Autor Thema: Was ich mir wünsche  (Gelesen 708 mal)

Erich Kykal

Was ich mir wünsche
« am: Juli 26, 2019, 20:31:56 »
Ich wünsche mir ein abendloses Gleiten
durch einen nimmermüden Sommertag,
der endet, wenn ich selber enden mag
nach unerdenklichen Erlebenszeiten.

Ich wünsche mir, dass aller Menschen Streiten
sich löse und ein ewiger Vertrag
in Freundschaft sie verbände und kein Schlag
geführt mehr würde um Gelegenheiten.

Ich wünsche mir, mich wunschlos zu erkennen,
wenn keine Kinder mehr in Kissen weinen,
und keine Völker mehr in Kriegen brennen.

Ich wünsche mir, mit aller Welt im Reinen
ein Gott zu werden, den sie anerkennen.
Ich wünsche mir, uns alle zu vereinen.
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Was ich mir wünsche
« Antwort #1 am: Juli 31, 2019, 17:22:22 »
Oha! Ein interessanter Fall, lieber eKy! Ist das auch ein Werk aus nicht-aktuellen Schaffensphasen? Wenn ja, ist für mich doch nicht die kleinste Unebenheit zu finden, bei der ein Kritiker im Fehlersuchmodus einhaken könnte. Formal perfekt gebautes Sonett mit beträchtlichem inhaltlichen Anspruch. Warum also ein interessanter Fall? Weil ich mich wundere, dass hier noch keiner etwas dazu geschrieben hat.

Ich glaube es hat mit der Schockwirkung von Zeile 13 zu tun. Bis einschließlich Zeile 12 ist das lyrische Ich ein ganz sympathischer, etwas elegisch veranlagter Zeitgenosse, der einem durchaus friedvollen Traumbild nachhängt. Die Hybris der erheischten Gott-Erhebung in der nächsten Zeile ist dann ein Umschlagpunkt, ab dem das lyrische Ich eher wie ein wahnsinniger Tyrann (Cäsarenwahn) rüberkommt... ein bisschen ein GoT *Spoiler-Alert - Spoiler Alert - Spoiler Alert* Momentum, wo die idealistische Daenerys plötzlich von den weißen, alten Serienmachern zur irren Aggrofaschista umgeschrieben wurde.  :o

Erich Kykal

Re: Was ich mir wünsche
« Antwort #2 am: Juli 31, 2019, 18:45:22 »
HI Suf!

Ich danke dir für das große Lob, auch wenn ein Purist sicher zu bemängeln wüsste, dass die umarmten Reime der Quartette männliche Kadenz haben, wie sie das "perfekte" Schema verlangt.  ;)

Das LyrIch denkt sich wohl: Wenn die Menschen schon unbedingt jemandem (ob realer Herrscher oder fiktiver Gott) nachrennen und sich unterordnen wollen, dann muss man eben DAMIT arbeiten! Und besser ein Gott, der es gut meint - und das kann das LyrIch eben nur von sich selber genau wissen!

Natürlich weiß der philosophisch Gestählte, dass es immer die perfekte Absicht ist, die äußerst missliebige Kinderchen zeugt - ein guter Spruch sagt ja nicht grundlos, dass der Weg zur Hölle damit gepflastert ist!
Wie dem auch sei - wer von uns hat wohl nicht irgendwann solche Allmachtsphantasien geschoben, vor allem in jüngeren Jahren? Und man dachte ja immer, dabei der "Gute" zu sein, oder? Das denken übrigens so gut wie alle "Bösen" von sich ...

Das Gedicht soll diese Ambivalenz verdeutlichen, diese Kluft zwischen der romantischen Vorstellungskraft und der Realität, die wir erschaffen:

Wir Menschen sehen uns so gerne
als edle Krönung dieser Erde,
ermächtigt gar bis an die Sterne
und Herren über Wohl und Werde.

Wir Menschen träumen Paradiese,
doch wollen wir sie wirklich schaffen,
entarten und zerfallen diese
zum derben Kreischen wüster Affen.

Wir Menschen lernen noch die Lücke,
die zwischen Wunsch und Wirklichkeit
sich auftut, wo Objektes Tücke
nur Fehler aneinanderreiht.


Ist mir so zugeflogen als lyrische Erklärung für obiges Sonett ...

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.