Autor Thema: Mählich  (Gelesen 1002 mal)

Erich Kykal

Mählich
« am: August 15, 2022, 11:25:01 »
Über viele Berge weit
musst du mählich wandern,
durch den Raum und durch die Zeit
und den Traum von andern.

Über vieler Ziele Wert
sinnen deine Stunden,
die du frei und unbeschwert
darin dir gefunden.

Über alle Wiesen her
werden Schatten fallen,
mählich mehr und immer mehr,
wenn die Nebel wallen.

Über deine Jahre leis
altern alle Träume,
Sommers Glut und Winters Eis
weben neue Säume.

Über alle Wege hin
raunt das Lied des Lebens.
Mählich hörst du dich darin:
„Es war nicht vergebens.“
« Letzte Änderung: August 15, 2022, 11:39:16 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Rocco

Re: Mählich
« Antwort #1 am: Dezember 09, 2022, 02:29:08 »
Es ist Nacht. Ich lese Gedichte von Dir über Raum, Zeit und Traum. Eine Situation, die mir nicht unangenehm ist.

Hallo Erich,

über den Wert von Zielen kann man diskutieren. Jeder hält seine mindestens für: "ehrenwert". Zumindest kenne ich keinen Zeitgenossen, der eingestehen will, dass er nur an sich denkt und es ihm keine Sorgenfalten bereiten würde, würde nach ihm die Sintflut kommen.

Zu welcher Sorte Mensch gehört das lyr. Ich? Heiliger? Teufel? Durchschnittlicher Mensch mit Tugenden und Fehlern?

Der Reihe nach:

Was sind die Ziele des lyr. Ichs?

Es sinnt über den Wert von Zielen nach. Und geht eigene Wege.

Darüber altern seine Träume. Eigentlich altern Träume nicht, eher die Vorstellungen, die man damit verbindet.

Was ist das Gute oder Schlimme an Träumen?

Das Schlimmste: Der Träumer wacht auf und stellt fest, dass er am Ende seines Weges steht.

Das Gute: Der Träumer verliert sich nicht in Träumen. Er gibt sie auf und hat neue. Immer überdenkt er ihren Wert, prüft, ob er darin Leben findet.

Das lyr. Ich ist ein Träumer mit Gewissen.

So bleibt es frei und unbeschwert. Hat keine Albträume, die es bedrücken.

Wir haben keinen Heiligen oder Teufel vor uns!

Immer geht es seiner Wege, bleibt nie stehen, selbst wenn es abirren sollte.

Die Botschaft lautet: Der Weg ist das Ziel. Bleib auf dem Weg und dein Leben wird nicht vergebens sein.

Hoffnungsvolle Gedichte sind mir nicht unangenehm. Ich lese sie gerne, gerne vor allem nachts, wenn der Blick ins All Weite vermittelt und der Gedanke, dass unsere Erde unbedeutend ist, traurig stimmt.

Übrigens: Fragen sind mein Steckenpferd. (Etwas in Frage stellen, Gewissheit ungewiss machen.) Denn Fragen vermitteln mir ein Gefühl von Weite und Traurigkeit. Aber neue Antworten, oder Alte, die sich bestätigen, geben Trost und Hoffnung.

Irgendwie ist Trost und Hoffnung auch immer ein Thema bei dir. Lasse ich Mählich auf mich wirken, fällt mir dazu ein;

Jedes Leben ist ein Traum -
aber ein bunter oder grauer?

Dir einen schönen Tag!

Rocco




« Letzte Änderung: Dezember 09, 2022, 04:36:26 von Rocco »
"Erst in Rage werde ich grob -
aber gelte als der Hitzkopf?!"

Yusuf Ben Goldstein, aus Rocco Mondrians Komödie: Yusuf Ben Goldstein, ein aufrechter Deutscher

Erich Kykal

Re: Mählich
« Antwort #2 am: Dezember 10, 2022, 20:29:16 »
Hi Roc!

Vielen Dank für deine tiefschürfenden Gedanken!  :)

Es ist dieses bipolare Denken der Menschen, das hier verwirrt: Wenn ein oben ist, dann muss ein unten sein. Links bedingt rechts, gut braucht böse, usw.

Dementsprechend fällt man dann gern auf die Annahme herein, dass wenn das Leben keinen Sinn hat, es sinnlos sein müsse. Ohne höheren Plan, ohne tiefen Zweck muss alles wertlos, sinnlos sein. Wirklich? Ist unser Denken wirklich so schwarz-weiß?

Du lebst. Das IST der Sinn, der allem Wert verleiht, was du berührst, was dich berührt. Bedarf wirklich alles einer 'höheren Ordnung', damit wir uns wohl damit fühlen können? Was für eine Verstiegenheit!

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Mählich
« Antwort #3 am: M?RZ 03, 2023, 22:46:30 »
Lieber Erich,

das sich wiederholende "über" bildet die ruhige Bewegung gut ab, die im Lauf des Lebens auf verschiedenen Wegen zu Erfahrung, Bereicherung und Sinngebung führt.

Mit Freude gelesen.

LG g   

Erich Kykal

Re: Mählich
« Antwort #4 am: M?RZ 04, 2023, 11:21:43 »
Hi Gum!

Vielen Dank!

Ich muss zugeben, ich habe beim Verfassen sehr mit mir gerungen, ob ich nicht besser 'Alles ist vergebens!' als letzte Zeile hätte schreiben sollen, da dies eher meiner allgemeinen Überzeugung hinsichtlich der universellen Entropie entspricht: Dass die Existenz der zufällig evolvierten Menschheit keinerlei höherem Plan folgt, und der wie auch immer selbstgenerierte Lebenssinn der Individuen mit ihrem Sterben ebenso obsolet wird, was immer er für sie zu Lebzeiten auch bedeutet haben mag.

Allerdings gibt es schon genug 'herunterziehende' Werke von mir, so ehrlich sie auch verfasst worden sein mögen, und man erfreut sich sogar als zynischer Philosoph doch auch an solchen Zeilen, die positiv ausklingen und dem Leser ein warmes Gefühl von allunfassender Geborgenheit in den Falten des Seins vermitteln, das ihn ein wenig weiter durch die mitleidlose Kälte des physikalischen Universums zu tragen vermag.

So lange wir leben, liegt es an uns, und uns allein, dafür zu sorgen, dass wir es als 'nicht vergebens' zu empfinden vermögen. Wer das schafft, ohne anderen zu schaden, sei es durch Manipulation, Indoktrination, psychische oder physische Gewalt, der hat ein gutes Leben gelebt.

LG, eKy
« Letzte Änderung: Februar 12, 2024, 17:24:30 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.