Autor Thema: Vater unbekannt.  (Gelesen 869 mal)

AlteLyrikerin

Vater unbekannt.
« am: M?RZ 01, 2021, 17:30:21 »
Ich weiß nicht, wer Du warst,
bevor wir wurden.

Von Untertage brachtest Du
täglich ein wenig Holz
und von dem schwarzen Männlein
eine Geschichte mit.

Als wir, altklug und sträflich dumm,
die Koboldmärchen
nicht mehr glaubten,
wurdest Du gänzlich stumm.

Du dientest jenem Führer,
den ich stets Mörder nannte,
in fernen Ländern als Soldat.
Doch nie erzähltest du davon.

Du wolltest nirgendwo mehr hin.
Der Garten hinterm Häuschen
war Sehnsuchtsort und weit genug.

Den Kaninchen und den Hunden
warst Du eng verbunden, denn sie
haben Dich nichts gefragt.
« Letzte Änderung: M?RZ 01, 2021, 19:11:21 von AlteLyrikerin »

Erich Kykal

Re: Vater unbekannt.
« Antwort #1 am: M?RZ 01, 2021, 18:50:07 »
Hi AL!

S2Z3 - "schwärzen"?

Das erinnert mich sehr an meinen eigenen Vater, ein studierter Bildungsbürger, Professor für Deutsch, Englisch und Französisch - und dennoch SS-Unteroffizier. Auch er verstummte nach meiner Kindergartenzeit, spielte kaum noch mit mir, ja, konnte mich kaum noch überhaupt anfassen, wollte mich mehr und mehr nur noch zum Vorzugsschüler "bilden". Wir entfremdeten uns, aber ich habe ihn immer geliebt, auch als ich schon wusste, wem er einst nachgelaufen war.
Seine Liebe zu mir war abgöttisch, aber er konnte es nie zeigen, als ich älter wurde. Aber ich ehre sein Bemühen, das Beste für mich zu wollen, auch wenn er oft genug die falschen Mittel anwandte.

Gravierender Unterschied: Er war auch ein Stubenhocker wie ich, hatte absolut keinen grünen Daumen, und Kaninchen hätte der bakteriophobe Hypochonder niemals auch nur streicheln können!


Da kommt man ins Grübeln: Wieviel würden die eigenen Kinder (ich hab ja keine) von mir wissen oder wissen wollen? Wie gut kannte ich meine Eltern jenseits ihrer Rolle als Mutter und Vater? Wann und ab wo wird die vertraute Gestalt zum Fremden, von dem man nie auch nur eine Ahnung hatte?
Gemessen an den eigenen Abgründen, in die ich mich kaum je selbst hinabwage - wie sehr kann man einen anderen überhaupt je kennen. Und muss man das denn? Ich denke: Nein. Man muss nicht alles wissen wollen, und viele Beziehungen hätten wohl länger gedauert oder wären fruchtbarer gewesen, wenn man dem Partner gewisse Details zur eigenen Vita gnädig erspart hätte - oder rechtzeitig gesagt hätte, dass man das gar nicht hören möchte.

Allzu viel "Vertiefung" kann auch schädlich sein ...

Aber da muss wohl jeder selbst seine Grenze ziehen, bis wohin er sich teilt und mitteilt, und was ihm allein gehört und verschlossen bleibt.

Gern gelesen!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

AlteLyrikerin

Re: Vater unbekannt.
« Antwort #2 am: M?RZ 02, 2021, 09:25:47 »
Hallo Erich,

herzlichen Dank für Deinen ausführlichen Kommentar. Ja, in diesen Text sind auch autobiografische Elemente eingeflossen, aber es ging mir generell um die Kinder der traumatisierten Kriegsgeneration.
Ich bin heute noch fast sprachlos, wenn ich in jungen Familien sehe, wie miteinander geredet wird. Über Erlebnisse, über Probleme und auch darüber, wie es "früher" war. Meine Eltern kenne ich tatsächlich nicht, denn ich weiß nichts über ihre Träume, die zerbrochenen wie die erfüllten. Ich weiß nichts über ihre Ängste, ihre Scham, ihre Schuld oder ihre Selbstwahrnehmung. Du hast Recht, manches zu sezieren, alles zu wissen, ist nicht immer förderlich. Aber ein dermaßen unbeschriebenes, weißes Blatt sollten die Eltern doch nicht sein.
Herzliche Grüße, AlteLyrikerin.

Agneta

  • Gast
Re: Vater unbekannt.
« Antwort #3 am: M?RZ 02, 2021, 20:46:48 »
ja,liebe AL, ich dachte sofort an die Kriegsgeneration, die jemand mal "verlorenen Generation" nannte. Damals war man nicht so offen, ich habe es in den Fünfzigern schon anders erlebt. Wenn dann noch eine schuldhafte Nazivergangenheit dazukommt, stelle ich mir Offenheit sehr schwierig vor. Bei uns war das nicht.
Dennoch ist das Gedicht sehr anrührend geschrieben. Es spricht von Sehnsucht und Hilflosigkeit.
LG von Agneta

AlteLyrikerin

Re: Vater unbekannt.
« Antwort #4 am: M?RZ 03, 2021, 11:16:43 »
Liebe Agneta,

herzlichen Dank für Deinen Kommentar, der das mir Wesentliche noch einmal schön herausgestellt hat.
Herzliche Grüße, AlteLyrikerin.