Autor Thema: Ich will das Leben nur für mich begreifen  (Gelesen 1603 mal)

Eisenvorhang

  • Gast
Ich will das Leben nur für mich begreifen
« am: M?RZ 25, 2020, 17:48:06 »
Ich will das Leben nur für mich begreifen,
durch Wolken fliegen und aus Tiefen reifen,
die Sterne küssen und den Mond umschweifen,
trotz all des Wehs will ich nach Liebe greifen.

Ich will die Zeit und ihr Gewand verstehen,
mich selbst in allen ihren Blüten finden,
mit großem Mut durch fremde Länder gehen,
und nicht in Trauer mich der Welt entwinden.

Ein Wort, das möchte ich wahrhaftig sprechen,
das ich von meinen Lippen lösen kann,
nie darf es eine Seele schmerzhaft brechen,
wann find ich es? Ach bitte sag mir wann?

Doch ich bin nur ein Jemand, der nichts kennt.
Ich bin der lange Herbst, das Gold der Tage,
und das Novembergrau, vom Glanz getrennt,
ich bin der Frühling und des Winters Klage.
« Letzte Änderung: M?RZ 25, 2020, 18:01:20 von Eisenvorhang »

Erich Kykal

Re: Ich will das Leben nur für mich begreifen
« Antwort #1 am: M?RZ 25, 2020, 17:58:04 »
Hi EV!

Gefällt mir ausnehmned gut, sowohl formal als auch inhaltlich!  :)

2 Kleinigkeiten:

S2Z4 - Meines Erachtens ist das "zu" hier falsch, denn der Bezug zu "Ich will ..." in Z1 ist nach wie vor aufrecht.
Altern.: "und nicht in Traurigkeiten mich entbinden." - Obwohl, das "entbinden" hämngt hier etwas in der Luft, da mit diesem Wort ansonsten stets eine Erwähnung dessen einhergeht, WOVON man sich entbindet. Vielleicht so: "und nicht in Trauer mich der Welt entwinden."

S4Z4 - Die ganze Str. beschreibt das LyrIch in Herbst- und Winterterminologie - und mitten drin plötzlich der Frühling? Für mich passt das nicht ins Bild. Was ist hier deine Intention? Verständlicher und stringenter wäre in meinen Augen, besagten Begriff dem Rest anzugleichen, zB. "das Dunkel", "das Frieren", "die Stille" o.ä. stattdessen.


Sehr gern gelesen!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Eisenvorhang

  • Gast
Re: Ich will das Leben nur für mich begreifen
« Antwort #2 am: M?RZ 25, 2020, 18:05:42 »
Hallo Erich,

noch sitze ich vorm PC, also antworte ich noch schnell.
An dem Satz mit der beschissenen Zu-Erweiterung habe ich lange gebrütet, irgendwann verkrampfte ich, fühlte sich weder richtig noch falsch an.
Du bringst natürlich eine Lösung und ich denke mir: Wieso bin ich da nicht drauf gekommen. Ich hoffe, ich werde irgendwann die Art der Betriebsblindheit noch los.
Müsste ich damit bis ans Ende meiner Tage leben, wäre dies zum Reiern!

Winter/Herbst/Frühling - es soll so gemeint sein, dass der zusätzliche Frühling dem LI alle Facetten verleihen soll. Das LI ist von allem etwas, aber nicht das was es sich wünscht: Konstant zu sein.

Deine Kritik werde ich überdenken und hochwahrscheinlich die kommenden Tage umschreiben. Wenn der Leser Probleme hat, ist das im Grunde immer die Schuld des Autors (Außer, eine verschobene Hermeneutik ist erwünscht, da ich mich aber am einfachen Wort übe, ist das hier nicht erwünscht)..

Ich danke Dir wie immer für Deine Zeit.
Solche Kritiken sind für mich goldwert.

vlg

EV

Erich Kykal

Re: Ich will das Leben nur für mich begreifen
« Antwort #3 am: M?RZ 25, 2020, 19:17:54 »
 :) Gern geschehen!
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Ich will das Leben nur für mich begreifen
« Antwort #4 am: M?RZ 26, 2020, 07:41:15 »
Hi EV!
Ja - ich stimme eKy voll zu! Ein sprachschönes Gedicht, das eine sehr gut abgestimmte Balance zwischen Pathos und "einfachem" Ton herstellt! Die letzte Strophe erzeugt ganz sachte Anklänge an Stefan Georges "Ich bin der Eine und bin Beide" (google-findbar). :)
Nicht ganz rund find ich noch "trotz all des Wehs": Substantivisches "Weh" ist schon ein etwas altertümliches Wort und durch das "all", was auch recht getragen rüberkommt, kippt das für mich etwas ins Angestrengte.
Alternativ-Vorschläge: "Im Weh und Ach will ich nach Liebe greifen", "untröstlich will ich noch nach Liebe greifen" o. ä.
Und die Durchmischung der Jahreszeiten in der letzten Strophe finde ich auch noch ein bisschen verwirrend, ähnlich wie eKy das schon angemerkt hat.
Aber unbenommen dieser Kleinlichkeiten wirklich sehr gerne gelesen!
S.

Eisenvorhang

  • Gast
Re: Ich will das Leben nur für mich begreifen
« Antwort #5 am: M?RZ 26, 2020, 10:47:38 »
... ins Angestrengte.
 "untröstlich will ich noch nach Liebe greifen" o. ä.


Hallo lieber Sufnus,

darf ich hinterfragen beziehungsweise ergründen was genau Dich in der letzten Strophe verwirren lässt?

Es ist gut, wenn du den Eindruck der Angestrengtheit besitzt, denn genau das soll es auch ausdrücken. Altertümliche Wörter bewegen mich nicht dazu sie ob des Alters zu vermeiden.
 
Dein Vorschlag "untröstlich" gefällt mir durchaus sehr.
Vielleicht werde ich ihn einbinden.

Vielen Dank!

vlg

EV

Erich Kykal

Re: Ich will das Leben nur für mich begreifen
« Antwort #6 am: M?RZ 26, 2020, 11:09:26 »
Hi Suf!

"Trotz alls des Wehs" - so eine sprachlich akzelerierte Genitivkonstruktion erscheint mir poetisch wie allgemeinsprachlich jederzeit wertiger und klangschöner als ein plumper Dativ mit "Im Weh". (Abgesehen davon erschiene mir in deiner vorgeschlagenen Version ein "In" vorneweg immer noch sprachschöner.)

Und die "alten" Begriffe ziehe ich auch oft den nüchternen, klangharten modernen vor, ganz abgesehen davon, dass die Vielfalt einer Sprache abzusterben droht, wenn man die "angestaubten" Wörter nicht ab und an zu pflegen weiß! Wo ginge dies besser als in lyrischen Sprachgebäuden!?

Also nein, so beschlagen du auch bist und so lesenswert deine Kommis auch sind, ich bin in diesen Punkten nicht deiner Ansicht, lieber Sufnus.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Ich will das Leben nur für mich begreifen
« Antwort #7 am: M?RZ 27, 2020, 11:21:37 »
Hi EV & eKy! :)
Bin z. Zt. wieder etwas knapp an freier Zeit und freiem Kopf - daher meine verzögerten Antworten ;)
Zu Deiner Frage, EV, bzgl. der letzten Strophe: Ich seh das wie eKy (so verstehe ich jedenfalls seine Anmerkung), dass der Frühling hier als Fremdkörper, ohne "Anmoderation", aus dem Nichts auftaucht und man (ich) sich (mich) dadurch als Leser nicht abgeholt fühlt. In Z2 & 3 wird der Herbst recht ausführlich dargestellt und dann bekommt man den Frühling quasi vor den Latz geknallt. Würden alle vier Jahreszeiten durchdekliniert, ergäbe das ein gewisses Programm, das man (ich) nachvollziehen kann, so haut es mich zumindest beim Lesen aus der Kurve, aber auf eine nicht überzeugende Weise. Ich mein, es gibt auch "Schockmomente" beim Lesen, bei denen man das Gefühl vermittelt bekommt, der Autor wollte es jetzt genauso, aber hier kommt für mich eher rüber, das kann der alte EV doch eigentlich viel besser... (no offence - das ist jetzt wirklich eine Textkritik, die ganz viel Lob in sich birgt!).
Und @eKy:
Ich weiß ja nicht so ganz, woher des Irrglaubens kommt, des Genitivs wäre immer des besseren Ausdruckes...  ;D
Grad bei "trotz" ist das mit dem regierten Kasus eine ziemlich verzwickte Sache (trotz alledem und nicht: trotz alldieses)... ich würd der Problematik hier eher aus dem Weg gehen und eine andere Konstruktion wählen, aber das ist wie immer bis zu eines gewissen Grades ;) subjektiv...  >:D
LG!
S.

Eisenvorhang

  • Gast
Re: Ich will das Leben nur für mich begreifen
« Antwort #8 am: M?RZ 27, 2020, 17:55:12 »
Alles klar, wichtig war mir in der letzten Strophe die Reihenfolge: Herbst, Winter, Frühling.

vlg

EV

PS: Ich persönlich mag nicht alle Genetivkonstruktionen, in Strophe eins hatte ich an anderer Stelle deswegen bereits eine kleine Diskussion.

Danke für Eure Eindrücke! Bleibt alle gesund!


Erich Kykal

Re: Ich will das Leben nur für mich begreifen
« Antwort #9 am: M?RZ 29, 2020, 22:11:19 »
Hi Suf!

Es hieße "trotz alldessen", und das klingt zumindest nicht schlechter als "trotz alledem".

Meinen Glückwunsch zu deinem einführenden Satz mit dem Prädikat: Sieger im Wettbewerb der meinsten falsch angewandten Genitivkonstrukte in einem einzigen Satz!  ;) ;D

Dass ich dessen noch erleben muss ...  ::)

Schmunzelnde Grüße, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Ich will das Leben nur für mich begreifen
« Antwort #10 am: April 04, 2020, 20:13:29 »
Das ist richtig gut, lieber Eisenvorhang. Mit Freude gelesen.

Herzliche Grüße
gummibaum

Eisenvorhang

  • Gast
Re: Ich will das Leben nur für mich begreifen
« Antwort #11 am: April 05, 2020, 12:53:30 »
Hi gummibaum,

schön, dass es Dir gefällt! Das freut mich sehr.  :)

vlg

EV