Autor Thema: Drinnen  (Gelesen 938 mal)

Erich Kykal

Drinnen
« am: M?RZ 07, 2021, 10:14:21 »
Drinnen lebe ich, vor meinen Fenstern spielen
kurze Filme, deren Handlung sich entzieht,
bis es wieder Nacht wird und man nichts mehr sieht
von den täglich unbewältigten Gefühlen.

Drinnen ist mir nach wie vor die Stube weit.
Draußen machen sie noch immer viele Regeln,
ignorieren sie und gehen abends Kegeln,
wissen immer alles besser jederzeit.

Drinnen weiß ich jede Stunde mir zu gürten,
lese viel und träume von verbrachter Zeit,
als ich jünger war und alle Wege breit
ins Geplante führten, das wir in uns spürten.

Drinnen bleibe ich und halte mich bereit
für die letzten Augenblicke, welche zählen,
um für mich den noch erträglichsten zu wählen,
bis ich ganz gefallen bin aus Welt und Zeit.
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Agneta

  • Gast
Re: Drinnen
« Antwort #1 am: M?RZ 07, 2021, 12:05:26 »
ein berührendes Werk, Erich und ein Weg, der zwar vom Verstand her gut ist, aber für mich undenkbar wäre. Ich bin ein "Draußen-Mensch". LG von Agneta

Erich Kykal

Re: Drinnen
« Antwort #2 am: M?RZ 07, 2021, 16:11:03 »
Hi Agneta!

Auch ich habe mich eine zeitlang nach außen orientiert, die Welt erforscht, sogar Gefahr und Risiko gesucht, aber ich habe mir als Jugendlicher wohl zu sehr an einigen Mitmenschen weh getan, um das dauerhaft aufrecht erhalten zu wollen. Da ich Menschen nie wieder ausreichend werde vertrauen können, um das erlangen zu können, was ich als beiderseitig fruchtbare und innige Partnerschaft verstehe, verlor ich irgendwann die Lust an "direktem" zwischenmenschlichem Austausch.

Vielen Dank für deine Perspektive.  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Rocco

Re: Drinnen
« Antwort #3 am: M?RZ 07, 2021, 19:02:51 »
Hallo Erich,

das ist eins der Gedichte, auf die es keine Die-einzig-Richtige Interpretation gibt.

Mir fällt auf, dass jeder seine eigenen Regeln macht. Denn, sich zurück ziehen ist ebenso willkürlich, wie die Regeln der Außenwelt.

Kann es sein, dass das lyr. Ich offener wäre, wenn es seine Gefühle bewältigen könnte?

Es ist, zum Beispiel, denkbar, dass ein anderes lyr. Ich nach außen flüchten würde, mit der gleichen Begründung.

Ich sage das, weil ich auf die willkür des lyr. Ichs hinweisen will.

Leben ist, was man daraus macht.

Es lohnt sicher, auch andere Aspekte des Gedichts zu durchdenken.

Einen schönen Abend

Rocco
"Erst in Rage werde ich grob -
aber gelte als der Hitzkopf?!"

Yusuf Ben Goldstein, aus Rocco Mondrians Komödie: Yusuf Ben Goldstein, ein aufrechter Deutscher

Erich Kykal

Re: Drinnen
« Antwort #4 am: M?RZ 07, 2021, 20:06:03 »
Hi Rocco!

Natürlich gibt es kein gültiges Gesamtrezept. Selbstisolation ist auch nur eine von vielen Möglichkeiten, mit Selbstdefiziten umzugehen. Und die Gründe dafür sind so vielfältig wie die menschliche Natur.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Copper

Re: Drinnen
« Antwort #5 am: M?RZ 11, 2021, 20:01:36 »
Hallo Erich,
Wieder ein Gedichtt von dir, das mich sehr berührt, ich kann die Gefühle gut nachvollziehen. Menschen können einem sehr viel Kraft rauben und einem viel Energie nehmen. Selbst im  normalen Umgang  miteinander bemerke ich immer mehr, dass Menschen mich auslaugen und schwächen. Nach über 40 Jahre Berufstätigkeit in einem sehr beratungsintensiven Job, merke ich nun, wieviel Kraft ich in den letzten Jahrzehnten durch meine Tätigkeit verloren habe und dass es eigentlich reicht. Als Lehrer wird es dir nicht anders gehen. Menschen kosten einander viel Energie. Manche sind richtige Seelenfresser. Leider bin ich kein Menschen Freund mehr. Ich achte und bewundere die Tiere. Menschen begegne ich mit Vorsicht und Abneigung. Mein Selbstwertgefühl ist natürlich auch dadurch sehr beeinträchtigt. Nein, ich habe wirklich keine Achtung vor meiner eigenen Spezies. Zuhause in meinen eigenen vier Wände fühle ich mich am  wohlsten. Deshalb triffst du mit deinem wirklich sehr sehr guten Gedicht ( wie fast jedes Werk von dir) genau mein Gefühlsleben.

Leben ist, was es aus dir macht. Lieber Rocco

Danke fürs Lesen dürfen. Und bleib tapfer. Copper
« Letzte Änderung: M?RZ 11, 2021, 20:12:10 von Copper »

Erich Kykal

Re: Drinnen
« Antwort #6 am: M?RZ 11, 2021, 21:27:58 »
Hi Copper!

Der Mensch als soziales Wesen, als Gruppen- oder Herdentier. Im Kleinen funktioniert manches, im Großen funktioniert manches - aber insgesamt betrachtet bietet die "Sozialleistung" der Menschheit global ein jämmerliches Bild.

Wer sich da entäuscht abwendet, nicht zuletzt, weil er/sie selbst oft genug verletzt oder ausgenutzt wurde (oder verletzte und ausnutzte und es zu bereuen lernte), macht nichts falsch. Manchmal ist es einfach gesünder, sich abzukehren.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.