Autor Thema: Traue der Stille  (Gelesen 963 mal)

AlteLyrikerin

Traue der Stille
« am: M?RZ 13, 2021, 12:29:46 »
Traue der Stille etwas zu.
Fülle sie nicht mit Belanglosem.

Nutze das Licht deiner Augen,
die Kraft deines Lächelns,
die Wärme deiner Hand -
wenn du darfst.

Das Wort, das du nicht sagst,
kann heilen.
 
Prüfe unerbittlich das Wort,
das deine Lippen bedrängt.
Nur, wenn es zu Herzen geht,
kann es Trost sein.

Erich Kykal

Re: Traue der Stille
« Antwort #1 am: M?RZ 13, 2021, 18:28:09 »
Hi AL!

Ein erhebender Gedanke, indes, es fällt einem Wesen wie dem Menschen, das seinen Sozialstatus, sein ganzes Miteinander. sein Fortkommen und oft auch sein Einkommen über die Ausübung von Sprache defniert oder bezieht, allzu schwer, alles über bedeutungsvolle Blicke und herzerwärmende Gesten zu steuern.

Das zeigt sich in den letzten Jahren besonders in den sog. "sozialen Netzen" im Internet: Wo egal wer egal was egal wozu ablassen kann, ohne eine Überprüfung auf Richtigkeit fürchten zu müssen, oder eine Überlegung, ob das Abgesonderte überhaupt jemanden interessiert, wird die erklärte Oberflächlichkeit quasi zum inhaltlichen Diktat.
Plattformen für Selbstdarsteller, selbsterklärte Meinungsmacher mit ihren dumpfen "Followern", Produkterklärer, Mobber, Shitstormer, Demagogen und Geschichtsfälscher im Eigeninteresse! Der "Fake Fact" als Basis einer zu Realität erklärten Scheinwelt, die obendrein persönlichen Kontakt überflüssig macht. Wünschen wir uns so eine Zukunft?

Was du im Gedicht beschreibt, verlangt nicht nur Unmittelbarkeit, sondern auch Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit und setzt all das für alle Beteiligten voraus. Ich fürchte, wir beginnen mittlerweile nachhaltig, derlei zu verlernen. Kaum jemand versteht sich noch auf Körpersprache und Mimik - wie sonst hätte jemand wie Trump gewählt werden können? Ich wusste seit dem ersten Mal, da ich ihn sah, dass dieser Mensch ein ausgemachter Unsympath ist! Das war Jahre vor seiner politischen Karriere, im  Film "Kevin allein in New York". Und das habe ich, die eremitische Sozialruine, bemerkt!

Dass er trotz seiner eindeutigen Körpersprache und seinem verächtlich-aggressiven Mienenspiel so viele Dussel von sich überzeugen konnte, beweist, wie wir zunehmend verlernen, im anderen zu lesen. Oder bereit sind, aus verzweifelter Hoffnung erkannte Realität zu verleugnen oder hintanzustellen. Frage bleibt: Wie schlecht, dumm oder verzweifelt muss man sein, um aus den Worten eines Trump tatsächlich Trost schöpfen zu können!?

Aber ich schweife ab. Dein Werk bezieht sich ja eigentlich eher auf das innige Miteinander von einander vertrauten Seelen innerhalb einer Beziehung, wenn ich das korrekt deute.
Dort sollte solcher Umgang über lange Jahre erlernt sein - denn nur auf diese Weise bleibt so eine Beziehung aufrichtig und tragfähig. Allerdings - wenn man sieht, wie viele Paare aneinander vorbeileben, auf treue Lügen vertrauen oder lieber leugnen, was nicht in ihr Bild vom Partner passt, oder kontrollsüchtig den Partner einkerkern, oder sich mit blanken Krallen bekriegen, bis ihre Kinder traumatisierte Wracks sind - könnte man wiederum den Glauben an das Gute im Menschen verlieren!

Wie gesagt - ein erhebender Gedanke. Für die Augenblicke, die wir bereit und fähig sind, dieses Ideal umzusetzen. Gern gelesen!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

AlteLyrikerin

Re: Traue der Stille
« Antwort #2 am: M?RZ 15, 2021, 12:59:19 »
Hallo Erich,

herzlichen Dank für Deine ausführliche Stellungnahme. Ich stimme Dir zu, Sprache ist in der Regel unverzichtbar. In dem Text geht es aber um Situationen, in der Sprache nicht mehr funktioniert, in der Schweigen aber ergänzt werden muss durch menschliche, berührende Nähe.
Bei hochgradig Dementen funktioniert sprachliche Kommunikation z.B. nicht mehr.
Es gibt Menschen, die von einem solchen Leid betroffen sind, dass jedes Wort wie Hohn oder wie eine verlogene Vertröstung klingt. Solche Begegnungen erlebe ich immer wieder bei meiner Arbeit als Sterbebegleiterin bzw. Trauerbegleiterin. Davon versucht der Text etwas zu vermitteln.

Herzliche Grüße, AlteLyrikerin.

Sufnus

Re: Traue der Stille
« Antwort #3 am: M?RZ 15, 2021, 16:09:18 »
Liebe AL! :)

Also ein Gedicht über die Stille zu schreiben, ist schon eine heikle Angelegenheit... Gedichte sind ja in ihrer (häufig sanglichen) Sprachhaftigkeit schon auf halbem Wege zum Stillbruch (ein etwas gewagter Neologismus meinerseits, der ein bisschen wie ein Unfall bei holder mütterlicher Tätigkeit klingt).

Tatsächlich finde ich in Deinen Zeilen zwar Eindringlichkeit und auch Prägnanz, aber keine Stille. Dabei bin ich, ehrlich gesagt, aber selbst auch einigermaßen ratlos, wie man in einem Gedicht Stille ausdrücken könnte. Das einzige, was mir einfällt, wäre Stille innerhalb eines Gedichtes durch ein Lücke im Text zu erzeugen oder am Ende des Gedichtes der Stille Raum zu geben, indem ein Gedanke des Gedichts beim Leser "nachhängt". In letzterem Fall müsste das Gedicht sozusagen mit einem Doppelpunkt enden und nicht mit einem Punkt.

Wie dem auch sei - also hier komme ich auch nicht so recht weiter, aber ein bisschen stört mich der Widerspruch von eingeforderter Stille und dem Reden des Gedichts, welches die Stille gerade aufhebt.

Durch den Kontext, den Du lieferst - also das "stille Gespräch" mit einem Dementen, der "normale" Sprache nicht mehr verarbeiten kann, oder die schweigende Zuwendung zu einem im Wortsinne untröstlich Trauernden, wird für mich klar, was Du hier ausdrücken wolltest :) , doch es bleibt ein Rest Irritation über den Bruch der Stille durch die Forderung nach Stille.

Immerhin kann Irritation aber etwas ungemein Anregendes sein und in diesem Sinn, freut mich Dein Gedicht außerordentlich! :) Und vielleicht fällt mir ja mit etwas Verzögerung auch noch mehr dazu ein! :)

LG!

S.

AlteLyrikerin

Re: Traue der Stille
« Antwort #4 am: M?RZ 15, 2021, 17:19:51 »
Lieber Sufnus,

herzlichen Dank für Deinen Kommentar, der mich freut, obwohl ich denke, dass da ein Missverständnis vorliegt. Das Gedicht soll gar nicht "Stille" beschreiben, sondern die Notwendigkeit der Stille. Ich habe schon so viele peinliche Worthülsen gehört, die nicht nur unangenehm sind, sondern verletzen. Manches Wort bliebe besser ungesagt, aber es wird rausgelassen, weil das Schweigen nicht als etwas Positives sondern als eine Belastung wahrgenommen wird.

Herzliche Grüße, AlteLyrikerin.

Sufnus

Re: Traue der Stille
« Antwort #5 am: M?RZ 15, 2021, 17:35:47 »
Liebe AL,

zumal mit Deiner Erklärung bzgl. Demenzkranker oder Trauernder war die Intention des Gedichts kaum misszuverstehen und insofern habe ich das schon mehr oder weniger so aufgefasst, wie Du schreibst - das ändert aber nichts daran, dass sozusagen "der Stille das Wort geredet wird" und wenn man die Form, die Du hierfür gewählt hast, also das Gedicht, in ihrer Literarizität (das Wort wollte ich immer schon mal benutzen) ernst nimmt, dann stellt sich unweigerlich eine künstlerische Deutungs-Ebene ein: "Was will uns der Autor damit sagen und wenn ja, warum?" ;)

Du hast ja nicht einfach einen Ratgebertext geschrieben, sondern durch die Zeilenumbrüche und die poetische Sprache ein ganz bestimmtes künstlerisches Ausdrucksmittel gewählt. Der bloße Inhalt wäre einfacher "rüberzubringen" gewesen. Und deshalb, aufgrund dieses künstlerischen "Überhangs", stellt sich beim Leser (also mir  ;D ;) ) die Frage: Was ergibt sich aus der Kollision von geforderter Stille und gebrochenem Schweigen? Und da setzt bei mir derzeit noch eine gewisse Ratlosigkeit dem Text gegenüber ein. Das ist aber gar nichts Schlimmes - ganz im Gegenteil! :) Ich freue mich deshalb sehr über diese Zeilen von Dir! Ich krieg sie nur "künstlerisch" (also jenseits des simplen Inhaltes) noch nicht so richtig auf die Kette.

LG!

S.