Autor Thema: One Night Stand  (Gelesen 1387 mal)

Erich Kykal

One Night Stand
« am: September 20, 2019, 14:20:02 »
Wie ist, was wir so leichthin Liebe heißen,
doch unbedeutend vor der Überlegung
des klaren Geistes ohne tiefre Regung,
und Argumenten, die sie rasch zerreißen.

Wie ist, was wir das Haus des Geistes nennen,
doch unbedeutend vor der tiefen Liebe,
wenn sie uns hinreißt wie der Schatz die Diebe,
als könnte nur ihr Eigen sie erkennen.

Das eine will dem andern nichts bedeuten,
und dennoch wollen wir sie beide leben,
und schließen Kompromisse mit den Leuten,

an die wir uns im Fühlenden verschenken,
um geistig uns der Pflichten zu entheben,
dahin uns die Gefühle ständig lenken.
« Letzte Änderung: September 20, 2019, 14:21:45 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

wolfmozart

Re: One Night Stand
« Antwort #1 am: September 21, 2019, 11:36:27 »
Sehr gelungener Diskurs über die Dialektik im weitesten Sinn von Geist und Liebe.
Inhaltlich kann ich nur beipflichten, vom Stil her wie immer ausgezeichnet formuliert.

Lieben Gruß wolfmozart
« Letzte Änderung: September 21, 2019, 11:42:39 von wolfmozart »

Erich Kykal

Re: One Night Stand
« Antwort #2 am: September 21, 2019, 21:49:42 »
Hi WM!

Dies ist eines der wenigen Sonette, wo ich mich streng an die geforderte Einteilung der Strophen in These, Antithese und Synthese halte:

S1 stellt die These auf, dass der Kopf wichtiger ist das das Herz, die Gefühle.
S2 stellt die Antithese auf, dass es genau anders herum sei - das Herz steuert den Verstand!
Die Terzette bilden die Sythese, die Versöhnung der (scheinbaren) Gegensätze, oder zumindest einer Erklärung dafür.

Vielen Dank für deine positiven Einlassungen!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Agneta

  • Gast
Re: One Night Stand
« Antwort #3 am: Oktober 12, 2019, 13:07:16 »
Ich stimme dir zu, lieber Erich, dass Ratio und Emotion im stetigen Widerstreit liegen.
One night Stand hat aber wenig mit Liebe zu tun, meist jedenfalls nicht. Es mag die Liebe sein, die die Ration so grade noch mit sich vereinbaren kann, weil dort Triebe befriedigt werden.
Liebe geht tiefer und ich denke, Liebe schafft es auch, sich zu verändern. Auch wenn das erste Verliebtsein nachlässt, zeichnet Liebe sich dadurch aus, dass man "neue" Qualitäten in anderen entdeckt.
Manchmal klappt es auch nicht. lächeln, dann gibts ne Trennung. ;)
Da wir Menschen uns wandeln, verändern mit zunehmendem Alter, körperlich und auch manchmal verhaltensmäßig, kann nur die echte  Liebe dies ausgleichen.Diese baut auch auf Geist ( was haben wir nicht alles schon zusammen geschafft)
Dennoch spricht ja nichts gegen einen Onenightstand, wenn man jung und ungebunden ist. ;D

LG von Agneta


Erich Kykal

Re: One Night Stand
« Antwort #4 am: Oktober 12, 2019, 19:43:00 »
Hi Agneta!

Ich jedenfalls habe immer nach S1 gelebt: Liebe war für mich immer ein hormoneller Ausnahmezustand meiner Physis, eine kurzlebige Verschossenheit, die rasch verblasst, wenn es darum geht, jemanden wirklich in mein Leben zu lassen. Das konnte ich nie.
Im einzigen Fall, da ich wirklich zu lieben glaubte, blieb diese unerwidert, und nach etwa weiteren 20 Jahren verlor sich das Gefühl für diese Person langsam. Auch die wahre Liebe hat wohl ein Ablaufdatum - oder, was wahrscheinlicher ist, es war in meinem Fall eben doch keine.

Es gibt den Spruch: Frauen brauchen für Sex einen guten Grund, Männer nur eine Gelegenheit. Für mich bringt das auf den Punkt, worum es geht. Der Mann will seinen Samen möglichst breit streuen, viele Nachkommen produzieren (in der Urzeit konnte er noch nicht auf Lebensunterhalt verklagt werden), die Frau ist jahrelang mit dem Ergebnis, dem Nachwuchs beschäftigt - klar, dass sie den bestmöglichen Vater haben will, der sich um seine Familie kümmert, und Idiot soll das eigene Kind ja auch keiner sein.

Sex und Liebe - das ist mein Problem. Ich kann nicht beides haben. Es ist eine meiner prägensten frühkindlichen Erfahrungen, dass Liebe rein und weiblich ist, Sex hingegen schmutzig und männlich. Friede und Aggression.
Ich weiß sogar, wie es dazu kam: Nach meiner Geburt wurden meiner Mutter Gebärmutter und Eierstöcke entfernt, um Krebs vorzubeugen nach sehr später Schwangerschaft (sie war 46, als ich kam). Nebeneffekt davon war leider, dass sie jegliches Interesse am Sex verlor. Mein Vater nicht, und einige meiner frühesten klaren Erinnerungen handeln davon, wie mein Vater meine Mutter bedrängt, Sex mit ihm zu haben, während sie ihn angewidert zurückweist. Alles leise und mit verhaltenen Stimmen, aber gerade dadurch vielleicht umso einprägsamer, denn nichts macht ein Kind hellhöriger als wenn es glaubt, die Erwachsenen wollen nicht, dass es etwas mitbekommt.
Natürlich wurde mir erst Jahre später klar, worum es in diesen Nächten ging, aber der kleine Junge verinnerlichte diese verachtende Zurückweisung intuitiv.

Leider sprach ich auch nie mit ihnen darüber, und so verfestigte sich mit der Zeit die eherne Überzeugung in mir, dass es immer und bei allen so sei: die Frau die reine Unschuld, der Mann der lüsterne Beschmutzer! Der Religionsunterricht (ich wusste damals schon, warum ich ihn hasste!) tat ein Wesentliches dazu, das Bild noch zu bestärken.
Seither kann ich mich keiner Frau nähern, ohne das Gefühl zu haben, ein Schwein zu sein, und wenn ich tatsächlich liebe, ist es mir so gut wie unmöglich, dieses Gefühl durch den Gedanken an Körperlichkeit quasi in den Dreck zu ziehen. Mal ehrlich - kann man noch verkorkster sein?

Natürlich war mir ab einem bestimmten zerebralen Reifegrad klar, dass das nur eine frühkindliche Prägung war, und es gelang mir bis zu einem gewissen Grad, sie zu überwinden - aber halt nie so ganz, wie das bei so früh Erlebtem eben so ist: Das Hirn weiß es besser, aber das Unterbewusste macht weiter, was es will.
Im Mittelalter wäre ich wahrscheinlich glühender Marienverehrer geworden, Mönch, Einsiedler, Priester - oder erzkatholischer Ritter, der seiner Holden ständig mit dem Keuschheitsgürtel hinterherläuft, und nur Nachkommenschaft zeugen kann (zu anderen Zwecken Sex zu haben wäre eh damals eine Todsünde gewesen), wenn beide im vollen Nachtgewand bleiben, ohne sich zu berühren, nur mit passenden kleinen Schlitzchen an den entscheidenden Stellen im dicken Gewand.  ::) (Gab es echt, kein Scheiß!)

Aber heutzutage, und mit einem gebildeten Gehirn, das keine tiefe Religiosität zulässt? Was blieb dem schüchternen, gehemmten, den eigenen Leib verachtenden dicklichen Jüngling übrig? Selbstgewähltes Zölibat, um wenigstens noch einen kleinen Rest Würde zu bewahren. Und später, als er eigenes Geld verdiente, der verschwiegene Gang zu jenen Frauen, von denen man einfach wusste, dass sie weder rein noch unschuldig waren (und selbst da fiel es ihm nach einigen Jahren und wenigen Besuchen zu schwer, als er erkannte, dass auch sie letztlich zumeist Frauen waren wie alle anderen auch, und die grelle Hurenmaske nur Fassade) ...

Die meisten meiner wenigen unpekuniären "Beziehungen" waren One-Night-Stands, die längere der beiden Ausnahmen dauerte nicht ganz 2 Monate. Letztlich war es mir lieber so - ein erotisch aufgeräumtes Leben war leichter bewältigbar als die ständigen emotionalen Lastwechsel einer festen Beziehung. Und wie eingangs erwähnt - ich wusste aus Erfahrung, dass meine Verschossenheiten selten lang andauerten, ihre Gefühle wurden in der Mühle meines Traumas, meines inneren Widerspruchs verlässlich zerrieben. Den Frauen etwas vorzumachen, nur um weiter "befriedigt" zu werden, verwarf ich immer als höchst unmoralisch.
Man lernt damit zu leben, und meinen Spass habe ich ja durchaus gehabt. Mehr durfte es nie werden, oder ich wäre rasch unerträglich geworden.

Wenn immer du glaubst, du hättest den untersten Grund, den tiefsten Keller deiner Seele erfahren und erforscht, findest du unverhofft eine neue Treppe nach unten ...


LG, eKy
« Letzte Änderung: August 29, 2022, 12:07:40 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Agneta

  • Gast
Re: One Night Stand
« Antwort #5 am: Oktober 13, 2019, 21:11:46 »
kindliche Erfahrungen können viel bewirken, lieber Erich, aber deine Erzählung bestürzt mich. Deine Eltern müssen sehr streng gewesen sein, unnahbar, dass du nie den Mut hattest, mit ihnen darüber zu sprechen. Diese Sache hat dich so geprägt, dass sie dir ein Leben versaut hat, in dem man Sexualität als etwas Erfrischendes und natürliches ansieht. Ja, sogar eine Bindungsunfähigkeit oder besser den Mut dazu, haben sie angelegt.
Wieder einmal zeigt mir dass, wieviel man falsch machen kann in der Kindererziehung. ( Wir überlegen gerade, den Kleinen aus dem Kigarten zu nehmen, weil die da mit schwarzer Pädagogik arbeiten- aber anderes Thema).
Wieder einmal zeigt mir deine Geschichte, wie dankbar ich meinen jungen, unbedarften und liebevollen Eltern sein kann, dass ich so werden konnte wie ich bin. Und samstags musste ich mein TV immer lauter machen... GGG
LG von Agneta, bestürzt


Erich Kykal

Re: One Night Stand
« Antwort #6 am: Oktober 14, 2019, 00:03:31 »
Hi Agneta!

Meine Eltern waren nicht SOOO streng. Ich bekam manchmal Ohrfeigen, und im Vorschulalter öfter mal was mit dem Teppichklopfer, aber eher symbolisch, nie wirklich striemenmäßig. Damals gehörte Züchtigung einfach noch zur Erziehung dazu. Das war's auch schon.
Aber damals war es eben so, dass Sex ein Tabuthema war. Erst wusste ich nicht, was vorging und traute mich nicht zu fragen, und als ich es wusste, war ich peinlich berührt, dass ich es wusste, und hätte ich darüber gesprochen, hätten meine Eltern auch gewusst, dass ich es wusste, und das wäre für uns alle sehr erniedrigend gewesen.

Zudem wären meine Eltern in Sachen Sexualberatung ohnehin die Falschen gewesen. Als ich meiner Mutter mit 11 oder 12 gestand, ich würde onanieren (ich war so stolz auf meinen ersten Samenerguss!), wurde sie ganz blass und wütend und meinte, ich dürfte das nicht tun, weil es schädlich sei - sie glaubte noch fest an die Mär von der Rückenmarkserweichung und der Verblödung durch Selbstbefriedigung ...  ::) (Das Märchen wurde im 19. Jhdt von katholischen kirchentreuen Ärzten verbreitet, die die "Sünde des Onan" ausrotten wollten ...)

Nicht, dass es mich auch nur ansatzweise "gebremst" hätte ...  ;) ;D

LG, eKy
« Letzte Änderung: Juli 11, 2021, 13:05:49 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.