Autor Thema: Früher Schock  (Gelesen 1427 mal)

gummibaum

Früher Schock
« am: August 10, 2015, 19:41:52 »
Damals spielten wir Verbrennen,
und ich hab dich angesteckt.
Musste dann entsetzt erkennen,
dass mein Zauberwort nicht weckt.

Reglos lagst du auf der Liege.
„Wach doch auf!“, hab ich gefleht.
Goss dir Luft auf stille Züge,
doch mein Löschen kam zu spät.

„Mutter“, schrie ich, warf die Flasche,
die nichts nützen wollte, fort.
Stotterte in Tränen „Asche“,
und dein Lachen traf mein Wort.

Erich Kykal

Re: Früher Schock
« Antwort #1 am: August 10, 2015, 21:37:29 »
Hi, Gum!

Das ist schön geschrieben, aber ich musste es mehrmals lesen, um ein Bild im Kopf zu generieren.

Du spieltest mit deiner Mutter "Verbrennen"? Was für eine Sado-Maso-Geschichte ist das denn???
Sie tat dann so, als würde dein "Zauberwort" (Das sie "löschen" sollte?) nicht helfen und stellte sich tot?
Und du hieltest es für ernst (wie alt warst du da, und sollte man mit einem offensichtlich so kleinen Kind solche Spiele spielen!?) und warst verzweifelt, bis sie plötzlich wieder zum Leben erwachte und du erkanntest, dass sie dich geneckt hat?

Also ehrlich, das kann ein schrecklicher Schock für ein kleines Kind sein! Und "Verbrennen"!? Erinnert unangenehm an die mittelalterliche Hexenjagd.

Oder habe ich da etwas völlig missdeutet???

Das Gedicht ist gut - die Erziehungsmethoden fragwürdig bis erschreckend. Ist das autobiographisch?

Gern gelesen, aber gewundert.

LG, eKy

Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Früher Schock
« Antwort #2 am: August 10, 2015, 23:06:24 »
Hallo Erich,

das ist genau richtig gedeutet. Das Alter: vielleicht 2 Jahre. Ich war früh an Tod, Gott, Welt usw. interessiert und sich spielend in solche Dimensionen zu fantasieren, entsprach mir. Aber Spiel und Ernst konnte ich noch nicht unterscheiden und den Ernst nicht ertragen. Hier ging meine Mutter ein bisschen zu weit (erst die Anrede "Asche" brachte sie zum Lachen) und so hat es sich scharf eingeprägt. Überhaupt erinnere ich noch viel. Sogar noch, wie ich mich im Gitterbett erstmals hingestellt hatte und ungeduldig erwartete, dass meine Mutter hereinkommt und das entdeckt . Da war ich vielleicht 8 Monate alt.

Danke und LG
gummibaum

« Letzte Änderung: August 10, 2015, 23:11:23 von gummibaum »

cyparis

Re: Früher Schock
« Antwort #3 am: August 11, 2015, 11:13:19 »
Lieber gummibaum,

ich hab ähnliche, aber anders gelagerte Erinnerungen.
Zuerst: An das "Ställchen", in dem mein Zwilling und ich tagsüber waren. Wir halfen uns gegenseitig beim Aufrichten und Klettern. Wir hatten sogar eine eigene Sprache entwickelt, die sonst keiner verstand. Ist das sprachevolutionär nicht hochinteressant? ;)

Meine zwei Schwestern und ich haben wohl einmal Mutter so genervt, daß sie in ihren Sessel sank und sagte:
"Jetzt bin ich tot"
Diesen Schock werde ich mein Lebtag lang nicht vergessen.

Von daher ist mir Dein Gedicht sehr eingängig und offen - aus der anderen Warte gesehen.
Wäre es in einer anderen Rubrik nicht besser aufgehoben?



Lieben erwartungsfrohen Gruß
von
Cyparis

Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

gummibaum

Re: Früher Schock
« Antwort #4 am: August 11, 2015, 12:34:29 »
Liebe cyparis,

welch ein schöner Exkurs in deine Anfänge. Die gegenseitige Unterstützung unter euch Zwillingen hält ja seit damals an und die Mutter hat sich -wie meine auch lange- als sehr vital erwiesen.  "Erschöpfung" ist es bei meiner Mutter wohl nicht gewesen, sie stand als Kind schon auf der Bühne, und ein bisschen Theater in den engen Grenzen des Haushalts war ein Ventil in der Einsamkeit.   

Rubrik?

LG gummibaum

cyparis

Re: Früher Schock
« Antwort #5 am: August 11, 2015, 13:10:50 »
Doch - jetzt stimmt die Rubrik.

Meine inzwischen 98jährige Mutter kann sich an derlei nicht mehr erinnern, aber ihre eigenen Kinder- und Jugendjahre werden ihr immer präsenter.

Ich selbst - schon greisenhaft - rücke ihr immer weiter weg. Oft erkennt sie mich nicht mehr.
Bedrückend.

Lieben Gruß!

Cyparis




Ich freue mich auf das Wiedersehen!!! :)
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Erich Kykal

Re: Früher Schock
« Antwort #6 am: August 11, 2015, 14:57:41 »
HI, Leute!

Meine Mutter war eine herzensgute, aber einfache Frau, die eher handfest zupackte als mit Psychologie zu arbeiten. Musste sie auch, denn mein Vater war weich wie Butter und hätte sich alles von mir gefallen lassen.

So lernte ich schon vor meiner Kindergartenzeit den Teppichklopfer kennen und wusste, was Ohrfeigen waren. Interessanterweise war die Demütigung für mich immer wesentlich schlimmer als der Schmerz. Der größte Schock war aber, dass sie mich, als ich zum ersten Mal einen Tobsuchtsanfall bekam, packte und mitsamt der Kleidung in die Badewanne stellte und mich mit eiskaltem Wasser abbrauste!
Sie erzählte mir später, ich wäre schon blau vor Wut angelaufen und sie hätte Angst gehabt, ich würde kollabieren. Unter dem eisigen Schwall hätte ich nur noch "Mama!" gejapst und hätte mich schlagartig beruhigt. Seit damals, so sagte sie, hätte ich nie mehr bebitzelt!

LG, eKy
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gummibaum

Re: Früher Schock
« Antwort #7 am: August 11, 2015, 20:06:29 »
Interessante Geschichte, Erich.

So ein "Kneippscher Guss" und ähnliche Kryo-Behandlungen sind als Disziplinierungsmittel sehr wirksam und bei einmaliger Anwendung nur von mäßiger Grausamkeit. Da ist das Butterweiche fast schlimmer. Schadlos kommt niemand davon.  ;D

LG gummibaum

 
« Letzte Änderung: August 11, 2015, 20:08:53 von gummibaum »

charis

  • Gast
Re: Früher Schock
« Antwort #8 am: August 11, 2015, 21:25:14 »
Lieber Gummibaum,
Irritierend und beängstigend, aber natürlich sehr gut geschrieben.
Angesichts solcher frühkindlicher Erinnerungen wundert mich jetzt nichts mehr.  :) Du kannst dich tatsächlich noch an ein Erlebnis mit acht Monaten erinnern?
Lieben Gruß
charis

charis

  • Gast
Re: Früher Schock
« Antwort #9 am: August 11, 2015, 21:28:00 »
Lieber Eky,
Ach, hätte ich das Wort "bebitzelt" bloß früher gelesen!! Das fehlt in meiner Hommage ganz eindeutig, worauf würde sich das bloß reimen und was bedeutet das überhaupt?  ;D ;D ;D
Lieben Gruß
charis

Erich Kykal

Re: Früher Schock
« Antwort #10 am: August 11, 2015, 21:38:22 »
Hi, Gum!

Es war vor allem der Schock der Kälte, der Schreck - und vor allem die plötzliche Einsicht, dass die eigene Mutter einem sowas antun konnte! Das schmerzte im Nachhinein am meisten und beendete mein Urvertrauen gegenüber anderen Menschen.


Hi, Charis!

Das Wort ist bei euch unbekannt? Es bedeutet dies, wenn ein Kind mit dem Fuß aufstampft, tobt und zetert und partout seinen Willen durchsetzen will. Es schreit und greint vor Frust und Wut, bis es keine Luft mehr bekommt. Das heißt bei uns "bitzeln" oder "herumbitzeln". Ich kenne den Begriff allerdings aus meiner Kindheit - gut möglich, dass man ihn auch bei uns heute kaum mehr verwendet.


LG, eKy
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charis

  • Gast
Re: Früher Schock
« Antwort #11 am: August 11, 2015, 22:14:22 »
Lieber Eky,
Ich habe der Hommage eine Bitzel-Strophe hinzugefügt.  ;D
Nicht allzu ernst nehmen, bitte!
Lieben Gruß
charis