HI EV!
Ein gewaltiges Gedicht, das Fragen zurücklässt.
ZB, warum Prolog und Epilog - obwohl an sich nicht schlecht - in poetischer Qualität doch merkbar blasser erscheinen als der - SEHR rilkehafte - Mittelteil. Auch im Mittelteil finden sich metrische Schnitzer, die ein Rilke wohl nicht gemacht hätte (außer vielleicht ein ganz früher, oder bei einem "work in progress"), aber die lyrische Qualität dieses Parts ist insgesamt grenzgenial!
Auch die Verwendung von Klammern für Zwischenfragen ist so Rilke, und der ganze Stil (wie zB die direkte Anrede an Gott) erinnert frappant an das Stundenbuch!
Wenn das wirklich auch von dir ist: Alle Achtung!
Was wieder zu der Frage führt, warum Einleitung und Nachklang nicht ganz dieselbe Wortgewalt spiegeln. Kamen diese später hinzu, als du vielleicht weniger inspiriert warst?
Jedenfalls sehr gerne gelesen.
Hier - falls gewünscht - eine Version mit glatter Metrik und einigen Vorschlägen für lyrischere Sprache:
Prolog
Das Leben ist mir heute leer,
es sprießt schon lang nicht mehr die Blume,
die aus der Seele schüchtern bricht
und eine Knospe birgt, die spricht,
"Mein Freund, dir bin ich Ewigkeit!"
Und aus dem Klang der schönen Noten
entstiegen Engel wie im Reigen
und formten heimlich sich zu Boten
aus tränenschwerer Herrlichkeit.
Das Leben ist mir heute leer,
doch lieb ich jede Knospe sehr,
mein Blick ist sanft, von Güte schwer,
und ja,
mein Leben ist mir heute leer:
Es wachsen keine Blumen mehr ...
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Ich bin verloren, Gott, ich lebe
von allen Engeln abgewandt.
So bin ich der, der immer geht,
der Schwankende durch Sturm und Land,
ein Duft, der durch die Jahre weht,
und dessen Flügel müde sind.
(Bin ich denn immer noch dein Kind?)
Bist du die Haut, an der ich hafte,
an der ein Kuss vorübergeht?
Ich weiß, du bist der Namenhafte,
der wie ein Berg im Nebel steht.
Und du bist immer noch das eine:
Ein Stern, der über allem blüht.
Ein Licht auf alle dunklen Steine.
Das Rot, das in den Rosen glüht.
Ja. Mählich, werde ich dein Abend.
Die Muhme, die sich in dir müht,
dein kleines und dein krankes Elend
in meinem scheiternden Gemüt.
In meinem Traum bist du ein Flur
mit Türen, die ich täglich schließe,
dann wirst du Raum in mir und Uhr,
in deren Zeitgang ich zerfließe
zu einem Rinnsal der Sekunden.
Nun war ich jener, welcher weinte,
und du, der alle Ängste einte, -
wo warst du nur zu jenen Stunden?
Epilog
Du sagtest nicht, was mir hier droht!
Der Mensch, er ist kein Ort der Ruhe.
Nur Schand und Weh im Abendrot,
und nach dem Labsal meiner Jugend
nur kalter Wein in meiner Brust.
Ich bin die Stille, du bist stiller,
und ach - die Liebe wäre Tugend?
Will ihn nicht trinken, diesen Seim!
Ich zehr aus Dunklem meine Lust,
und eine Träne noch beschließt den Reim.
Die allerletzte Zeile habe ich 5-hebig gelassen. Zum einen, weil im Prolog auch eine Zeile Überlänge hat, zum anderen, weil das Ungleichgewicht hier zum Ende eine würdige Schwere im Ausklang untermalt.
Chapeau zu diesem Zuckerl!
LG, eKy