Autor Thema: Festung der Einsamkeit  (Gelesen 796 mal)

Erich Kykal

Festung der Einsamkeit
« am: September 15, 2019, 12:50:56 »
Was weiland dem Diogenes die Tonne,
das ist zuzeiten mir das eigne Haus,
darin ich weile, mir zur eitlen Wonne,
und in mich schaue und auch mal hinaus.

Dort wagen die Gefühle keinen Reigen,
der größer wäre als ich tanzen kann,
und was mir dort die wachen Sinne zeigen,
bleibt innerlich und geht die Welt nichts an.

Ich könnte jederzeit den Bau verlassen
und andere berühren und so fort -
doch was ich wäre, würden manche hassen,
und mich verletzen mit gewagtem Wort.

So bleibe ich in meiner guten Tonne
und forme wenig in den fremden Tag,
und schaue aus dem Fenster in die Sonne
und prüfe nüchtern meinen Zahnbelag.

Die Erde dreht sich weiter ohne Ende,
die Menschen wachsen weiter ohne Maß,
und ich bin nur ein Echo meiner Wände,
das sich in deren Schatten selbst vergaß.
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Festung der Einsamkeit
« Antwort #1 am: September 15, 2019, 15:30:47 »
Hier spricht "der Eremit" nun selber. Das Gedicht strahlt die erfrischende Ehrlichkeit des Diogenes aus und bricht sie doch am Bild eines im Haus gefangenen bloßen Echos toter Wände.

Wunderbar geschrieben, lieber Erich (Erichmit)!

Gruß gummibaum

 

Erich Kykal

Re: Festung der Einsamkeit
« Antwort #2 am: September 15, 2019, 20:57:30 »
Hi Gum!

Der ist gut: "Erichmit"! Das merk ich mir, danke für diese Wortspielerei!  ;D

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Agneta

  • Gast
Re: Festung der Einsamkeit
« Antwort #3 am: September 21, 2019, 10:45:08 »
Ich kann Gum nur zustimmen, wundervoll formuliert und ausgearbeitet, lieber Erich.
Ein Schicksal, das man nicht bewerten mag, da es eine persönliche Entscheidung ist, beinah kommt es mir wie eine selbstgewählte Strafe von Lyrickich vor ( denn: "Doch wer ich wäre, würden manche hassen").
Mit diesem Satz tue ich mich schwer, denn man kann nicht glauben, dass es so wäre. Dennoch hält sich Li zurück, bleibt geheimnisvoll.
Ein tiefer Blick in eine verwundete Seele.
LG von Agneta

Erich Kykal

Re: Festung der Einsamkeit
« Antwort #4 am: September 21, 2019, 21:40:51 »
Hi Agneta!

Die Zeile spielt auf meine zuweilen pseudoautistischen Eigenschaften im sozialen Austausch mit anderen an - ich kränke und vergraule immer wieder mal geschätzte Menschen, weil ich keine Antenne für ihre Empfiundlichkeiten zu haben scheine, zu sehr in meinem hermetischen Universum befangen und voraussetzend, dass alle der gleichen Ansicht von Vernunft folgen müssten wie ich, weil ich mich gern für den Klügsten von allen halte - nicht aus Geltungsbedürfnis oder Hybris, sondern weil ich mich immer wieder darin bestätigt sehe, dass dem so ist, und zu selten erlebe, das mir jemand intellektuell überlegen ist. Und als Kopfmensch denke ich immer zu spät an Gefühle, und dass andere dort welche haben, wo meine schon lange verkümmert sind.
Vielleicht ist diese unempathische Intellektualität auch eine Art Kompensationsreaktion für meine emotionale Degeneration in manchen Belangen, oder die Schutzfunktion einer übersensiblen Seele, die so lang allein gelebt hat, dass sie schlicht verlernt hat, immer Rücksicht zu nehmen und sich so immer wieder ins soziale Fettnäpfchen setzt.

Ein Beispiel (unter vielen)? - Vor etwa 10 Jahren erkrankte mein sehr von mir geschätzter Direktor an Bauchspeicheldrüsenkrebs. Er bat mich, ihn und seine Frau zu portraitieren, weil er wusste, dass er bald sterben würde, und so kam ich der Familie näher. Man lud mich ein, und bei solcher Gelegenheit kam das Gespräch auf Jenseitsvorstellungen und Gottesglaube. Natürlich musste ich intellektuell brillieren, mit Logik und Wahrscheinlichkeiten um mich werfen - ganz im aufrichtigen Bemühen befangen, die Welt um mich klüger und objektiver, wissenschaftlicher denkend zu machen - und tönte von der absoluten Unwahrscheinlichkeit der Existenz eines Nachlebens - und das vor einer Familie, die wusste, dass sie den geliebten Mann und Vater bald verlieren würde.
Erst als die Stimmung nach hitziger Diskussion (vor allem mit seinen erwachsenen Kindern) eisig wurde, begriff ich so langsam, wo's bei mir wieder mal gefehlt hatte - zu spät, zu spät. Auch dass der Kranke selbst bestätigte, dass er meiner Ansicht sei und damit kein Problem habe, rettete das Kind im Brunnen nicht mehr. Seine Lieben WOLLTEN glauben, dass ihr Vater nach dem Tod noch irgendwo existierte - und ich hatte nicht mal ansatzweise in diese Richtung gedacht, nur an Fakten, Erkenntisse, Relationen usw ... - Kopfmensch eben, ohne Feingefühl für Situationen, ohne Einfühlungsvermögen, um sich selbst kreisend, in sich selbst gefangen, verloren, vergeudet ...

Und sowas ist mir nicht nur einmal passiert - sondern immer wieder. Ich habe Freunde und gute Bekannte verloren, die sich von mir abwandten, weil ich irgendwie auf ihnen herumgetrampelt war, ohne es überhaupt zu bemerken! Von manchen weiß ich bis heute nicht, woran es genau lag, sie schwiegen sich aus, wie um mich zu strafen - und das macht mich am meisten fertig, denn wenn ich diese blinde Stelle nicht kenne, könnte ich genau das wieder machen ...

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die wenigsten Menschen die Größe haben, meine Defizite als solche zu erkennen und nicht persönlich zu nehmen, denn ich meine es ja nicht so, ich bin ja nicht bewusst grausam und verletzend. Vielleicht wirke ich auch mental so söuverän, dass man mir solche Blindheit nicht zutraut und daher unterstellt, ich würde es mit Absicht machen.
Letztlich habe ich mich größtenteils von den ohnehin wenigen sozialen Kontakten zurückgezogen, um niemanden mehr zu inkommodieren und mir selbst die Nachwehen solcher Ereignisse zu ersparen.

Das wollte ich mit diesen beiden Zeilen zum Ausdruck bringen, und mit dem ganzen Gedicht.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Agneta

  • Gast
Re: Festung der Einsamkeit
« Antwort #5 am: September 23, 2019, 12:33:36 »
Diese Diskussionen, liebe Erich, haben wir beide auch schon zur Genüge geführt und dennoch bin ich noch immer gerne bereit, mit dir zu kommunizieren- Zwinker.
Ich kann mir schon vorstellen, dass du recht insistierend geworden bist und angesichts der wahrscheinlichen nahen Todesfolge der Leute, war das unempathisch. Sicherlich. Dennoch gehörten zu einer Diskussion ja auch immer zwei. Sie hätten es einfach so stehen lassen können als deine Meinung, so wie ich es auch oft tue.
Natürlich kenne ich nicht deine persönliche Ausstrahlung, wenn du solche Diskussionen führst und doch. Wenn man sich auf intelektuelle Gespräche einlässt,muss man auch damit rechnen, dass man intellektuell gestellt wird. Das können die meisten  nicht ab.
 Andererseits -bei mir sagen meine Leute immer " du geigst"... dann höre ich auf. Gegangen ist deswegen aber niemand. Dafür schätzte man mich stets als guten Ratgeber.
Ich sehe das Problem eher darin. ich möchte hier einen Freund zititieren, den ich seit 45 Jahren habe. Er sagt: Achtzig Prozent der Leute sind doof wie ein Stock.
Nun muss man dies bei einem Schuldirektor nicht zwingend annehmen.
Ich sehe die überdimensionierte "Schuld" aber nicht, die du dir selbst zusprichst. Im Übrigen denke ich, dass du als kluger Mensch auch an deiner evtl. Außenwirkung arbeiten kannst, wenn du dich selbst so gut analysieren kannst.
Hinzu kommt, dass man in Menschen nicht hineinsehen kann. es gibt tausend Gründe , die dazu führen können, dass sich jemand von einem abwendet. Davon mögen viele Gründe in diesem Menschen selbst oder in seinem persönlichen Umfeld liegen.
Lächeln von Agneta