Lieber Sufnus,
sehr schön hast Du den besonderen Kern von gummibaums Gedicht herausgearbeitet. Darin stimme ich Dir völlig zu. Zum Widerspruch reizt mich Deine Ansicht, das Thema Demenz eigne sich nicht für Lyrik. Demenz ist etwas, das in unserer Gesellschaft immer stärker zu tage tritt, und es ist gleichzeitig ein angstbesetztes Thema, das stark verdrängt wird. Vor einigen Jahren hat sich Gunther Sachs erschossen, nur weil er vermutete, er könnte dement werden. Seine Selbstdiagnose war ärztlich nicht bestätigt.
Vor längerem habe ich als ehrenamtliche Sterbebegleiterin einen dementen Mann betreut, der nicht mehr verständlich reden konnte. Stundenlang saß ich an seinem Bett, weil er nicht mehr allein sein konnte. Seine Sprache hatte sich auf das Niveau eines Kindes vor dem Spracherwerb zurückgebildet. Seine Verwandten haben dieses "Sprechen" nicht mehr ausgehalten. Auch ich war zunächst erschüttert, weil ich bisher nur Demente betreut hatte, die in ihrer eigenen, teilweise unzugänglichen Welt lebten, aber mit ihnen war noch eine Kommunikation möglich, wenn man sich auf ihre Sichtweise einlassen konnte.
Meine Erschütterung über den Mann, der seine Sprache verloren hatte, habe ich mir mit den folgenden Zeilen von der Seele geschrieben.
Letzte Fragen
Wenn ich vergesse, wie ich die Welt bewirke,
dass Licht kommt, wenn ich den Schalter kippe,
dass Wasser rinnt, wenn ich den Hahn drehe,
was ist dann noch wirklich?
Wenn keine Wirkung mehr ausgeht von meinem Wünschen,
wenn meine Sprache zerfällt zu Atomen,
die keinen Kosmos mehr finden,
wer wird dann noch hören?
Ich denke, dass diese Zeilen doch Anregung sein könnten, über Demenz und unsere Reaktion darauf nachzudenken. Lyrik kann doch genau das versuchen, Fragen zu stellen und Nachdenklichkeit anzuregen.
Herzliche Grüße, AlteLyrikerin.