Autor Thema: Die Moorleiche  (Gelesen 1355 mal)

gummibaum

Die Moorleiche
« am: Dezember 29, 2020, 12:24:46 »
Wie gut hab ich im Moor gelegen,
nachdem ich von den harten Wegen
einst abkam und im Schlick versank.
Kein Sehnen mehr nach dunklen Tropfen,
die Löcher mir im Herz zu stopfen.
Ich war durchs böse Leben krank.

Im Moor, das gluckernde Entgasen,
das linde Sprudelbad der Blasen, 
war wie Massage immerzu,
und Säuren, die mich zart umspielten
und für die Ewigkeit erhielten,
versprachen mir entspannte Ruh.

Doch kam das Leben, sich zu rächen.
Sie fingen an, den Torf zu stechen,
und im Museum liege ich.
Gebettet hart und trocken wieder
zeig ich der Welt die morschen Glieder,
und böse spricht sie: „Widerlich!…“



« Letzte Änderung: Dezember 29, 2020, 12:34:16 von gummibaum »

AlteLyrikerin

Re: Die Moorleiche
« Antwort #1 am: Dezember 29, 2020, 12:29:43 »
Lieber gummibaum,


welch ein andersartiger Blick auf eine Moorleiche, deren Totenruhe missachtet wurde. Ja, Wissenschaft und Wissensdurst stehen oft im Konflikt mit dem Recht der Toten auf eine ungestörte Ruhe.


Dir wünsche ich ein gutes Jahr 2021 mit vielen Ideen zu neuen Gedichten!
AlteLyrikerin.

gummibaum

Re: Die Moorleiche
« Antwort #2 am: Dezember 29, 2020, 13:21:23 »
Danke, liebe AlteLyrikerin.

Dein Kommentar zum Gedicht bringt es auf den Punkt.

Dir auch ein gutes neues Jahr voll Inspiration und Schaffensfreude.


Grüße von gummibaum

Erich Kykal

Re: Die Moorleiche
« Antwort #3 am: Dezember 29, 2020, 13:29:12 »
Hi Gum, AL!

Man kommt hier zu der Frage, ob und wenn, dann wann sich die "Totenruhe" als gesellschaftliches Emotionsamalgam irgendwann nicht doch "abnutzt". Niemand - oder kaum jemand - hat etwas gegen Grabungen nach Pharaonengräbern oder anderen Königsgräbern in aller Welt (die versprechen ja Schätze und Senationen!), meist mit dem Argument: "Weil's doch eh so lang her ist, dass die gelebt haben!", so als müsste man als Leiche irgendwann genug geruht haben, vor allem, wenn gewisse Erwartungen dagegen stehen. Irgendwie inkonsequent.

Versteht mich richtig: Für mich ist der konservierte oder verwesende Fleischhaufen, der nach dem Tod übrig bleibt, völlig unwichtig. Ich habe absolut kein Problem mit Ausgrabungen oder der Ausstellung von Moorleichen - obwohl mir dazu eher das Adjektiv "faszinierend" einfiele als das obige "widerlich". Eher denke ich an die grausamen Riten dieser alten Völker, die in ihrem Aberglauben Menschenleben opferten, als der Mumie ein LyrIch zu verleihen.

Das Werk aus der Sicht so einer Moorleiche finde ich amüsant, die Umstände zu deren Entstehung eher nicht ...

Detail am Rande: Moore konservieren durch Tanine und die Abwesenheit von Sauerstoff - oder anderen Gasen. Das Bild der "Blasen" stimmt also nur bedingt - Ausgasungen kommen nur in den obersten Schichten vor, wenn das abgestorbene Pflanzenmaterial noch biologisch verrottet. Weiter unten, wo Mumien konserviert werden, ist Ruhe. Also nix mit "Massage" ...  ;)

Sehr gern gelesen!  :)

LG, eKy
« Letzte Änderung: M?RZ 04, 2023, 11:24:14 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Die Moorleiche
« Antwort #4 am: Dezember 29, 2020, 13:56:57 »
Lieber Erich,

mein eigentliches Interesse an Moorleichen und ägyptischen Mumien würde auch ein "faszinierend" rechtfertigen. Danke auch für den Hinweis, dass die gasbildende Schicht über der Leiche liegt. Aber es war hier mehr eine Phantasie dahinter als ein der Anspruch auf Exaktheit:

Besonders an trüben Wintertagen möchte ich mich manchmal gern dem Leben entziehen, im Bett bleiben usw. Die angenehmen Vorstellungen dazu habe ich in die zweite Strophe projiziert, die Tatsache, dass ich doch aufstehen und der Welt mein mürrisches Gesicht zeigen muss, in die dritte.

Liebe Grüße von gummibaum



       

Erich Kykal

Re: Die Moorleiche
« Antwort #5 am: Dezember 29, 2020, 13:59:27 »
Hi Gum!

Ich möchte nicht nur - an manchen Tagen bleibe ich einfach tatsächlich im Bett!  ;D Zumindest bis nachmittags, wenn ich dann wirklich mal auf's Klo muss ...  ::)

Dir einen guten Rutsch und Alles Gute für 2021!  :D

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Die Moorleiche
« Antwort #6 am: Dezember 29, 2020, 14:22:13 »
Schön, dass du so ehrlich bist.

Dir auch alles Gute für das neue Jahr, lieber Erich.

Grüße von gummibaum

Sufnus

Re: Die Moorleiche
« Antwort #7 am: Januar 05, 2021, 13:35:50 »
Dieses Gedicht von Dir - wie so häufig mit überraschender Perspektivverschiebung - erhebt das "Dasein" als Moorleiche zu einem frühzeitlichen Pendant der modernen Floating-Verfahren zur Entspannung. Quasi eine Floatingleiche, die echt lange im Wassertank vergessen wurde  ;D ... bis zum bösen Erwachen...
Sehr schön ist das!!!!
LG und alles Gute Dir zum Neuen Jahr! :)
S.

gummibaum

Re: Die Moorleiche
« Antwort #8 am: Januar 05, 2021, 16:59:54 »
Danke, lieber Sufnus.

Ja, der Perspektivwechsel ist immer wieder erfrischend wie so ein Sprudelbad.

Auch dir ein gutes neues Jahr.

Grüße von gummibaum