: Warum muss man genial sein? Man kann ja Ansprüche haben, aber so überzogene?

Und was heißt schon "Zu spät"?

Mein Eindruck: das lyr. Ich jammert auf hohem Niveau. Eine wirkliche Dramatik erkenne ich nicht. Wenn man unzufrieden ist, muss man was tun.

Dir einen schönen Tag!

Rocco
"Erst in Rage werde ich grob -
aber gelte als der Hitzkopf?!"

Yusuf Ben Goldstein, aus Rocco Mondrians Komödie: Yusuf Ben Goldstein, ein aufrechter Deutscher

Erich Kykal

Re: Du kamst und gingst
« Antwort #2 am: Januar 21, 2022, 13:23:31 »
Hi Roc!

Hat dich mein letzter Kommi zu deinen Werken verletzt - und darum diese ziemlich eindeutige Retourkutsche, sogar mit demselben Begriff "skurril", damit ich es auch ja mitbekomme, wie's gemeint ist?  ;)

Falls ich verletztend war, tut mir das leid - beabsichtigt war es nicht. Ich sage halt immer ehrlich meine Meinung zum Werk. Über die Gefühle des Autors mache ich mir - leider zuweilen - weniger Gedanken.

Danke für das "Jammern auf hohem Niveau" - immerhin!  >:D

Zu deinen "Einwänden" (sollte es dich tatsächlich interessieren):

Es geht um den Prozess des Lichtverlustes  - "Abend" ist an sich ein statischer Begriff, wie eine Momentaufnahme in der Vorstellung. Das "dunkeld" bringt die Ebene der Veränderung durch eine Zeitspanne ins Spiel, macht das Abbild im Kopf sozusagen mehrdimensionaler, lässt den Leser den Abend als Prozess der Wandlung begreifen.

Es geht um Träume: wie man sich als junger Mensch gern vorstellt, mal berühmt zu sein, beliebt und begehrt usw., oder reich und mächtig, respektgebietend usw. - was auch immer. Wie viele dieser Träume verwirklichen sich - egal, wie sehr der Mensch sich bemühen mag? Extrem wenige, oder?
Daher ist es durchaus statthaft, davon zu schreiben, dass einen sein großer Lebensplan wohl nie gefunden hat - denn selbst gsucht haben wir doch fast alle irgendwann, oder?

Natürlich ist das Gedicht (obendrein aus der Ich-Perspektive geschrieben) subjektiv - Objektivität ist fast immer eine Illusion, vor allem, wenn es um die eigene Person geht ...  ;)

Wieder das Wunschdenken: Wer MÖCHTE wohl nicht in irgendetwas genial sein? Viele Begabungen zu haben, zwar alle überdurchschnittlich, aber leider letztlich alle gerade so unterhalb des WOW-Levels bleibend, kann ein Segen sein, aber auch ein Fluch ...

Irgendwann ist man zu alt, zu fett, zu faul, zu verfahren in den eigenen Ansichten und Ritualen, zu unwillig, noch Kompromisse einzugehen, die eigene Isolation zu gewöhnt usw ... - irgendwann IST es zu spät!

Ich habe unheilbaren Krebs, schlucke täglich 7 Tabletten für Dauerchemo, Blutwerte und Blutdruck bis Lebensende, wiege um die 150 Kilo bei einer Größe von 1m73, weil ich dank meiner Krankheit kaum die Kraft habe, eine Treppe zu steigen und schon gar keinen Sport mehr machen kann. Meine Augen werden schlechter, meine Feinmotorik geht den Bach runter, ich habe eine Glatze, und der Körper darunter ist absolut unzufriedenstellend, selbst wenn er schlank wäre.
Ich bin sozial inkompatibel, inkompetent in emotionaler Interaktion, stoße dauernd Leute vor den Kopf, ohne es zu wollen oder zu merken. - Und noch zig andere Punkte, die keinen was angehen.

Also ja - ich bin unzufrieden. Aber was kann ich machen? Ich sag's dir: Einen Scheiß! Mein Zug ist abgefahren, das wird nix Großartiges mehr. Soviel zur Dramatik.

LG, eKy
« Letzte Änderung: Juli 28, 2022, 22:04:33 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Du kamst und gingst
« Antwort #3 am: Januar 23, 2022, 15:40:27 »
Lieber Erich,

eine verpasste Chance, die das Leben auf größere Höhe hätte führen können. Unentschlossenheit ließ sie verstreichen und die Reue an ihre Stelle treten.

Sprachlich sehr schön, ja gediegen.

Grüße von gummibaum
     

Erich Kykal

Re: Du kamst und gingst
« Antwort #4 am: Januar 23, 2022, 22:34:33 »
Hi Gum!

Danke für die bestärkenden Worte!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.