Lieber stm!
Ich liebe ganz kurze Gedichte. Bin ich ein fauler Mensch?
Ganz widerlegen kann ich den Verdacht, mein Lesefleiß hielte sich in Grenzen, wohl nicht, aber es gibt auch noch ein hehreres Argument für kurze Gedichte: Sie lassen Spielraum, bieten Anknüpfungspunkte, ohne den Leser festzulegen.
Bei Deinem Gedicht macht mich nun nicht nur die Kürze an, sondern auch das lakonische Spiel mit doppelten Verneinungen. Bereits der Titel lebt davon, denn nirgendwo keinen Halt zu finden, heißt ja wörtlich genommen, überall Halt zu finden, was aber offenkundig nicht gemeint ist. Darüber hinaus haben wir natürlich das intertextuelle Momentum, dass auf Christa Wolfs Text "Kein Ort. Nirgends" verwiesen wird. In dieser Erzählung wird die fiktive Begegnung von Karoline von Günderrode und Heinrich von Kleist geschildert, zwei großen Außenseitern der deutsche Literaturlandschaft, die nie einen Platz für sich im Leben fanden.
Großartig die Paradoxie Deines nihilistischen Schlussbildes, lieber stm, vom fehlenden Anker, der ins Bodenlose fällt! Braucht es da aber wirklich den Konjunktiv? Der schwächt die Paradoxie ja wieder etwas ab. Auf alle Fälle korrespondiert dieses aquatische Bild durchaus mit Karoline und Heinrich, die ihrem Leben beide an Gewässern, dem Rhein bzw. dem kleinen Wannsee, ein Ende setzten.
Die erste Zeile des Gedichts passt m. E. übrigens nicht ganz so perfekt ins Bild. Man könnte natürlich an Scheinwerfer denken, die ein steuerloses Boot beleuchten, aber so ganz "rund" fühlt sich das für mich nicht an, auch ein Spiel mit der Verneinung fehlt hier und "das" Boot taucht dann in Zeile 2 recht unmotiviert auf.
Aber das ist mal wieder ein Kinkerlitzchen.
Ah... und was mir aber noch sehr gut gefällt, das sind die ...-Pünktchen nach dem Anker. Man könnte natürlich, mit Blick auf den "berühmtesten Gedankenstrich der deutschen Literatur" aus Kleists Marquise von O., auch ein Strichelchen setzen, aber mir gefallen tatsächlich die Pünktchen sehr gut, ich hab da untig noch etwas eskaliert!
Sehr sehr gerne gelesen!
S.
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Vorschlag:
Der Himmel ... türmt sich zur Windstille auf
Steuerlos treibt das Boot ... auf uferlosem See
Fehlender Anker ... fällt ins Bodenlose