Hi AL!
Gedichte über Blumen und Samen als Chiffren für die Reifung des Menschen (oder schlicht sein Älterwerden) sind so eine Sache... das Thema ist im Prinzip irgendwie ziemlich "durch", wobei man sagen muss, dass Gedichte mit dieser "Codierung" vor allem ein großes Thema der bürgerlichen Lyrik des 19. Jahrhunderts waren - das aber dann gleich so gründlich, dass man nicht mehr so recht weiß, wie man hier noch etwas Neues beitragen kann.
Also ich würde tendenziell eher die Finger von diesem etwas ausgelatschten Komplex lassen - Du hast das nicht getan und tatsächlich in der vorletzten Zeile einen Aspekt angedeutet, der gleichzeitig bedeutungsoffen (damit kriegst Du mich natürlich) und auch noch vergleichsweise weniger "benutzt" wurde. Denn was die Vögel wohl mit dem Samen letztlich anstellen, hängt doch sehr von der Art der Sämerei und der Güte des aviären Verdauungstraktes ab. Es mag sein, dass der geflügelte Bote den Samen in der Welt verbreitet, auf dass andernorts neues Grün hervorkeimt, es mag aber auch sein, dass der Piepmatz, wenn er denn ein Körnerfresser ist, die dargebotenen Kalorien als Sprit für den nächsten Rundflug benutzt und das, "was hinten rauskommt" ein ziemliches biologisches Dead End repräsentiert.
Also mit diesem offenen Bild bin ich eigentlich ganz happy. Was mir aber ein bisschen gegen den Strich geht, ist dass dann in der letzten Zeile nochmal eine doch ganz schön konventionelle Sichtweise dargeboten wird. Ich habe gar nichts gegen ein optimistisches Ende eines Gedichts, aber genau das ist eben in der Gattung der "Blüh-auf-und-werd-zum-Samen"-Lyrik schwierig weil, siehe oben: für mein Liking etwas ausgelatscht.
Für einen positiven Entwicklungsschluss - wahlweise der Sorte nach dem Abblühen gibts "in einer besseren Welt" die Bonusrunde oder aber nach dem Motto "wir geben etwas an die lieben Verbliebenen weiter" - würd ich persönlich dringend zu einer anderen bildhaften Ausgangskonstellation raten.
LG!
S.