Autor Thema: Ungut  (Gelesen 757 mal)

gummibaum

Ungut
« am: August 03, 2019, 10:46:43 »
Ich habe mich für dich geschunden
und mir das Leben schwer gemacht,
doch immer mich in neuen Wunden
noch einmal mehr mit dir verbunden,
und eingeschwärzt in deine Nacht.

Nun bin ich, Opfer, ganz dein eigen
und treib in deiner trüben Flut
still kreisend wie im Todesreigen,
von dem die lichten Seelen schweigen,
und hatte es doch einst so gut…
« Letzte Änderung: August 03, 2019, 12:52:11 von gummibaum »

Erich Kykal

Re: Ungut
« Antwort #1 am: August 03, 2019, 11:37:55 »
Hi Gum!

Ans Ende der vorletzten Zeile würde ich durchaus ein Komma setzen.

Ja, das Unterwürfige ist uns Menschen innewohnend. Sei es in einem autoritären Staat, einer strengen Religion, einer Sekte oder einem elitären Club, sei es aber auch in engen Beziehungen, ob emotional oder rein erotisch.

Andererseits der Hang zu dominieren, sich ein Wesen untertan zu machen, zu dressieren und Lust und Machtgefühl aus dieser Kontrolle zu beziehen - was sind wir Menschen doch für seltsame Geschöpfe ...

Sehr gern gelesen!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Ungut
« Antwort #2 am: August 03, 2019, 12:53:54 »
Sehr gut ausgedeutet, lieber Erich. Ich danke dir.

LG g

Sufnus

Re: Ungut
« Antwort #3 am: August 30, 2019, 15:37:03 »
Lieber gum,

das ist ein ganz raffiniertes Gedicht in der Art, wie es dem Leser die Deutung des hier Vorgebrachten überlässt. Auf der Linie von eKy kann man hier eine ungute (der Titel ist ein brauchbarer Fingerzeit in diese Richtung) Beziehung herauslesen, die zu einer toxischen Abhängigkeit des LI gegenüber dem Adressaten geführt hat.
Im Textverlauf bleibt aber vieles sehr vieldeutig. Die ersten Zeilen klingen fast eher wie die Rede eines Elternteils gegenüber dem undankbaren Nachwuchs, dann wechselt die Strophe 1 aber den Ton und kulminiert im Wörtchen "verbunden", was man als sexuelle Verbindung lesen könnte, wobei das "eingeschwärzt in deine Nacht" der letzten Zeile dieser Strophe offen für viele Ausdeutungen ist. Soweit so verständlich als Beschreibung einer Abhängigkeitskonstellation.
Was mich an der Eindeutigkeit dieser Lesart etwas zweifeln lässt, ist aber Strophe 2, denn hier wird mit der Metapher, dass das LI in der trüben Flut (reimt sich auch gut auf Blut) des Angesprochenen treibt, eine physische Verschmelzung von LI und LD ins Bild gesetzt, die noch über eine schräge Beziehung weit hinaus geht. Ein seltsam auf den Kopf gestelltes Bild von einem Süchtigen und der in seinem Blut zirkulierenden Droge (hier eben mit vertauschten Rollen!) deutet sich an. Und dann hebt sich der Gedanke der Verse ins Metaphysische... der kreisende Todesreigen, die lichten Seelen... wir sind irgendwo zwischen Danteschem Paradies und Inferno (also im Fegefeuer?).
Ein Gedanke, der mir zu alledem kam: Könnte das LI hier womöglich die Seele sein, die zum Gefängnis (und womöglich auch Verdammnisort) ihres sterbenden Körpers redet? Solche inneren Monologe von Seele und Körper kennen wir aus der Lyrik durchaus - die bekanntesten Beispiele stammen wohl aus der Feder Gernhardts (google-findbar und sehr lesenswert!), nämlich die Gedichte "Noch einmal: Mein Körper", der humoristische Klassiker zu diesem Sujet, und das schon deutlich düsterere "Siebenmal: Mein Körper". Deine Variante, so gelesen, wäre noch einmal deutlich grimmiger.

Auf alle Fälle: Sehr gerne gelesen!

S.
« Letzte Änderung: August 30, 2019, 15:38:42 von Sufnus »

Agneta

  • Gast
Re: Ungut
« Antwort #4 am: August 30, 2019, 21:57:20 »
ich lese hier einen Pflegenden, der immer tiefer in die Not des ZU- Pflegenden hineinrutscht, sich nicht mehr distanzieren kann. Liebenden Angehörigen passiert so etwas schnell. Gefühle , Mitleid und Verantwortung, gar Pflicht üpnden rasch in Schuldgefühle, nicht genug zu tun... Besonders bei Dementn, die ja unwollentlich oft ungerecht sein können.
Immer mehr gewinnt der zu Pflegende Macht über das Leben des anderen. macht ihn letztlich selbst krank.
LG von Agneta

gummibaum

Re: Ungut
« Antwort #5 am: September 03, 2019, 09:39:36 »
Vielen Dank, lieber Sufnus und liebe Agneta, für für eure erhellenenden Kommentare. Ich sehe, es gibt viele Lesarten.

Euch einen schönen Tag.
Liebe Grüße g