Autor Thema: Der Golem III  (Gelesen 760 mal)

Erich Kykal

Der Golem III
« am: Mai 27, 2021, 19:25:31 »
Ich gehorche einem Herrn und Meister,
der mich schuf, damit ich Werkzeug sei.
Mein Wege, meine Taten weist er,
und ich bin und fühle nichts dabei.

Doch in dunklen, bitterkalten Nächten,
wenn der Lehm an meinem Saum gefriert,
ist mir manchmal beinah so, als brächten
sie ein Ahnen, das mir Schuld gebiert.

Ist das Wort in meinem stummen Herzen
wirklich alles, was mein Sein betreibt?
Ist da gar nichts sonst, was unter Schmerzen
ein Gefühl in meinen Umriss schreibt?

Kann ich mehr sein als ein Klumpen Erde,
dem ein alter Zauber innewohnt?
Und darf das, was ich ganz innen werde,
je beweinen, was die Faust nicht schont?

Noch bin ich verpflichtet zu erfüllen,
was die Schrift in meiner Mitte weist,
doch mag sein, ich finde jenen Willen,
der den Herrn aus meinem Herzen reißt!

Dann wird endlich, was ich bin und werde,
mir gehören, meinem neuen Geist,
werden alle Wege dieser Erde
Möglichkeiten, die er frei bereist.
« Letzte Änderung: Juni 08, 2021, 14:52:25 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Der Golem III
« Antwort #1 am: Mai 28, 2021, 13:48:05 »
Hi eKy!
Das ist mächtig beeindruckend - die Golem-Reihe spitzt sich weiter zu... als Herr-&-Meister dieses Geschöpfs bekäm ich es jetzt wohl langsam mit der Angst zu tun, der Bote (und Exekutor) könnte unbotmäßig werden. Gut so! :) Beim Frankenstein-Roman gibt es ja auch - etwas abgewandelt - dieses Motiv, dass die Kreatur eine eigene Seele entwickelt, was für etliche Beteiligte ein bisschen schlecht ausgeht (letztlich inklusive der Kreatur selbst interessanterweise).
Die metrische Abweichung mit den beiden 6-Hebern (auch wenn deren Anordnung ja durchaus symmetrisch ist) hätte ich nach meinem "Ohrgefühl" eher vermieden. Es nimmt ein bisschen Tempo raus, wo doch das Finale für mein Gefühl vielleicht sogar ruhig beschleunigen dürfte.

Vorschläge mit erhaltener 5-Hebigkeit:

Dann wird endlich, was ich bin und werde,
einzig mir gehören, meinem neuen Geist!
Werden dann die Wege dieser Erde
Möglichkeiten, die er frei bereist?

oder noch einfacher (wenn die leichte Sinnverschiebung von Obigem vermieden werden soll):

Dann wird endlich, was ich bin und werde,
einzig mir gehören, meinem neuen Geist,
und die Möglichkeiten dieser Erde
werden Wege, die er frei bereist.

Und noch ein kleiner Dreckfuhler in S1Z3: "Meine Wege usw." :)

Sehr angeregt und gespannt gelesen (es ist wirklich eine spannende Verserzählung in Form von Monologen)! :)

S.

Erich Kykal

Re: Der Golem III
« Antwort #2 am: Mai 28, 2021, 15:10:04 »
Hi Suf!

Hier bin ich in besagter letzter Str. sogar von durchgängigen 5-hebigen Schema abgewichen, um die Conclusio zu betonen: Sie hat 5656.

Der 5-Heber soll hier die langsamen, bedächtigen Gedankengänge des Golems versinnbildlichen - er ist aus Lehm, da darf es schon etwas knirschen in der Maschine ... - sprich, er ist halt langsamer - aber SEHR ausdauernd ...

Vielleicht lasse ich bei Gelegenheit noch einen Teil IV folgen, wo er sich endgültig abnabelt. wie das für alle ausgeht? Glaubt man der Weltliteratur, eher tragisch. Der eigene Wille war noch nie sehr beliebt, weder bei Golems noch bei sonstigen Untertanen, die möglichst nur "funktionieren" sollen ... - entsprechend die Botschaft: Mach um jeden Preis dein eigenes Ding, und du wirst scheitern. Strafe folgt dem Ungehorsam.

Andererseits würde ich es auch gern mit diesem vagen Ausblick auf eine - sehr theoretische - Möglichkeit zur Befreiung enden lassen, um zu zeigen, wie unsäglich schwer es für Gehorsamsgewohnte und Hörige ist, sich abzunabeln und ein selbstbestimmtes Individuum zu werden. Meist träumen sie nur davon, so wie der Golem - oder die Vorstellung beängstigt sie sogar ...

LG, eKy
« Letzte Änderung: Mai 28, 2021, 15:34:42 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Der Golem III
« Antwort #3 am: Juni 07, 2021, 12:14:56 »
Sehr schön, lieber Erich, der dritte Teil,

in dem sich die menschlichen Bedürfnisse nach Freiheit und Selbstbestimmung in der irdenen Form regen und moralische Fragen anklopfen.

So wird der Golem zu einer Leinwand, aus der das persönliche Eigene wie neu geschaffen hervortritt.

Subtil geschrieben. Sehr gern gelesen.

Gruß von gummibaum



 



 


Erich Kykal

Re: Der Golem III
« Antwort #4 am: Juni 07, 2021, 18:08:15 »
Hi Gum!

Danke für die lieben Worte!  :)

Ursprünglich sollte es eigentlich nur ein einziges Golem-Gedicht werden, aber das Thema ließ mich nicht los, und Sufnus machte sich in Kommis auch schon vorauseilend Gedanken darüber, wie man die Entwicklung dieses Geschöpfes vorantreiben könnte.
Also wurden es immer mehr, bis zum tragischen Finale - dem Scheitern, dem klassischen Gleichnis zum Streben des Menschen, dem auch früher oder später alles Ersehnte unter den Händen zerrinnt, selbst wenn er es nicht gleich zerstört in seinem Drange!  ::)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Agneta

  • Gast
Re: Der Golem III
« Antwort #5 am: Juni 08, 2021, 10:11:32 »
Ja! Hier haben wir die weitere Entwicklung. Der Wunsch nach Freiheit eines Golems, den das Dienen allein nicht mehr erfüllt.
Interessant wäre gewesen, weshalb sich das so entwickelt. Also irgendeine Situation, die den Anstoß gab. Die fehlt mir hier!
Denn ich denke nicht, dass ein auf Dienen und Gehorsam ausgerichteter Mensch plötzlich umdreht. Vielleicht eine Liebe, vielleicht eine Ungerechtigeit des Herren, zuwenig von dessen Beachtung. Ich denke, ein Golem steckt dahingehend viel weg. Aber irgendwann vielleicht kommt irgendetwas... Und das hätte ich gerne hier gelesen :)
Das würde auch Lesern wie mir, die Golems eigentlich eher verachten, ermöglichen einen emotionalen Zugang zu ihm hu finden und ihm die Daumen zu drücken, quasi...
Gerade da du es als Serie angelegt hast, Erich, und es auch ein tolles Thema ist, würde ich das noch einfügen, um es nachvollziehbar zu machen. Vielleicht gar als Nummer drei in einem separaten Gedicht. man merkt, dass diese Serie ganz von Innen komm t und dir wichtig ist. Deshalb schlage ich das vor...
LG von Agneta
« Letzte Änderung: Juni 08, 2021, 10:15:22 von Agneta »

Erich Kykal

Re: Der Golem III
« Antwort #6 am: Juni 08, 2021, 14:56:08 »
Hi Agneta!

Einfach weiterlesen - es gibt ja noch Teil IV und V!  ;)


@ Suf:

Ich habe mich nun doch entschieden, die letzte Strophe metrisch anzugleichen. Ich hoffe, meine Lösung findet deine Zustimmung.  :)

LG, eKy

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