Autor Thema: Seit wir Affen waren (Fluch der Gemeinschaft)  (Gelesen 992 mal)

Erich Kykal

Seit wir Affen waren (Fluch der Gemeinschaft)
« am: September 04, 2019, 11:21:06 »
Die ihren lieben Lebtag kaum ein Böses streifen,
was wissen sie von all dem Leiden in der Welt,
das Schutz- und Heimatlose ständig überfällt?
Wie glauben sie, das Grauen bündig zu begreifen:

Kontrollsadisten, die in Bootcamps Kinder schleifen,
bis sie zerbrochen sind, wie es dem Geist gefällt,
der sie zu solchen Seelenschlächtern hinbestellt,
und wagt, Erziehung es zu nennen und ein Reifen.

Fanatische, die glühend alles ringsum morden,
was nicht in ihre Welt der Seligkeit sich fügt,
Zerstörte, die in blindem Gegenzug zerstören!

Wie sind wir, seit wir Affen waren, so geworden?
Verachtend, schlagend, brechend, was sich selbst genügt,
und nur, was wir vernichten, darf uns ganz gehören.
« Letzte Änderung: September 06, 2019, 14:42:00 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Seit wir Affen waren (Fluch der Gemeinschaft)
« Antwort #1 am: September 04, 2019, 12:14:02 »
Ein bedrückender Menschheitsfluch... ich würde gerne inhaltlich widersprechen, kann aber nicht... und bin doch voller Hoffnung... auch das macht den Menschen aus: Imaginieren, was nicht da ist und auf etwas hoffen, das unerreichbar erscheint.
Lg!
S.

Erich Kykal

Re: Seit wir Affen waren (Fluch der Gemeinschaft)
« Antwort #2 am: September 04, 2019, 14:28:23 »
Hi Suf!

Ich habe gestern den (wie ich finde sehr guten und sehr notwendigen) (Jugend)Roman "Boot Camp" (im englischen Original, das ich gelesen habe, von Todd Strasser, aber die deutsche Version nennt als Autor seltsamerweise einen Morton Rhue) gelesen, und das arbeitete seitdem in mir und ließ mir keine Ruhe, ehe ich mir nicht mit den mir möglichen Mitteln Luft verschafft hatte!

Inhalt: ein hochintelligenter und menschlich schon sehr reifer 15-Jähriger wird wegen vergleichsweiser Kleinigkeiten und der Liebe zu einer acht Jahre älteren Frau von seinen reichen Eltern, die Angst um ihren Ruf haben, in so ein Bootcamp abgeschoben. Dort widersteht er dem Drill, den Schikanen, den Demütigungen, den Schlägen und der physischen Folter (immer nur so, dass keine Spuren bleiben) sowie den seelischen Vergewaltigungen durch Aufseher (von denen viele selbst frühere "Insassen" sind - das System erhält sich selbst ...) und deren willige Häftlingsgestapo über ein halbes Jahr lang. Ihm gelingt sogar die Flucht, aber er geht zurück, um 2 Verfolgern das Leben zu retten und wird prompt von diesen wieder eingeliefert. Daraufhin wird der "Held" von den dortigen Kleingeistern und sadistischen Kontrollfreaks dermaßen geschunden, dass er doch noch zerbricht und sich geistig dem System "anpasst". Als seine Eltern ihn abholen, weil eine Verfolgerin und die anderen Entkommenen sich für ihn einsetzen, ist er ein willenloser Zombie, der der Meinung ist, er hätte alles, was ihm monatelang angetan wurde, durchaus verdient. Alles was für ihn noch zählt, ist die Angst vor jenen, denen er "gehört": selbst vor den eigenen Eltern, die aus seiner nunmehrigen Sicht nur noch Teil des Systems sind, das über ihn bestimmt und nach Belieben verfügt. So etwas wie Vertrauen und Liebe existieren nicht mehr für ihn.

Ein starker Roman, aus der Ichperspektive erzählt, der zeigt, wie ein sehr kluger, mutiger, feinsinniger und sensibler Heranwachsender (er rettet sogar seine Verfolger, obwohl er weiß, was dann mit ihm geschieht!) konsequent durch Unmenschlichkeit zerbrochen wird, nur um "systemgerecht" zu funktionieren, weil das System einfach "liefern" muss für die 4000 Dollar monatlich, die engstirnige Eltern dafür bezahlen. In den USA gelten Minderjährige bis zum Erreichen des 18. Lebensjahrs vor dem Gesetz nicht als Personen mit Rechten, sondern als Eigentum ihrer Erziehungsberechtigten: Unterschreiben diese die Handhabe, dürfen sie in solchen Bootcamps sadistisch gedemütigt und gefoltert werden, bis sie brechen und sich fügen. Es sterben sogar Kinder dort, was als "Kollateralschaden" von Versicherungen gedeckt wird.
Ich frage mich, was für ein Land das sein muss, das seinen Kindern so etwas antut, ob mit staatlich oder privatwirtschaftlich geführten Unternehmen dieser Art! Menschenrechte und "Land of the Free"? - Am Arsch, wenn man nicht alt genug ist! Auf Dmax (TV-Sender) gab es sogar mal eine Dokureihe über solche Bootcamps: Monatelang wurde dort mitgefilmt, wie zum Teil erst Elfjährige mit militärischen Drill und sozialer Isolation gefoltert wurden, heimlich verprügelt, angeschrien, bespuckt, im Freien angekettet wie Tiere ... - es war schrecklich! Aber offenbar denken viele Amis, dies sei genau das, was vielen "privilegierten" Kindern fehle, um "echte" Männer und "züchtige" Frauen werden zu können! Was für ein verlogener Beschiss!
Die einzige Lektion aus dem Ganzen ist die: Es ist einfacher, Kinder zu zerbrechen, als sie zu erziehen! Und viele gehen eben gern den leichten Weg, vor allem wenn sie Kohle haben und keine Ahnung, was wirklich in solchen Kinder-KZs passiert! Viele denken immer noch, es wäre nur so eine Art "strenges Ferienlager" ... - aber das Klima und die "didaktischen Methoden" dort sich letztendlich dieselben wie in einem Hochsicherheitsknast für echte Kriminelle, kombiniert mit militärischer Entmenschlichung und Persönlichkeitsdemontage. Islamistische Koranschulen verfahren übrigens ähnlich mit ihren Schutzbefohlenen ...
So macht man keine guten Menschen, nur oberflächlich funktionierende gebrochene Seelen ...

Wäre so etwas auch bei uns denkbar, wenn es immer weiter nach rechts geht, wie die Erfolge der AfD (Asoziale führen Deutschland) andeuten? Ich wage nicht, mir das vorzustellen!

LG, eKy,
« Letzte Änderung: September 05, 2019, 11:58:00 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Seit wir Affen waren (Fluch der Gemeinschaft)
« Antwort #3 am: September 05, 2019, 11:49:05 »
Das ist eine wirklich erschütternde Geschichte, eKy... es tut, denke ich, ganz gut, wenn man wie Du in der Lage ist, seine Betroffenheit in künstlerischer Form auszudrücken - es hilft (so hoffe ich) immer ein bisschen dabei, diese Dinge gedanklich zu verarbeiten.
LG,
S.

Erich Kykal

Re: Seit wir Affen waren (Fluch der Gemeinschaft)
« Antwort #4 am: September 05, 2019, 12:13:03 »
Hi Suf!

Vielen Dank!  :)

Ich habe in der letzten Str. noch den Einstieg geändert, da sich anderswo das Problem stellte, dass Leser das "wir" der ersten Str. mit dem "wir" der letzten Str. gleichsetzten. Dabei meint das obere uns, die Wohlstandskinder, aufgewachsen in Sicherheit und geliebt, das untere die Menschheit im Allgemeinen. Nun sollte das Problem nicht mehr auftreten. Was meinst du - verliert die Frage durch die simplifizierende, aber sich so von S1 absetzende Änderung zuviel an Wucht und sprachlicher Eleganz, oder geht das so?

Ursprüngliche Version war: "Wie sind wir, seit wir Affen waren, so geworden?"

LG, eKy
« Letzte Änderung: September 05, 2019, 14:20:00 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Seit wir Affen waren (Fluch der Gemeinschaft)
« Antwort #5 am: September 05, 2019, 17:04:02 »
Hi eKy!
Das ist knifflig...
Also die Verschiebung im "wir" von den materiell und vor allem auch seelisch verwöhnten Wohlstandskindern hin zu dem menschheitsumgreifenden Wir hat mich eigentlich nicht gestört... jetzt, wo Du drauf hinweist, seh ich aber den Punkt... andererseits finde ich schon, dass die ursprüngliche Fassung "Wie sind wir, seit wir Affen waren, so geworden?" knackiger war. Ich hätte, glaube ich eher den Wechsel im Bezug des "Wir" in Kauf genommen. Das ist aber wirklich Geschmacksfrage...
Alternativ könntest Du natürlich auch das Wir in der ersten Strophe in die dritte Person verschieben und dann die Ursprungsfassung mit dem Wir in der dritten Strophe beibehalten...
Lg!
S.

Erich Kykal

Re: Seit wir Affen waren (Fluch der Gemeinschaft)
« Antwort #6 am: September 05, 2019, 22:41:40 »
Hi Suf!

Das mit der 3. Person in S1 war ein prima Tipp! Vielen Dank, das mach ich!  :)

LG, eKy
« Letzte Änderung: September 06, 2019, 14:41:05 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Seit wir Affen waren (Fluch der Gemeinschaft)
« Antwort #7 am: September 06, 2019, 13:42:33 »
Das freut mich!
Ja, ich denke so funktioniert das schon sehr gut! :) Der letzte Minipunkt ist jetzt nur noch, dass man bei ungenauem Lesen denken könnte, die "sie" aus Z4 würden mit den Kontrollsadisten wieder aufgegriffen. Das könnte m. E. noch verhindert werden, indem S1Z4 als rhetorische Frage formuliert wird, z.B.: "Wer glaubt noch frech... usw". Das würde dann mit der vorangegangenen rhetorischen Frage aus Z2/3 korrespondieren und die S2 wäre dann logisch klar abgesetzt. :)
Lg!
S.

Erich Kykal

Re: Seit wir Affen waren (Fluch der Gemeinschaft)
« Antwort #8 am: September 06, 2019, 14:45:07 »
Hi Suf!

Ich hab die Stelle ein wenig geändert, weil mich das "frech" nachträglich störte. Dass man glauben könnte, es ginge beim "sie" in S1 um die in S2 beschriebenen Kontrollsadisten, halte ich für eine höchst geringe Gefahr.

Vielen Dank fürs Gedankenmachen!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.