Autor Thema: Woraus wir werden  (Gelesen 994 mal)

Erich Kykal

Woraus wir werden
« am: Juli 11, 2019, 11:48:03 »
An welchen Wunden stählt sich das Gedächtnis
im freien Fall durch die Erinnerungen,
den Lebenslabyrinthen abgerungen
als seltsam wesensformendes Vermächtnis?

An welchen Reibungspunkten wirkt die Wärme
erlebter Taten und Verhinderungen?
Aus welchem Lied, ins Meer der Zeit gesungen,
erheben sich der Hoffnung Möwenschwärme?

Aus welchen Tiefen rufen uns die Tage,
die sich beginnen mit „Es war einmal ...“,
und was gewinnen wir aus ihrer Frage,

ob wir noch dort sind, wo sie uns vergingen,
und ob aus ihrem weisenden Fanal
noch neue Auferstehungen gelingen.
« Letzte Änderung: Mai 21, 2021, 15:31:02 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Erich Kykal

Re: Woraus wir werden
« Antwort #1 am: M?RZ 18, 2021, 23:53:06 »
Und sind die Auferstehungen gelungen -
von welcher Stimme werden sie besungen?
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Woraus wir werden
« Antwort #2 am: M?RZ 22, 2021, 20:13:42 »
Hey eKy!

Bei diesen Zeilen fällt mir der Ausdruck "altmeisterlich" ein, den ich immer mit der Musik von Brahms verbinde. Ich bin nicht sicher, wie dieses Attribut in Deinen Ohren klingt, vielleicht drückt das klangähnliche Wort "altväterlich" durch und Du empfindest es als Abwertung? Ich glaube Brahms hätte "altmeisterlich" abgelehnt, womöglich gar als Affront empfunden, doch ich bewundere seine Musik zutiefst und für mich ist die Bezeichnung als uneingeschränktes Kompliment gemeint. :)

Dein Sonett, eKy, hat etwas von Brahms mit seiner formalen Sicherheit, den klanglichen Raffinessen, die aber nirgends Vorlaut ins Virtuose drängen und den sorgfältig durchgearbeiteten Details (z. B. die beiden Reim-Klammern der Quartette bzw. der Terzette jeweils durch die mittleren Reimendungen). :)

Also nur Minikorinthen als geschmacksbedingte Anmerkungen (und zum Beweis gründlicher Lektüre :) ).
- S1Z3: zwingend abgerungen ist für mich, je nach unterlegter Bedeutung von "zwingend", entweder ein Pleonasmus (durch Zwang-Ausübung abgerungen) oder ein Widerspruch in sich (aufgrund innerer Folgerichtigkeit abgerungen). Außerdem klingt das "zwingend" hier nach metrumgeschuldetem Füllwort.
Vorschlag: "den Lebenslabyrinthen abgerungen"
- S3Z3: Die Doppelung von "beginnen" funktioniert für mich nicht 100% als gliedernde Parallelsetzung, sondern mutet nach meinem Gusto etwas monoton an.
Vorschlag: "und wie verwinden wir nur ihre Frage,"

Beide Anmerkungen eher unerheblicher Natur, jedenfalls den Lesegenuss nicht schmälernd! :)

LG!

S.

Erich Kykal

Re: Woraus wir werden
« Antwort #3 am: M?RZ 22, 2021, 20:34:48 »
Hi Suf!

Nein, gegen "altmeisterlich" habe ich absolut nichts einzuwenden, stehen doch zB. in der Malerei die alten Meister für hohes Können und gründliche Schule!

Deine Peanuts habe ich gern berücksichtigt. S1Z3 übernehme ich mit großem Dank, und das zweite "beginnen" in S3Z3 habe ich durch "gewinnen" ersetzt. Ich hoffe, damit sind auch nach deiner Lesart alle Störungen beseitigt.
(Ein wenig unglücklich erscheint in diesem Zusammenhang der Umstand, dass dieses Werk in alter Form bereits 2020 in meinem letzten Buch veröffentlicht wurde. Da muss ich mit der dortigen Korrektur wohl bis zur 2. Auflage warten ...  ;) ;D ::))

Vielen Dank, dass du dieses ältere Werk so freundlich kommentiert hast, und für das sprachlich so erbaulich formulierte Lob, das sich kaum weniger kunstbeflissen in Worte kleidet als meine Zeilen darüber! (Verbeuger)  :)

LG, eKy
« Letzte Änderung: M?RZ 22, 2021, 20:39:07 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Woraus wir werden
« Antwort #4 am: M?RZ 23, 2021, 14:00:20 »
Hi eKy!
Der Dank ist ganz auf meiner Seite! :)
LG!
S.
P.S.:
Und noch ein Wort zu Deinem "Nachklapp" ("Und sind die Auferstehungen gelungen... "). :)
Als Anhängsel an das gediegene Sonett funktioniert der Zweizeiler für mich nicht 100% ("nur" 99% ;) ), weil er ein bisschen vom eigentlichen Gedicht erdrückt wird. Als Solo-Miniatur aber, durchaus in der den Leser gedanklich ebenso befreienden wie anregenden "Kontext-losigkeit", lebt dieses Miniwerk für mich regelrecht auf und gewinnt Goethe'sche Gedankentiefe und -leichtigkeit. Ganz wunderbar! :)
Du wirst es wohl nicht "nur für sich" hier einstellen wollen, da Du die vergleichsweise "größeren" Formen (Sonett & Co., die ja im Gesamtkonzert der lyrischen Formen immer noch eher knapp gefasst sind) über die ganz kleinen Kürzestformen stellst. Das ist eben auch Geschmacksache. :) Aber ich liebe diesen geistreichen, lyrischen Spruch von Dir sehr! Auch in den ganz knapp gefassten Formen erweist Du Dich als meisterlich! :)

Agneta

  • Gast
Re: Woraus wir werden
« Antwort #5 am: M?RZ 24, 2021, 09:05:35 »
ich schließe mich Sufnus an, lieber Erich. Möchte inhaltlich hinzufügen, dass es ganz in uns selbst liegt, welche Lebenspunkte uns auferstehen oder niedergehen lassen. LG von Agneta

Erich Kykal

Re: Woraus wir werden
« Antwort #6 am: M?RZ 24, 2021, 09:44:28 »
Hi Suf!

Den "Nachklapp" habe ich nur geschrieben, um sozusagen eine "Ausrede" für den selbst-liftenden Doppelpost zu haben.  ;) ::) >:D Man möge mir die kleine Eitelkeit vergeben ...


Hi Agneta!

Ja, es liegt letztenendes an uns selbst. Oft reichte ein kleiner "sidestep", ein minimaler Perspektivwechsel und Neugewichtung der Lebensprämissen, um Weltschmerz und/oder Selbstzerwürfnisse aller Art zu vermeiden. Geht bloß nicht immer so leicht. Woran wir ganz fest glauben, ist nicht so leicht über Bord zu werfen. Wir bemühen uns um zerebrale und emotionale Anpassung auf dem kleinstmöglichen Nenner, um - wo immer möglich - unser liebgewonnenen Weltbilder oder Selbstdefinitionen nicht zu beschädigen, aber leider ist das zuweilen nicht genug. Zuweilen tut's nur ein klarer Schnitt, um die persönliche Katastrophe zu umschiffen. Wer schafft derlei schon, und erahnt obendrein den exakt nötigen Moment dafür?

Ich selbst tu mich damit vielleicht etwas leichter, weil ich mich selbst nie in eine Schubade gesteckt habe und mich auch nie allzu tief tätig wie gefühlsmäßig in der Welt oder in Menschen verankert habe. Nicht so, dass es für mich unumkehrbar war. Das machte Abschiede, Verluste und Neuausrichtungen wesentlich einfacher und erträglicher.
Auf der anderen Seite steht natürlich das soziale Minus unter der Rechnung, das ich nie werde ausgleichen können.


LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Woraus wir werden
« Antwort #7 am: M?RZ 24, 2021, 20:11:48 »
Hi Suf!

Den "Nachklapp" habe ich nur geschrieben, um sozusagen eine "Ausrede" für den selbst-liftenden Doppelpost zu haben.  ;) ::) >:D Man möge mir die kleine Eitelkeit vergeben ...


Da der Nachklapp von exquisiter Qualität ist, gibt es nichts zu vergeben - wir sind ganz die Beschenkten! :)

LG!

S.

Erich Kykal

Re: Woraus wir werden
« Antwort #8 am: M?RZ 26, 2021, 10:04:41 »
Hi Suf!

Ach, die zwei Zeilchen ... - du beschämst mich.  :-\
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.