Hi Agneta!
Ich jedenfalls habe immer nach S1 gelebt: Liebe war für mich immer ein hormoneller Ausnahmezustand meiner Physis, eine kurzlebige Verschossenheit, die rasch verblasst, wenn es darum geht, jemanden wirklich in mein Leben zu lassen. Das konnte ich nie.
Im einzigen Fall, da ich wirklich zu lieben glaubte, blieb diese unerwidert, und nach etwa weiteren 20 Jahren verlor sich das Gefühl für diese Person langsam. Auch die wahre Liebe hat wohl ein Ablaufdatum - oder, was wahrscheinlicher ist, es war in meinem Fall eben doch keine.
Es gibt den Spruch: Frauen brauchen für Sex einen guten Grund, Männer nur eine Gelegenheit. Für mich bringt das auf den Punkt, worum es geht. Der Mann will seinen Samen möglichst breit streuen, viele Nachkommen produzieren (in der Urzeit konnte er noch nicht auf Lebensunterhalt verklagt werden), die Frau ist jahrelang mit dem Ergebnis, dem Nachwuchs beschäftigt - klar, dass sie den bestmöglichen Vater haben will, der sich um seine Familie kümmert, und Idiot soll das eigene Kind ja auch keiner sein.
Sex und Liebe - das ist mein Problem. Ich kann nicht beides haben. Es ist eine meiner prägensten frühkindlichen Erfahrungen, dass Liebe rein und weiblich ist, Sex hingegen schmutzig und männlich. Friede und Aggression.
Ich weiß sogar, wie es dazu kam: Nach meiner Geburt wurden meiner Mutter Gebärmutter und Eierstöcke entfernt, um Krebs vorzubeugen nach sehr später Schwangerschaft (sie war 46, als ich kam). Nebeneffekt davon war leider, dass sie jegliches Interesse am Sex verlor. Mein Vater nicht, und einige meiner frühesten klaren Erinnerungen handeln davon, wie mein Vater meine Mutter bedrängt, Sex mit ihm zu haben, während sie ihn angewidert zurückweist. Alles leise und mit verhaltenen Stimmen, aber gerade dadurch vielleicht umso einprägsamer, denn nichts macht ein Kind hellhöriger als wenn es glaubt, die Erwachsenen wollen nicht, dass es etwas mitbekommt.
Natürlich wurde mir erst Jahre später klar, worum es in diesen Nächten ging, aber der kleine Junge verinnerlichte diese verachtende Zurückweisung intuitiv.
Leider sprach ich auch nie mit ihnen darüber, und so verfestigte sich mit der Zeit die eherne Überzeugung in mir, dass es immer und bei allen so sei: die Frau die reine Unschuld, der Mann der lüsterne Beschmutzer! Der Religionsunterricht (ich wusste damals schon, warum ich ihn hasste!) tat ein Wesentliches dazu, das Bild noch zu bestärken.
Seither kann ich mich keiner Frau nähern, ohne das Gefühl zu haben, ein Schwein zu sein, und wenn ich tatsächlich liebe, ist es mir so gut wie unmöglich, dieses Gefühl durch den Gedanken an Körperlichkeit quasi in den Dreck zu ziehen. Mal ehrlich - kann man noch verkorkster sein?
Natürlich war mir ab einem bestimmten zerebralen Reifegrad klar, dass das nur eine frühkindliche Prägung war, und es gelang mir bis zu einem gewissen Grad, sie zu überwinden - aber halt nie so ganz, wie das bei so früh Erlebtem eben so ist: Das Hirn weiß es besser, aber das Unterbewusste macht weiter, was es will.
Im Mittelalter wäre ich wahrscheinlich glühender Marienverehrer geworden, Mönch, Einsiedler, Priester - oder erzkatholischer Ritter, der seiner Holden ständig mit dem Keuschheitsgürtel hinterherläuft, und nur Nachkommenschaft zeugen kann (zu anderen Zwecken Sex zu haben wäre eh damals eine Todsünde gewesen), wenn beide im vollen Nachtgewand bleiben, ohne sich zu berühren, nur mit passenden kleinen Schlitzchen an den entscheidenden Stellen im dicken Gewand.

(Gab es echt, kein Scheiß!)
Aber heutzutage, und mit einem gebildeten Gehirn, das keine tiefe Religiosität zulässt? Was blieb dem schüchternen, gehemmten, den eigenen Leib verachtenden dicklichen Jüngling übrig? Selbstgewähltes Zölibat, um wenigstens noch einen kleinen Rest Würde zu bewahren. Und später, als er eigenes Geld verdiente, der verschwiegene Gang zu jenen Frauen, von denen man einfach wusste, dass sie weder rein noch unschuldig waren (und selbst da fiel es ihm nach einigen Jahren und wenigen Besuchen zu schwer, als er erkannte, dass auch sie letztlich zumeist Frauen waren wie alle anderen auch, und die grelle Hurenmaske nur Fassade) ...
Die meisten meiner wenigen unpekuniären "Beziehungen" waren One-Night-Stands, die längere der beiden Ausnahmen dauerte nicht ganz 2 Monate. Letztlich war es mir lieber so - ein erotisch aufgeräumtes Leben war leichter bewältigbar als die ständigen emotionalen Lastwechsel einer festen Beziehung. Und wie eingangs erwähnt - ich wusste aus Erfahrung, dass meine Verschossenheiten selten lang andauerten, ihre Gefühle wurden in der Mühle meines Traumas, meines inneren Widerspruchs verlässlich zerrieben. Den Frauen etwas vorzumachen, nur um weiter "befriedigt" zu werden, verwarf ich immer als höchst unmoralisch.
Man lernt damit zu leben, und meinen Spass habe ich ja durchaus gehabt. Mehr durfte es nie werden, oder ich wäre rasch unerträglich geworden.
Wenn immer du glaubst, du hättest den untersten Grund, den tiefsten Keller deiner Seele erfahren und erforscht, findest du unverhofft eine neue Treppe nach unten ...
LG, eKy