Autor Thema: Dunkel  (Gelesen 1264 mal)

Sufnus

Dunkel
« am: September 25, 2018, 17:49:32 »
Dunkel

für Kasimir Malewitsch

Im Dunkeln ist es dunkel,
sofern kein Lichtgefunkel
die Finsternis erhellt
und grell ins Dunkel fällt.

Mithin sehn wir, in Nacht gekerbt,
den dunklen Raum ganz schwarz gefärbt,
beziehungsweise nicht:
Zum Schwarzsehn fehlt das Licht.
« Letzte Änderung: September 26, 2018, 12:45:46 von Sufnus »

Erich Kykal

Re: Dunkel
« Antwort #1 am: Juli 12, 2021, 18:37:06 »
Hi Suf!

Was ist mir denn da in die Pfoten gefallen!?  ;) Schau mer mal:

Im Dunkeln ist es dunkel,
sofern kein Lichtgefunkel
die Finsternis erhellt
und grell ins Dunkel fällt.

Mithin sehn wir, in Nacht gekerbt,
den dunklen Raum ganz schwarz gefärbt,
beziehungsweise nicht:
Zum Schwarzsehn fehlt das Licht.


xXxXxXx
xXxXxXx
xXxXxX
xXxXxX

xXxXxXxX
xXxXxXxX
xXxXxX
xXxXxX


Probleme hatte ich vor allem eingangs S2, da das "Mithin" gemeinhin auf Silbe eins betont sein will, zumindest wenn es am Satzbeginn steht und das folgende Verb nicht verkürzt wäre), während das Folgewort "sehn" als Verb eher betont sein möchte. Zusammen mit der Verkürzung des Verbs eine bezüglich der Betonungsfolge missinterpretationsanfällige Formulierung.
Zudem sind die beiden ersten Zeilen von S2 - wie markiert - um einen Heber zu lang und haben männliche Kadenzen, was beides den Takt von S1 verfälscht. Okay, vielleicht nehme ich es zu genau, aber zumindest dieser stilistische Vorschlag für den Einstieg für S2, ohne Verkürzung und betonungstechnisch klar nachvollziehbar:

"So sehen wir, in Nacht gekerbt,"

Sowie S2Z2:

"die dunklen Räume schwarz gefärbt,"

Das wäre sprachlich runder und spart das Füllwort "ganz".

Ist dir aufgefallen, dass "dunkel" dreimal vorkommt in S1? Die Wiederholung in Z1 geht als literarischer Kniff durch, um platitüdenhaft zu unterstreichen, das man das Selbstverständlich nur für die Unbedarften extra erwähnen muss. Das "Dunkel" in Z4 allerdings scheint mir ein Ticken zuviel des nicht gar so Guten (bedenkt man, dass das Wort in S2Z2 auch noch einmal auftaucht, was leicht zu verhindern wäre, zB. durch "Schattenräume"), das würde ich durch ein unverfängliches Wort ersetzen, zB.: "ins Schwarze", "ins Finstre", "in Duster", "ins Düstre", "ins Blinde", "durch Schatten", ...

Mithin ergäbe sich also dann diese mögliche Version:

Im Dunkeln ist es dunkel,
sofern kein Lichtgefunkel
die Finsternis erhellt
und grell ins Düstre fällt.

So sehen wir, in Nacht gekerbt,
die Schattenräume schwarz gefärbt,
beziehungsweise nicht:
Zum Schwarzsehn fehlt das Licht.


Nette Spielerei mit unterschiedlicher Kausalverknüpfung: Das Schwarzsehen im übertragenen oder wortwörtlichen Sinne? Teuflisch!  >:D

Gern hervorgeholt und - endlich - gewürdigt!  :)

LG, eKy
« Letzte Änderung: Juli 12, 2021, 18:41:28 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Rocco

Re: Dunkel
« Antwort #2 am: Juli 12, 2021, 19:36:09 »
Hallo Sufnus und Erich,

schön zu sehen, wie ihr einander kommentiert. Ich finde das fast immer lehrreich.

Mir fällt auf, dass Sufnus eine sprachliche Distanz wahrt, seine Verse wirken kühl. Was im Gegensatz steht zum Inhalt, der eine emotionale Sprechweise erfordern würde. Aber das kann ein literarischer Trick sein, um den Inhalt zu unterstreichen.

Deine Version, Erich, ist sprachlich natürlich. So würde man das Gedicht erwarten. Ich vermute aber, Sufnus hat sich mit seinem Trick etwas dabei gedacht.

Die Pointe gefällt mir. Zum Schwarzsehen fehlt uns Licht. Das könnte man als Bonmot gelten lassen.

Euch einen schönen Abend

Rocco
"Erst in Rage werde ich grob -
aber gelte als der Hitzkopf?!"

Yusuf Ben Goldstein, aus Rocco Mondrians Komödie: Yusuf Ben Goldstein, ein aufrechter Deutscher

Sufnus

Re: Dunkel
« Antwort #3 am: Juli 13, 2021, 14:18:23 »
Hi eKy!

Da hast Du aber wieder mit tiefem Spatenstich dunkle (sic!) Sinterschichten der Wiese ans Tageslicht befördert *Augen reib* :)
Vielen Dank für die archäologische Tätigkeit und die Bearbeitung. Ich denke, da könnte man tatsächlich an ein paar Punkten etwas Hand anlegen... jetzt bin ich dank Friedhelms neuster Perlen etwas vom Schüttelfieber befallen, das will zu dem Dunkelduktus dieses Textes nicht so recht passen... sobald ich mit wieder etwas entschüttelt habe, werde ich mich dem Patienten aber gerne nochmal widmen. :)
A propos "widmen": Die "Widmung" des Gedichts gilt einem russischen Maler namens Malewitsch (man soll ja keine Namenswitze machen, aber da juckts einen schon), der vor 105 Jahren einen Skandal auslöste, indem er bei einer Ausstellung u. a. das Bild "Schwarzes Quadrat auf weißem Grund" zeigte. :)

Hi Rocco! :)
Auch Dir vielen Dank für die Beschäftigung mit den Zeilen - und das Lob für eKy's und meine wechselseitigen Reflexionen. :) Und Du hast völlig recht: Dieses Gedicht endet, entgegen meiner "Standardpoetologie" mit einer Pointe und qualifiiziert sich dadurch für die humoristische Abteilung der Lyrik. :) (wobei eine Pointe m. E. kein notwendige Bedingung für humoristische Lyrik ist).

LG!
S.