Autor Thema: Gedankenspiel  (Gelesen 1166 mal)

gummibaum

Gedankenspiel
« am: Juli 31, 2021, 13:49:27 »
Ich lege den Gedankenfinger
dir an die Stirn und auf den Mund.
Mein Herzweh öffnet seinen Zwinger,
und meine Ecken werden rund.

Ich führe ihn den Hals hinunter
und langsam über deine Brust.
Er wird der Linien sich bewusst
und zeichnet mir mein Graues bunter.

Und um dich froher zu studieren,
wächst er sich aus zu einer Hand,
wo die Gedanken sich verlieren.
Sie nimmt mich mit ins Zauberland...
« Letzte Änderung: August 17, 2021, 16:38:56 von gummibaum »

Erich Kykal

Re: Gedankenspiel
« Antwort #1 am: Juli 31, 2021, 17:30:57 »
Hi Gum!

Wunderschön, inhaltlich wie in träumerisch fließender, wohlgesetzter Sprache!

Einziges Peanut: Das wechselnde Reimschema:

S1 - ABAB
Der Rest: ABBA

Es geschah wohl unbewusst, sonst hättest du wohl mit deiner Liebe zum Detail am Ende zurückgewechselt, um eine Symmetrie herzustellen.

Es ließe sich aber auch leicht so beheben: einfach die beiden letzten Zeilen der ersten Strophe die Plätze tauschen lassen! Funktioniert.

Ausgesprochen gern gelesen ud bewundert!  :)

LG, eKy
« Letzte Änderung: August 01, 2021, 13:48:28 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Gedankenspiel
« Antwort #2 am: August 01, 2021, 13:08:13 »
Ja, Erich,

das war ein Versehen, danke. Eigentlich sollten alle Strophen abba sein. Aber dein Vorschlag mit der Symmetrie (erste und letzte Strophe abab), ist  auch gut. 

Wünsche dir einen schönen Tag!

Grüße von gummibaum

Sufnus

Re: Gedankenspiel
« Antwort #3 am: August 03, 2021, 21:24:05 »
Hi Gum! :)

Das ist ein schönes Gedicht! :)

Und es regt mich (mal wieder) dazu an, die Gedanken schweifen zu lassen (man sehe es mir nach).

Jedenfalls ist die Liebeslyrik wohl eine der beliebtesten Gattungen - gerade unter "nicht-professionellen" Schreiben. Wahrscheinlich, weil hier aus unmittelbarem inneren Antrieb geschrieben wird - in der Regel entweder, um sich Liebeskummer von der Seele zu schreiben, oder aber, um die Angebetete zu beeindrucken (im zweiten Fall habe ich absichtlich kein Gendering vorgenommen, weil die "Beeindruckungslyrik" (doofer Ausdruck - ob ich noch was Besseres finde?) nach meiner Erfahrung fast nur von heterosexuellen Cis-Männern verfassst wird, meistens solchen etwas jüngeren Lebensalters und/oder etwas eingeschränkter Lebenserfahrung.

Die Koinzidenz von in der Regel nicht besonders begabten (oder zumindest: erfahrenen) Schreibern und hohem Schwierigkeitsgrad von Liebeslyrik führt zumeist zu äußerst bedauerlichen Resultaten. Und selbst erfahrene Schreiber müssen in dieser Gattung ihren technischen und gedanklichen Besteckkasten mit Umsicht nutzen.

Nur eine Subkategorie der Liebeslyrik ist noch einmal schwieriger als die Liebeskummer- und die Pfauenradlyrik (das gefällt mir schon besser als der Terminus Beeindruckungslyrik). Diese Kategorie der höchsten Schwierigkeitsklasse ist die Schilderung der körperlichen Liebe. Selbst die absoluten Meister des Fachs sind hier zuhauf gescheitert oder haben gleich die Finger davon gelassen (Feiglinge!). :) Ein beeindruckendes Beispiel in dieser Kategorie ist m. E. Après l'amour von Durs Grünbein (http://www.planetlyrik.de/joachim-sartorius-zu-durs-gruenbeins-gedicht-apres-lamour/2020/04/), der btw. so einiges Bleibendes auf dem Gebiet des Sexus geschaffen hat. Oder, um die Sprache einmal zu wechseln, ein Beispiel vom unsterblichen E. E. Cummings: May i feel said he (https://allpoetry.com/may-i-feel-said-he).

Das Problem von sexueller Lyrik von Laien ist, dass entweder verdruckst um den heißen Brei herumgeschwafelt wird und dabei ein schwitzig-schwiemeliger Schwulst herauskommt oder aber durchgezogen wird,  was wahlweise in präpotenten Geschmacklosigkeiten oder ziemlich freudloser Pornographie resultiert. Und auch bei dem Versuch des Mittelwegs lauern die Gefahren von verkitschten Softpornofantasien oder peinlicher Selbstentblößung. Und doch: Mit den Schwierigkeiten wachsen auch die Mittel und Wege! Der Versuch soll weiter gewagt werden!

Deine schönen Zeilen, lieber gum, machen Mut auf diesem Weg! Denn Du hast in Deinem Gedicht die wichtigste Zutat untergebracht, die beim Besingen körperlicher Liebe alle Not wendet: Den Humor! :)

Sehr gern gelesen also!!! :)

LG!

S.
« Letzte Änderung: August 03, 2021, 21:28:17 von Sufnus »

gummibaum

Re: Gedankenspiel
« Antwort #4 am: August 08, 2021, 11:06:31 »
Danke, lieber Sufnus,

für deine Gedanken zur Liebeslyrik und zur körperlichen Liebe und auch für den Link zu Grünbeins Gedicht und Sartorius' Kommentar. Es ist natürlich nicht jedem gegeben, starke Gefühle in angemessen in Worten auszudrücken.

Liebe Grüße von
gummibaum


Ich habe den Sex eines alternden Mannes mal über die Doppeldeutigkeit des Wortes "besteigen" in die Eiger-Nordwand verlegt:
http://www.dielyrik-wiese.de/lyrik-wiese/index.php?topic=6438.msg37077#msg37077

 

Erich Kykal

Re: Gedankenspiel
« Antwort #5 am: August 08, 2021, 15:59:52 »
Hi Gum!

Danke für den Link zum Kraxelgedicht mit - du Schelm! - Hintergedanken!  ;D

Ich gebe zu, ich las es damals, aber kommentierte es nicht (warum auch immer, wahrscheinlich, weil wir alle damals mehr und "fruchtbarer" waren, und darum mehr zur täglichen Auswahl stand), nicht zuletzt deshalb, weil ich die Doppeldeutigkeit und die Anspielungen in den Bildern und Begriffen nicht erkannte. (Du weißt ja - dem Reinen ist alles rein ...  ::) ;))
Im Lichte deiner aktuellen Erklärung natürlich denkt man sich: Wie konnte ich das damals nur NICHT erkennen!?

Gern (erneut) gelesen - ich schreibe dies hier in diesem Faden, des Links wegen.


Was Suf über die erotische Lyrik schreibt, stimmt natürlich. Ich ritt zuweilen schon selbst diese schmale Klinge - und mir half dabei, die Bilder zuweilen (wie du) zu verschlüsseln (wenn auch nie so stark), vor allem aber: in gehobener lyrischer Sprache zu bleiben. Bei allem Begehren darf sexuell induzierte Lyrik nie in schmachtendes Pathos verfallen, in moralisierenden Wertekanon oder in allzu ausführliche (sprich "saftige") Beschreibung der Vorgänge.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Gedankenspiel
« Antwort #6 am: August 10, 2021, 17:03:45 »
Danke, lieber Erich,

für nochmaliges Lesen des Kraxelgedichts und deine freundlichen Worte.

Grüße von gummibaum

Agneta

  • Gast
Re: Gedankenspiel
« Antwort #7 am: August 11, 2021, 19:59:47 »
feine Liebeslyrik, lieber Gum,  zart und sie setzt Gedankenspiele frei. Konnotiert das gewisse etwas. Zart und unaufdringlich.
Tipp:
er wird der Linien SICH bewusst...
LG von Agneta

gummibaum

Re: Gedankenspiel
« Antwort #8 am: August 13, 2021, 22:28:23 »
Danke, liebe Agneta.

Ja, mit "sich" ist es besser. Hab es geändert.

Gruß von gummibaum
« Letzte Änderung: August 17, 2021, 16:36:32 von gummibaum »