Autor Thema: Es ging spazieren vor dem Tor...  (Gelesen 1658 mal)

Copper

Es ging spazieren vor dem Tor...
« am: Oktober 17, 2020, 22:09:51 »
Man sollte sich gut überlegen,
alleine der Korrektheit wegen,
was man verbal so von sich gibt
denn manches Wort ist unbeliebt.

Karotte darf ich deutlich sagen,
da geht mir keiner an den Kragen.
Sag ich Mohrrübe unbedacht,
so helf mir Gott und gute Nacht.

Erich Kykal

Re: Es ging spazieren vor dem Tor...
« Antwort #1 am: Oktober 18, 2020, 00:35:01 »
Hi Copper!

Peanuts:

S1Z3 - Komma ans Zeilenende.


Ich musste tatsächlich erst ein wenig überlegen, wo der Witz in diesen Versen liegt, so unbedarft gehe ich mit althergebrachten Begriffen um. Dem Reinen ist alles rein ...

Vielen Dank für dieses wertige Plädoyer wider den maßlosen Irrsinn der verbalen Political Correctness, der neuerdings unsere Sprachhabung verseucht! Bei deinem Text geht es zwar um die übervorsichtige Vermeidung aller Begriffe, die auch nur irgendwie rassistisch gedeutet werden könnten - "Mohr" ist da allerdings ein eher noch harmloser Terminus, aber leider erstreckt sich diese Sprachverseuchung mittlerweile auf alle nur erdenklichen Lebensbereiche!

Nicht mit mir! Ich sage zB. zu Berufsständen immer noch "die Lehrer" oder "die Beamten" und nicht "LehrerInnen" und "BeamtInnen"! Werd ich auch nie. Weil's anbiedernder Schwachsinn ist - ein hanebüchener Versuch, sich für das Unrecht von Jahrtausenden quasi merkbar zu entschuldigen. Als würde so eine krude Vergewaltigung jeglicher Sprachmelodie irgendetwas vom Geschehenen besser machen! Oder als würde die zwanghafte Nennung des weiblichen Geschlechts wirklich mehr Respekt beinhalten und nicht nur hilflose Floskelkosmetik!

Ich könnte mich scheckig ärgern über dieses hirnrissige Gutmenschendiktat - über's Ziel hinaus, am Ziel vorbei. Jämmerlich. Zahlt den Frauen lieber endlich dieselben Gehälter wie den Männern! Da hätten sie mehr von.

Und Pipi Langstrumpf wird für mich IMMER von ihrem Papa als "Negerkönig im Takatukaland" erzählen, auch wenn diese Benamsung mittlerweile aus den Lindgren-Büchern neuerer Auflagen getilgt wurde - und ich werde mir, wie schon als Kind, nichts Böses dabei denken!
Auch so ein Schwachfug - anstatt die Kinder an solchen Beispielen zu schulen, wie es früher war und warum es nun anders ist - und besser, lässt man alle Spuren still und leise verschwinden, so als hätte es diese gedankenlos herabwürdigende Vergangenheit nie gegeben! Oder eine Zeit, in der Begriffe einfach nicht so überempfindlich auf die Goldwaage gelegt wurden, um nur ja niemanden auch nur annähernd unangenehm zu berühren!

Der Grundgedanke mag ja gut sein, aber die Blüten, die er treibt, sind mittlerweile sprachgefährdend! In den Wahnsinn treibend. Umständlich und lächerlich. Was kommt noch?

"Ich war neulich in Afrika auf LöwInnen-Jagd!"
"Laden wir die TerroristInnen doch zu einer Gesprächsrunde ein!"
"Für MörderInnen gilt ab heuer ein neues Strafmaß!"
"Die MaikäferInnen sind vom Aussterben bedroht!"

Verdammte Hacke!  >:(

So. Ich habe fertig!



Sehr gern gelesen!  :)

LG, eKy
« Letzte Änderung: Oktober 18, 2020, 10:46:55 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

a.c.larin

Re: Es ging spazieren vor dem Tor...
« Antwort #2 am: Oktober 18, 2020, 08:42:52 »
hallo copper,

gut gebrüllt, löwe!  - möcht ich sagen, aber : darf ich das überhaupt noch???
sollte ich nicht besser sagen : afrikanisches  raubtierrelikt?
raub? pfui - schon wieder eine unterstellung.

"fleischfresser"? nicht nett, widerspricht dem klimaschutzgedanken!

vielleicht "katzenähnliches wildtier"?
nö. "Wild" ist zu mehrdeutig.
also vielleicht "katzenähnliches tier in naturbelassener variante"?

ja, das könnte gehen.
was wollte ich eigentlich sagen?🤔
ich habs vergessen.

ach ja - dein gedicht über die schwarzafrikanische rübe hat mir gut gefallen.

lg, larin


Grüngold

Re: Es ging spazieren vor dem Tor...
« Antwort #3 am: Dezember 21, 2020, 12:20:25 »
Man sollte sich gut überlegen,
alleine der Korrektheit wegen,
was man verbal so von sich gibt
denn manches Wort ist unbeliebt.

Karotte darf ich deutlich sagen,
da geht mir keiner an den Kragen.
Sag ich Mohrrübe unbedacht,
so helf mir Gott und gute Nacht.

Jene Karotten sind bei uns "Gelbe Rüben".
Ob das nun aus Rücksicht auf die Chinesen (die wir hier übrigens "Kinesen"  aussprechen)  bald auch als politisch unkorrekt gilt?

LG von Grüngold, für den der "Schokokuss" auch weiterhin ein Mohrenkopf ist - wenn er ihn isst.
Ceterum censeo linguam Latinam non esse delendam.

Sufnus

Re: Es ging spazieren vor dem Tor...
« Antwort #4 am: M?RZ 01, 2021, 15:09:47 »
Hi Copper!

Diesem schönen und wichtigen Spottgedicht von Dir habe ich bisher noch keinen Kommentar zukommen lassen, was dringend nachgeholt werden sollte. Und einen kleinen Stups zur allfälligen Anheimstellung der geneigten Rezipienten will ich den Versen auch gerne angedeihen lassen! :)

Für mich sind die spaßbefreiten Sprachphilister, die ständig auf der Suche nach dem nächsten Aufreger sind, um harmlosen Zeitgenossen das Etikett "Rassist" zumzuhängen, gar gruselige Leute. Ich lasse mir jedenfalls nicht von einer irregleiteten Gedankenpolizei vorschreiben, auf das Zigeunerschnitzel oder den Mohrenkopf zu verzichten. :) Für den Fall, dass ich einmal mit einem Rom oder Sinto über Zubereitungsformen für Schnitzel parlierte und dabei gegenwärtig würde, dass mein Gesprächspartner den Ausdruck Zigeuner nicht schätzt, so würde ich ihn mit diesem Wort nicht weiter traktieren, denn das gebietet die Höflichkeit.

Wenn ich aber mit einem Färoer, Sorben, Basken, Tuareg oder gar einem Angehörigen des Stammes der Teutonen kulinarische Gespräche führe, so möge sich mein Gegenüber gefälligst um seine eigenen Befindlichkeiten kümmern und mich meinethalben gerne darüber belehren, dass das Wort Schnitzel auf Baskisch einen ganz unangenehmen Beiklang hat, was ich in der weiteren Unterredung dann durchaus berücksichtigen will, aber es bitte unterlassen, sich zum scheinheiligen Anwalt fremder Probleme zu machen, von denen er wahrscheinlich keinen blassen Dunst hat. :)

Sehr gerne gelesen! :)

S.
« Letzte Änderung: M?RZ 01, 2021, 15:12:56 von Sufnus »

Rocco

Re: Es ging spazieren vor dem Tor...
« Antwort #5 am: M?RZ 01, 2021, 15:52:13 »
Guten Tag zusammen!

Ein kluges Spottgedicht, weil es eigenes denken anmahnt.

Bei der Gelegenheit: Wer von euch benutzt in seinen Texten das Wort "Säuberung"?

Das ist, mit Verlaub, keine dumme Frage.

Vor 50/ 60 Jahren hätten noch einige Autoren dieses Wort benutzt. Aber heute? Redet man heute von Säuberungen, muss man Diskussionen über Völkermord über sich ergehen lassen. Und darüber, dass man Opfer verhöhnt. Dabei meint Säuberung: Reinigung. Etwa: Ein Zimmer säubern.

Vielleicht haben sich auch vor 50/ 60 Jahren Dichter über die Sprachpolizei geärgert und sich gegenseitig geschworen, das Wort Säuberung weiter zu verwenden.

Was aber ist mit der nächsten Generation? Eine Generation, die es als Fehler von Deutschlehrern angekreidet bekommt, wenn sie von Säuberung oder von Zigeunerschnitzel, in Aufsätzen, schreibt?

Sie werden es bald nicht mehr tun. Und auch nicht mehr danach fragen.

Gut, wenn man selbst nachdenkt, aber zu meinen, das müsse auch für die Gesellschaft gelten, überspannt den Bogen der Bedeutung von Literatur. Oder nicht?

Viele Grüsse

Rocco
« Letzte Änderung: M?RZ 01, 2021, 15:54:27 von Rocco »
"Erst in Rage werde ich grob -
aber gelte als der Hitzkopf?!"

Yusuf Ben Goldstein, aus Rocco Mondrians Komödie: Yusuf Ben Goldstein, ein aufrechter Deutscher

Copper

Re: Es ging spazieren vor dem Tor...
« Antwort #6 am: M?RZ 02, 2021, 13:14:40 »
Lieber Rocco, lieber Sufnus,

danke für eure Gedanken zu meinem kleinen Gedicht. Eure Gedanken teile ich zu 100 %. Moralische Zeigefinger gibt es viele. Manche sind berechtigt, manche sind nur Wichtigtuerei. Denen zeige ich dann meinen Stinkefinger. :)

Mich wunderts auch, dass man nach der letzten deutschen Sprachreform mehrere Wörter nun mit ss statt ß schreibt. Immerhin ist ss ja auch geschichtlich belastet. komisch, keiner regt sich auf. Eigentlich müssten wir Deutsche das ss  aus unserem Schreibgebrauch streichen und alles ss durch ß ersetzen. Aber komischerweise wurde es umgekehrt reformiert. Ist das moralisch vertretbar?

Nur so ein Gedanke, ohne Wertung.

LG. Copper

AlteLyrikerin

Re: Es ging spazieren vor dem Tor...
« Antwort #7 am: M?RZ 02, 2021, 13:18:55 »
Ja, lieber Copper, kurz und prägnant bringst Du ein modernes sprachliches Problem auf den Punkt.
Gerne stimme ich Erichs Ansicht zu, dass es den Frauen eher helfen würde fair bezahlt zu werden als mit vorgeblich sprachlicher Korrektheit abgefunden zu werden.
Die Absurditäten nehmen kein Ende. In einem Beitrag las ich einmal, man solle statt des Wortes Schneemann lieber vom Schneewesen reden. In einem religiösen Artikel fand ich ernsthaft die Bezeichnung GottIn. In unserer Sprache hat das Maskulinum, im Plural gebraucht, ja oft eine  verallgemeinernde Bedeutung, ohne das Geschlecht überhaupt in den Blick zu nehmen. Nun muss ich also offiziell, z.B. in wissenschaftlichen Arbeiten, z.B. von Proband*Innen sprechen, sonst gibt's Punkteabzug.
Diese Praxis habe ich bis vor kurzem gern als Genderwahnsinn und sprachliche Entgleisung abgekanzelt.
Bis ich von einer jungen Journalistin interviewt wurde, klug, sensibel, aufgeschlossen und sprachlich kompetent, die sich wenig später als geschlechtlich divers geoutet hat. Wenn ich "Frau" zu ihr sagen möchte, oder "Mann", z.B. bei einer persönlichen Anrede, dann fühlt sie sich nicht angesprochen, denn in beidem ist sie nicht "Zuhause". Auf der persönlichen Ebene fühlt sich diese Thematik also ganz anders an als in allgemeinen Diskussionen. Vielleicht finden sich in unserer Sprache zukünftig ganz neue, kreative Lösungen für dieses Problem. Sie werden wohl gefunden werden müssen, um einem Menschen in seiner besonderen Situation gerecht zu werden. Bis dahin werden die seltsamsten Schreibweisen vielleicht wenigstens erreichen, dass die zugrunde liegende Problematik ernsthaft diskutiert werden kann.


Herzliche Grüße, AlteLyrikerin.