Autor Thema: Schach  (Gelesen 977 mal)

gummibaum

Schach
« am: August 15, 2019, 16:43:21 »
Die Weißen und die Schwarzen lauern
zum Streit sich auf in stummer Wacht,
dann reißt ein Horn mich armen Bauern
als ersten Kämpfer in die Schlacht.

Schon öffnet auch der Feind die Reihen,
sein Ross stampft Lücken mit dem Huf
in unsre Phalanx, Läufer schreien
Befehle, dann erstirbt ihr Ruf.

Auf leichtem Fuß schwebt unsre Dame
ins Feld, und halmgleich um sie her
sinkt alles um, da trifft - infame
Verkettung - sie vom Turm ein Speer.

Ich sehe sie im Blut erbleichen,
mein König flüchtet, plötzlich schwach,
ich stürme vorwärts über Leichen,
denn unheilvoll ertönt das „Schach!“

Der Feind wähnt sich in Siegesehre,
er achtet nicht auf Bauernglück,
zum Schlachtfeldrand gelang ich, kehre
als Dame in die Schlacht zurück.

Als erste stürzt des Feindes Schöne,
dann walze ich die Türme platt,
man wünscht Remis, doch ich versöhne
mich leider nicht und sage „Matt!“...
« Letzte Änderung: August 15, 2019, 16:50:58 von gummibaum »

Erich Kykal

Re: Schach
« Antwort #1 am: August 15, 2019, 17:27:43 »
Hi Gum!

Trefflich gedichtet - Schach mal wirklich "live"!  ;D

Einzig das Ende erscheint mir unlogisch: Warum sollte der Verlierer ein "Unentschieden" vorschlagen, wenn er doch weiß, dass die gegnerische Dame nur noch einem Zug davon entfernt ist, ihn matt zu setzen? Hofft er tatsächlich, der Gegner würde die Chance nicht erkennen - aber machte er nicht gerade dadrurch auch erst auf sie aufmerksam?

Jedenfalls sehr gern gelesen, und alles andere als "matt"!  ;) :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Schach
« Antwort #2 am: August 15, 2019, 18:35:48 »
Danke, lieber Erich. Ja, vielleicht unlogisch. Ich dachte an Kriegsverläufe, wo um vor der drohenden Kapitulation ein Waffenstillstand erwirkt wurde.

Gruß gummibaum

Sufnus

Re: Schach
« Antwort #3 am: August 16, 2019, 11:57:12 »
Martialisch und großartig gedichtet, lieber gum!
Kennst Du die kurze Erzählung "Ein Kampf" von Patrick Süskind? Da wird das Geschehen auf dem Schachbrett auch sehr sprachmächtig ins Kriegerische transfiguriert, wenn auf dem Höhepunkt einer Schachpartie ein "mörderischer Abtauschreigen" erfolgt ("Eine solche Schlachterei hat man noch nicht erlebt").
Bei Deinen Gedichten mag ich sehr, mit welcher Leichtigkeit Du Dich immer wieder in "Akteure" hineinversetzt, die häufig der Sphäre der unbelebten Materie angehören. Die "toten" Dinge haben in Dir sozusagen einen mitfühlenden Fürsprecher im wörtlichen Sinn gefunden. :)
Lg,
S.


gummibaum

Re: Schach
« Antwort #4 am: August 22, 2019, 11:13:11 »
Danke für dein Lob, lieber Sufnus. Nein, das Buch kenne ich nicht, ist ein guter Tipp von dir.

Dir einen schönen Tag.
LG gummibaum



Agneta

  • Gast
Re: Schach
« Antwort #5 am: August 24, 2019, 11:37:44 »
das ist klasse geschrieben, lieber Gum. Auch wenn ich vom Schach nicht viel Ahnung habe, so geht es hier doch symbolhaft um einen, eine, die sich durchsetzt, frei nach dem Motto: Totgesagte leben länger. Dazu gehören Mut, gesunde Selbsteinschätzung und Willensstärke, auch ein wenig Glück.
Und der Häme derer zu begegnen, die sich schon als Sieger wähnten, idem man sie schachmatt stellt, ohne auch nur einmal mit der Wimper zu zucken- ja, das kommt meiner Lebensphilosophie schon sehr nahe.
Dein Schachspiel menschelt also ganz gewaltig.
Super. lG von Agneta

gummibaum

Re: Schach
« Antwort #6 am: August 27, 2019, 09:38:40 »
Danke, liebe Agneta. Das freut mich. Bei mir sind die Dinge ja meist menschlich veranlagt.

Dir einen schönen Tag.
Gruß gummibaum