Hi, Mei!
Der Vergleich mit dem Pulverfass gefällt mir.
Zum Teil liegt es daran, dass unsere technische Entwicklung der sozialen voraus zu sein scheint. Wir handeln global, denken und fühlen aber immer noch Ordnungen, die wir in der Steinzeit hatten, als wir in Clans und Stämmen lebten und alle außerhalb keine "Menschen" waren.
Man hat festgestellt, dass die große Mehrheit aller Stammesbezeichnungen das Wort "Menschen" in der jeweiligen Sprache bedeutete. Das bedeutete wiederum, dass alle Mitglieder anderer Stämme ebendieses nicht waren - oder nur in eingeschränktem Maß.
Dieses Denken beförderte das Überleben und den Zusammenhalt der jeweiligen Gemeinschaft in einer wahrhaft bedrohlichen Welt, in der das Leben des Einzelnen kurz war und meist von relativ geringer Bedeutung. Die Gemeinschaft war alles und führte Kriege gegen andere Gemeinschaften. Alles war überschaubar und ritualisiert.
In der heutigen Gesellschaft, die dem alltäglichen Kampf ums Überleben enthoben scheint, sind die Werte umgekehrt: Das Individuum ist der heilige Gral, und seine Rechte unantastbar, auch wenn es der Gemeinschaft insgesamt schadet. Das macht Anwälte reich und schwächt den sozialen Zusammenhalt. Auch der Faktor Glaube ist als verbindendes Element weggebrochen - zumindest bei uns.
Aus der Sicht von Völkern, die kulturell noch sehr in diesem Clan- und Stammesdenken verwurzelt sind, in dem das Individuum nicht zählt, sind wir dekadent und schwach, nur noch gestützt von Wohlstand und technischer Überlegenheit. Sie denken, wir könnten gar nicht mehr gemeinschaftlich handeln und uns ihrer erwehren.
Andererseits haben wir - die Nazizeit zeigte das - dieses Ameisendenken nicht verlernt, bloß sublimiert. Wir sind eine 2 Millionen Jahre alte Rasse von Primaten, die Tünsche der "Zivilisation" ist gerade mal ein paartausend Jahre dünn, und die meiste Zeit davon - betachtet man die Geschichte - haben wir uns alles andere als "zivilisiert" verhalten.
Bei Bedrohung wird ganz rasch wieder auf Konfrontation und Keule umgeschaltet - da laufen Programme ab, die viiieeel älter sind als Sprache und Tischmanieren!
So wenig wie die einzelne durchschnittliche Zelle in einem Körper bestimmen kann, wann der Körper Luft holt, so wenig kann der einzelne "Bürger" das "Volksempfinden", sozusagen das übergeordnete "Bewusstsein" einer kulturellen Identität steuern. Allerdings schafft die Manipulation moderner Medien ganz schnell Mehrheiten "im Geiste", und wenn das ausreichend lange und intensiv geschieht, wird zur Wahrheit, was zuvor Lüge gewesen ist, wird das Falsche richtig oder zumindest richtig genug, um noch größeres Übel abzuwenden.
Aber selbst dabei sind wir im Nachteil, denn konformistische Kulturen können viel rascher und umfassender reagieren: Oft bestimmt ein Diktator oder Religionsführer, wo es langgeht, und ein eng gefasster Regelkanon malt die Welt herrlich schwarzweiß und simpel gestrickt, sodass man immer sicher sein darf, bei den Guten zu sein. Wir als Individualisten müssen immer alles gegenseitig erklären und rechtfertigen und ausdiskutieren - das bremst gewaltig.
Die Neonazis funktionieren genau wie diese alten Stammeskulturen: Nur "wir" sind die wahren Menschen, alle "anderen" sind fremd, irgendwie falsch und nicht lebenswürdig. Wir sind die Guten und alle anderen böse - wie wunderbar geordnet ist so eine Welt! Selbst um die Gefahr eines nie enden wollenden Krieges ist vielen Menschen so eine einfache, gut sortierte Weltsicht lieber als die komplizierte und unsichere Welt der Individualisten und eigenverantwortlichen Hirnbenutzer.
Wie gesagt - wir sind stammesgeschichtlich betrachtet im Grunde bloß bessere Schimpansen mit Maschinengewehren ... - ein Wunder, dass wir in Europa überhaupt so lange konfliktfrei leben konnten. Das wiederum erklärt sich aus der Lektion, welche die Weltkriege ins Volksgedächtnis gebrannt haben. Allerdings weicht diese Weisheit langsam auf und geht im internationalen Datenverkehr der Oberflächlichkeit langsam verloren. Erfahrungen sind nicht übertragbar, und jede neue Generation ist wieder genauso dumm und blauäugig wie jene von vor der Katastrophe. Das Lesen von Geschichtsbüchern hilft nur wenig und stößt nur bei einer gebildeten Minderheit auf Interesse. Da haben es Hassprediger und Demagogen umso leichter, die Jugend in eine neue Gefühlskälte zu hetzen. Und wie gesagt: Glaubt erst die Mehrheit eine Lüge, wird diese zur akzeptierten Tatsache und zur Wahrheit. Wieviele Deutsche waren vor dem 2. Weltkrieg davon überzeugt, dass der Zionismus eine reale Gefahr darstellt und bekämpft werden muss? Sicherlich mehr, als uns heute lieb wäre! Wie viele alte Nazis gehen heute noch mit dem Argument hausieren, dass es unter Hitler endlich Ordnung, Vollbeschäftigung und Menschenwürde gab, weil man auf sein Land wieder stolz sein konnte?
Bin gespannt, wann die ersten Pegidaredner mit dem selben Argument für das heutige Deutschland aufwarten! Oder tun sie es schon? Gut möglich. Und niemand bemerkt, wie sich die Bilder gleichen, weil der historische Abstand schon so groß ist, und "heutzutage" ist man ja nicht mehr so dumm, die alten Fehler zu wiederholen. Ha! Steckt nur weiter den Kopf in den Sand, ihr braven Biedermänner - dann macht ihr gleich noch einen historischen Fehler mehr! Die Brandstifter sind schon unter euch und halten euch heimlich Feuerzeuge unter die Bärte, während sie euch gleichzeitig aufrichtig versichern, dass sie nur euer Bestes im Sinn haben!
Ach, ich könnte noch so viel ins Feld führen, aber ich bin tippfaul ...
LG, eKy