Hi EV!

Hier teilst Du mit uns ein Gedicht, das sich durch große formale Ebenmäßigkeit auszeichnet, was mir sehr gut gefällt

(ohne dass ich einen formal freien Text nicht auch genieße).
Jede Strophe besteht aus vier Zeilen und jede Zeile lässt sich wiederum als vierhebiger Trochäus lesen. In allen Strophen wechseln sich weibliche und männliche Kadenzen ab und das Gedicht ist durchgängig kreuzgereimt. Die zweimalig auftretenden, unreinen Reime ("ich - licht" und "wälder - älter") lockern dieses feste Gefüge nur ganz leicht. Insgesamt überwiegt aber der Eindruck von einer sehr formstreng gebundenen Sprache.
Vor diesem Hintergrund schaue ich dann ein bisschen gegen die durchgängige Kleinschreibung und die inkonsistente Zeichensetzung an.
Ich hab das irgendwann anders schon mal geschrieben, dass ich jede Form der Orthographie in einem Gedicht statthaft finde, wenn diese zum poetologischen Konzept des jeweiligen Textes passt und etwas ausdrückt. Ein freies, "modern" oder postmodern gehaltenes Gedicht braucht sich meines Erachtens nicht an Schreibregeln zu halten - das Aufbrechen der Regeln ist da womöglich gerade Teil des Konzepts. Auch kann der Verzicht auf Großschreibung neue Bedeutungsebenen schaffen. Bei deinem hier vorgestellten Werk wirkt die Kleinschreibung für mich eher wie ein etwas überflüssiges Dekor.
Und was mir auf der formalen Ebene auch noch nicht so ganz einleuchtet, das ist die Wiederholung der Reimworte von S1 in S5. Eigentlich wird dadurch das Gedicht für mich abgeschlossen. Dass es danach noch zwei Strophen weiter geht, wirkt auf mich unbalanciert.
Inhaltlich finde ich aber die große Innigkeit, mit der die Trauer des LI geschildert wird, sehr berührend und ich lasse mich gerne durch die Strophen tragen. Dabei helfen auch die gekonnt eingesetzten Wortwiederholungen (Geminationen) und die zahlreichen Alliterationen sehr.
Also gerne gelesen, lieber EV!

S.