Autor Thema: Der Friedhofswitwer  (Gelesen 625 mal)

Erich Kykal

Der Friedhofswitwer
« am: Februar 24, 2021, 10:24:07 »
Stiller als in all den Jahren,
die ihm leicht und heller waren,
als er liebte, wahr und treu,
geht er jeden Tag mit Kerzen
an die Stelle seiner Schmerzen
und belebt sie damit neu.

Nimmer will er ohne Leiden
sich mit einem Sein bescheiden,
das sie nicht mehr innig teilen,
und er will nicht mehr verweilen
als ein Schatten, zag und scheu.

Immerfort geht er die Runde,
immerfort zur gleichen Stunde,
die ihm seine Hälfte nahm,
kann ihm dieses halbe Leben
keine klare Form mehr geben,
außer in Verlust und Gram.

Er betäubt sein Überdauern
jenseits stummer Friedhofsmauern,
selbst der einst geliebte Garten
scheint nur auf den Tod zu warten,
der sein Leben überkam.
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

hans beislschmidt

Re: Der Friedhofswitwer
« Antwort #1 am: Februar 24, 2021, 13:34:27 »
Lieber Erich, interessantes Reimschema. Meist sind es ja Frauen, die den Friedhof bevölkern und im Trauerwettstreit mit anderen Witwen sind. Deren Männer eine Aufmerksamkeit erfahren, die ihnen im Leben nie zuteil wurde. Das behaupten zumindest gehässige Kommentare der Ach so lieben Nachbarn. Gerne gelesen. Gruß vom Hans
"Lyrik braucht Straßendreck unter den Fingernägeln" (Thomas Kling)

Erich Kykal

Re: Der Friedhofswitwer
« Antwort #2 am: Februar 24, 2021, 18:44:54 »
Hi Hans!

Das Spiel: Wer hat das tollste, aufwändigste Grab mit der intensivsten Pflege? Der muss auch seinen Verstorbenen am meisten und treusten geliebt haben! Der muss dann auch eindeutig der beste Mensch, der bravste Bürger sein! Welch anderes Kriterium könnte es geben!?  ;D ::) >:D

Hab ich nie mitgespielt. Ein Grab ist für mich nur ein kulturell anerkannter Restecontainer. Steinplatte druff und fertig. Um meiner Toten zu gedenken, habe ich nie eine bestimmte Stelle gebraucht.

Aber es gibt eben solche Menschen, die ihr einsames Überdauern oder den Verlust nicht verwinden können und täglich den Ort des Gedenkens aufsuchen, um neu zu trauern und in ihrem Schmerz wühlen zu können. Sie sprechen mit den Verlorenen, als könnten diese alles hören, unfähig, vom Gewohnten zu lassen, sich einem veränderten Universum durch Veränderung zu stellen. Wie Flagellanten, die sich täglich mit Erinnerung geißeln, mit begraben in Verlustschmerz, bis zuletzt unfähig, sich aus der rituellen Konservierung des Gewesenen zu lösen.

Und ja - einige "trauern" sicher theaterreif, damit alle anderen im Dorf oder Viertel es sehen können - wie gut und angepasst klischeehaft partnertreu sie sind. Aber diese Unwahren waren im obigen Werk nicht gemeint.

Das Gedicht richtet sich übrigens nicht gegen Trauerarbeit an sich - nur wider das endlose Verharren darin, so als verpflichte der Verlust den Überlebenden zur leidvollen Buße und irdischer Entsagung bis zum eigenen Tod. Königin Viktoria von England war ein gutes Beispeil dafür ...

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Der Friedhofswitwer
« Antwort #3 am: M?RZ 05, 2021, 10:40:20 »
Hi eKy!
Dieses Gedicht verbindet auf wirklich perfekte Weise eine "schöne" Sprache mit einem persönlichen und "echt" wirkenden Ton. :)
Ein häufiges Problem bei anspruchsvoller sprachlicher Gestaltung in klangschönem und ebenmäßigem Duktus ist, dass die Haltung ins Pathetische oder Seelenlose abkippt.
Ein Mittel, um dieses zu vermeiden, ist das Zulassen von Brechungen oder Irregularitäten, eine andere Möglichkeit besteht im Zurücknehmen des formalen Aufwandes hin zu einem klareren und "einfachen" Ton.
In Deinem Beispiel, lieber eKy, ist der zweite Angang mustergültig realisiert, so dass Du keine sprachlichen Verwerfungen und Bruchlinien nötig hattest.
Ein sehr schöner und inniger Text! :)
LG!
S.

Erich Kykal

Re: Der Friedhofswitwer
« Antwort #4 am: M?RZ 05, 2021, 13:10:03 »
Hi Suf!

die Teilung in kürzere Verse hilft ebenfalls, allzu pathetische Sprachführung zu vermeiden - das Tempo erhöht sich, alles wirkt dynamischer. Der Vierheber verhindert einen allzu theatralischen Duktus.

Vielen Dank für deine erhebenden Worte!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.