Autor Thema: Blagoslovi Dushe Moya Gospoda  (Gelesen 666 mal)

Eisenvorhang

  • Gast
Blagoslovi Dushe Moya Gospoda
« am: Januar 26, 2020, 18:30:30 »
Prolog:

Das Leben ist mir heute leer,
heut sprießt schon lang nicht mehr die Blume,
die aus der Seele schüchtern bricht,
doch eine Knospe sagt, sie spricht,
"Mein Freund, dir bin ich Ewigkeit!"
Und aus dem Klang der schönen Noten
stiegen Engel und auch Reigen
und formten heimlich sich zu Boten
tränenschwerer Herrlichkeit.
Das Leben ist mir heute leer,
doch lieb ich jede Knospe sehr,
mein Blick ist sanft, von Güte schwer,
und ja,
mein Leben ist mir heute leer:
Es wachsen keine Blumen mehr ...

---

Vertont von Fritz Stavenhagen:
https://soundcloud.com/eisenvorhang/ich-bin-verloren-gott

Ich bin verloren, Gott, ich lebe
von allen Engeln abgewandt.
So bin ich der, der immer geht,
der Schwankende, durch Sturm und Land,
ein Duft, der durch die Jahre weht
und dessen Flügel müde sind.
(Bin ich denn immer noch dein Kind?)
Bist du die Haut, an der ich hafte,
an der ein Kuss vorübergeht?
Ich weiß, du bist der Namenhafte,
der wie ein Berg im Nebel steht.

Und du bist immer noch das eine:
Ein Stern, der über allem blüht.
Ein Licht, auf alle dunklen Steine.
Das Rot, das in den Rosen glüht.
Ja. Mählich, werde ich dein Abend.
Die Muhme, die sich in dir müht,
dein kleines und dein krankes Elend. -

In meinem Traum bist du ein Flur,
der Türen hat und die ich täglich schließe,
dann wirst du Raum in mir und eine Uhr,
in deren Zeitvergehen ich zerfließe
zu einem Rinnsal einsamer Sekunden.
Nun war ich jener, der, der weinte,
und du, der alle Ängste in mir einte, -
wo warst du nur, zu jenen Stunden?

Epilog

Du sagtest nicht, was mir hier droht!
Der Mensch, der ist kein Ort der Ruhe.
Nur Schand und Schiss gehn in das Abendrot,
und nach dem süßen Tropfen meiner Jugend
erkaltet dieser Wein in meiner Brust.
Ich bin die Stille, du bist stiller.
Die Liebe? Ja, die Liebe? Wäre Tugend?
Will ihn nicht trinken, diesen Schleim!
Ich zehr aus Dunklem meine Lust.
So lausch ich bange, diesem Abendgange,
nur eine Träne noch schreibt diesen Reim.

« Letzte Änderung: Mai 24, 2020, 19:58:17 von Eisenvorhang »

Erich Kykal

Re: Blagoslovi Dushe Moya Gospoda
« Antwort #1 am: Januar 27, 2020, 19:27:39 »
HI EV!

Ein gewaltiges Gedicht, das Fragen zurücklässt.

ZB, warum Prolog und Epilog - obwohl an sich nicht schlecht - in poetischer Qualität doch merkbar blasser erscheinen als der - SEHR rilkehafte - Mittelteil. Auch im Mittelteil finden sich metrische Schnitzer, die ein Rilke wohl nicht gemacht hätte (außer vielleicht ein ganz früher, oder bei einem "work in progress"), aber die lyrische Qualität dieses Parts ist insgesamt grenzgenial!
Auch die Verwendung von Klammern für Zwischenfragen ist so Rilke, und der ganze Stil (wie zB die direkte Anrede an Gott) erinnert frappant an das Stundenbuch!
Wenn das wirklich auch von dir ist: Alle Achtung!
Was wieder zu der Frage führt, warum Einleitung und Nachklang nicht ganz dieselbe Wortgewalt spiegeln. Kamen diese später hinzu, als du vielleicht weniger inspiriert warst?

Jedenfalls sehr gerne gelesen.

Hier - falls gewünscht - eine Version mit glatter Metrik und einigen Vorschlägen für lyrischere Sprache:

Prolog

Das Leben ist mir heute leer,
es sprießt schon lang nicht mehr die Blume,
die aus der Seele schüchtern bricht
und eine Knospe birgt, die spricht,
"Mein Freund, dir bin ich Ewigkeit!"
Und aus dem Klang der schönen Noten
entstiegen Engel wie im Reigen
und formten heimlich sich zu Boten
aus tränenschwerer Herrlichkeit.
Das Leben ist mir heute leer,
doch lieb ich jede Knospe sehr,
mein Blick ist sanft, von Güte schwer,
und ja,
mein Leben ist mir heute leer:
Es wachsen keine Blumen mehr ...

-----

Ich bin verloren, Gott, ich lebe
von allen Engeln abgewandt.
So bin ich der, der immer geht,
der Schwankende durch Sturm und Land,
ein Duft, der durch die Jahre weht,
und dessen Flügel müde sind.
(Bin ich denn immer noch dein Kind?)
Bist du die Haut, an der ich hafte,
an der ein Kuss vorübergeht?
Ich weiß, du bist der Namenhafte,
der wie ein Berg im Nebel steht.

Und du bist immer noch das eine:
Ein Stern, der über allem blüht.
Ein Licht auf alle dunklen Steine.
Das Rot, das in den Rosen glüht.
Ja. Mählich, werde ich dein Abend.
Die Muhme, die sich in dir müht,
dein kleines und dein krankes Elend
in meinem scheiternden Gemüt.

In meinem Traum bist du ein Flur
mit Türen, die ich täglich schließe,
dann wirst du Raum in mir und Uhr,
in deren Zeitgang ich zerfließe
zu einem Rinnsal der Sekunden.
Nun war ich jener, welcher weinte,
und du, der alle Ängste einte, -
wo warst du nur zu jenen Stunden?

Epilog

Du sagtest nicht, was mir hier droht!
Der Mensch, er ist kein Ort der Ruhe.
Nur Schand und Weh im Abendrot,
und nach dem Labsal meiner Jugend
nur kalter Wein in meiner Brust.
Ich bin die Stille, du bist stiller,
und ach - die Liebe wäre Tugend?
Will ihn nicht trinken, diesen Seim!
Ich zehr aus Dunklem meine Lust,
und eine Träne noch beschließt den Reim.


Die allerletzte Zeile habe ich 5-hebig gelassen. Zum einen, weil im Prolog auch eine Zeile Überlänge hat, zum anderen, weil das Ungleichgewicht hier zum Ende eine würdige Schwere im Ausklang untermalt.

Chapeau zu diesem Zuckerl!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Eisenvorhang

  • Gast
Re: Blagoslovi Dushe Moya Gospoda
« Antwort #2 am: Januar 27, 2020, 20:31:22 »
Hallo Erich,

das Gedicht ist Autobio - damals besaß ich einen christlichen Freundeskreis und ich war in den Kreisen der einzige "Unchrist"(Atheist). Später wurde ich sozusagen aus den Kreisen zwangs-abgetrieben.
Über die Jahre begleitete mich immer wieder ein Choral, von dem ich nie wusste, was der Titel des Chorals in deutsch bedeutete. Das Internet gabs zu den Zeiten nur in sehr urbanen Gegegenden.
Hier der Choral: https://www.youtube.com/watch?v=iCgIswP7jPY - so entstand das Gedicht also zu dem Lied. Weil es ja irgendwie passte, oder auch nicht, je nach dem wie man es sieht.

Ich wollte das Thema immer lyrisch verdauen; damals fehlten mir dazu aber noch die Fähigkeiten.
Dass dich diese Zeilen an Herrn Rilke erinnern kann ich nachvollziehen, trotzdem gibt es doch große Unterschiede, gerade in der Partizipialbildung und in der "Dichtheit" der Sprache. Während meine Sätze eher fließend prosahaft, kurz und offen daherkommen, ist der Rilke doch hochgradig verdichtet und auf eine Weise abstrakt, wie ich es nie schreiben könnte. Will ich auch überhaupt nicht. Ich bin sehr bemüht adjektivarm zu schreiben. Und das mit den Klammern kommt doch öfter vor. Kästner hat Klammern benutzt, Goll glaube ich auch, unsere liebe Thing hat sie benutzt und auch Sufnus einmal. Jedenfalls war es nicht mein Ansinnen Rilke zu kopieren, könnte ich auch überhaupt nicht - trotzdem mag ich die Wärme und den Trost der Sprache sehr, weswegen ich diesen Stil für mich auch wählte, weil er mir sehr nahe geht. (Diese Wärme wohnt auch in mir)
Ich glaube auch nicht, dass man den Inhalt und die Wahl der Sprache der Zeilen bei R. findet. Müsste ich mal schauen. :-)

Was sollte ich denn für den Gott-Begriff als Alternative wählen? "Herr?" :-)
Gott kennt jeder! Denke ich jedenfalls.

Eigentlich waren es weniger Strophen, aber jemand anderes in poetry wollte, dass ich dem Gedicht mehr Volumen verleihe, also setzte ich die Feder erneut an.
Die Sprache wird zum Ende hin bewusst "anders", abwertender, abfälliger, respektloser, schnürkelloser, eine Art Arschtritt, wenn man so will. Aber auch Ekel ... Das LI kann die Sülze einfach nicht mehr ertragen.
Das LI will sich so den Fesseln entledigen. Das war jedenfalls meine Idee dahinter - die metrischen Unebenheiten sollen auch den Kampf zwischen LI und den "Glauben" darstellen: Unreinheit, Verlorenheit, Unverstandenheit, Sinnlosigkeit usw.
 
Die ursprüngliche Version war die und trug den Titel "Schand und Schiss" O0:

Ich bin verloren, Gott, ich lebe
von allen Engeln abgewandt.
So bin ich der, der immer geht,
der Schwankende durch Sturm und Land,
ein Duft, der durch die Jahre weht,
und dessen Flügel müde sind.
(Bin ich denn immer noch dein Kind?)
Bist du die Haut, an der ich hafte,
an der ein Kuss vorübergeht?
Ich weiß, du bist der Namenhafte,
der wie ein Berg im Nebel steht.

Und du bist immer noch das eine:
Ein Stern, der über allem blüht.
Ein Licht auf alle dunklen Steine.
Das Rot, das in den Rosen glüht.
Ja. Mählich, werde ich dein Abend.
Die Muhme, die sich in dir müht,
dein kleines und dein krankes Elend
in meinem scheiternden Gemüt.

Du sagtest nicht, was mir hier droht!
Der Mensch, er ist kein Ort der Ruhe.
Nur Schand und Weh im Abendrot,
und nach dem Labsal meiner Jugend
nur kalter Wein in meiner Brust.
Ich bin die Stille, du bist stiller,
und ach - die Liebe wäre Tugend?
Will ihn nicht trinken, diesen Seim!
Ich zehr aus Dunklem meine Lust,
und eine Träne noch beschließt den Reim.

Deine Version gefällt mir sehr, ich danke dir dafür!

vlg

EV

"in meinem scheiternden Gemüt" finde ich sehr schön!!!

PS: Es gibt in der Tat eine Stelle die ähnlich ist, R. schreibt "schwarze Steine" und ich "dunkle Steine"
Die Stelle werde ich also beizeiten umändern.
« Letzte Änderung: Januar 28, 2020, 18:15:22 von Eisenvorhang »

Eisenvorhang

  • Gast
Re: Blagoslovi Dushe Moya Gospoda
« Antwort #3 am: Mai 24, 2020, 19:57:11 »
Vertonung von Fritz Stavenhagen ist online:

https://soundcloud.com/eisenvorhang/ich-bin-verloren-gott